# taz.de -- Covid-19 in der Ukraine: Alarmstufe Rot für Julia
       
       > Die Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko ist mit dem Virus infiziert und
       > liegt auf der Intensivstation. Das löst unterschiedliche Reaktionen aus.
       
 (IMG) Bild: Ankunft auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew im Februar 2014
       
       Kiew taz | Nun hat es auch [1][Julia Timoschenko] erwischt. Seit einigen
       Tagen liegt die 59jährige ehemalige Ministerpräsidentin der Ukraine, deren
       geflochtener Haarkranz sie weltweit bekannt machte, auf der
       Intensivstation. Diagnose: Covid-19. Dies berichtete der Abgeordnete Serhij
       Wlassenko von Timoschenkos Partei „Vaterland“ gegenüber dem Sender „Ukraina
       24“.
       
       Zwei, die mit Timoschenko kurzzeitig zu tun hatten, sind die Kiewer
       Rentnerinnen Nadia und Schanna. Beide hatten sie im „Team Julia“
       mitgearbeitet. Für umgerechnet drei Euro am Tag gingen sie 2019 für ihre
       Julia demonstrieren, verteilten an U-Bahn-Stationen Wahlkampfzeitungen und
       durften sogar vom „Team Julia“ finanzierte EDV-Kurse besuchen, wo sie mit
       Word und dem Internet vertraut gemacht wurden.
       
       Es ist eine Mischung aus Dankbarkeit und Wut, die die beiden angesichts
       Julias Schicksal empfinden. Dies ist an diesem Abend das Hauptthema bei
       ihrem Telefonat. Ja, Julia habe ihnen eine wichtige Aufgabe gegeben, dank
       Julia hätten sie ihre Rente von knapp 100 Euro aufbessern können und ohne
       Julia hätten sie sich gar nicht kennengelernt.
       
       „Aber eigentlich ist die auch ganz schön falsch. Uns erzählt sie, dass sie
       gegen die Oligarchen kämpft, sich gegen hohe Kosten für Strom und Heizung
       einsetzt, und für Arbeitslose und Rentner kämpft. Sie selber aber fährt
       einen dicken BMW und ihre Tochter hat in einem Hotel in Rom geheiratet, in
       dem das billigste Zimmer 600 Euro kostet“, empört sich Nadia.
       
       ## Rollstuhl und Stöckelschuhe
       
       Nadia hat das ganze Leben gearbeitet und auch überdurchschnittlich
       verdient. Doch das war in Russland und da die russische und die ukrainische
       Rentenbehörde nicht zusammenarbeiten, erhält sie gerade mal eine
       Mindestrente von 80 Euro. „Ich habe sie auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz
       Maidan gesehen“, wirft Schanna ein. „Im Rollstuhl war sie, wegen angeblich
       starker Rückenschmerzen. Und hatte Stöckelschuhe an. Meine Tochter hat auch
       Rückenschmerzen, und ihr hat der Arzt Stöckelschuhe verboten.“
       
       Dieser Auftritt von Timoschenko Anfang 2014 hätte eigentlich der Auftakt zu
       einem erneuten Comeback der Frau sein können, die mit Öl und Gas schon
       immer gute Geschäfte gemacht hat. Ihr Konterfei zierte das größte Plakat
       auf dem Maidan 2013 und 2014. Sie, die kurz zuvor politische Gefangene des
       verhassten Präsidenten Wiktor Janukowitsch gewesen war, trat als
       Hauptrednerin der ersten Großveranstaltung nach dessen Flucht auf.
       
       Doch sie schaffte es nicht, ihre Rolle als Heldin und ehemalige politische
       Gefangene von Janukowitsch in politischen Erfolg umzumünzen. Der wurde
       Politikern wie Petro Poroschenko und Witali Klitschko zuteil.
       
       Die gerissene Politikerin, deren Partei „Vaterland“ als Symbol ein Herz auf
       weißem Hintergrund hat, weiß, wie sie zu den Herzen ihrer Zuhörer
       vordringt.
       
       ## Markenzeichen Mütterlichkeit
       
       Als sie sich 2019 in ihrer Partei als Spitzenkandidatin für die
       Präsidentenwahl bewarb, warb sie vor allem mit ihrer Mütterlichkeit um das
       Vertrauen der Delegierten. Jede Mutter wisse, was es heiße, für ein Kind
       verantwortlich zu sein, hatte sie den Delegierten zugerufen. Doch sie sei
       zutiefst von ihrer Tochter gerührt, die sich um sie gekümmert habe, als sie
       in Haft war. Auch ihrer Mutter, die ihr immer beigestanden habe, hatte sie
       in ihrer Rede vor den Delegierten gedankt.
       
       Weniger begeistert von Julia sind andere Politiker, unter ihnen Wolodymyr
       Hrojsman, ehemaliger ukrainischer Ministerpräsident. Dieser bezeichnete sie
       einmal als „Mutter der Korruption und bezichtigte sie des Populismus und
       der Ineffektivität“.
       
       Und der amtierende Präsident Wolodymyr Selenski machte öffentlich, dass sie
       seiner Partei die Loyalität ihrer Fraktion bei Abstimmungen im Austausch
       für gute Posten angeboten habe. Alle fünf Jahre sei es das gleiche Spiel,
       zitiert das Onlineportal Ukrainska Prawda Selenski. Da käme Julia
       Timoschenko in die Opposition und diene sich dem Präsidenten an.
       
       „Irgendwie wird sie mir schon fehlen“ meint Schanna am Ende des Telefonats.
       „Mit Covid ist nicht zu spaßen. Denn auch wenn sie´s überlebt, wird sie
       wohl nicht mehr zu der alten Form zurückfinden“.
       
       „Quatsch“ unterbricht sie Nadia. „Julia hat uns immer angelogen, sie tut
       das auch jetzt wieder. Das ist alles nur Show. Dass sie krank ist, wissen
       wir ja nur von ihren Mitstreitern. In wenigen Tagen wird sie auferstehen
       wie Phönix aus der Asche, sagen, das sei doch alles nur eine Kleinigkeit
       gewesen. Und dann wird sie mit einer neuen Frisur vor die Kameras treten.“
       
       28 Aug 2020
       
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