# taz.de -- Die Wahrheit: Reiki für Rechte
       
       > Die exklusive Wahrheit-Recherche der Woche kommt aus der Eifel: Ein
       > Rundgang bei der Reichsbachblütenführerin Ottilie „Otze“ Klüppelberg.
       
       „Heile, heile Segen!“, grüßen die Kadetten der Heilpraktikerschule ihre
       Weißtumsleiterin Ottilie „Otze“ Klüppelberg und recken den Arm in die Höhe,
       um die feuchte Aura der Fossa axillaris zu lüften und Lebensenergie in die
       rechte Blutbahn zu leiten. Beißender Muff aus achtzehn arischen Achseln
       kriecht durch die Thing- und Turnhalle der ganzheitlichen
       Bildungseinrichtung, die die gelernte Beinrenkerin im Eifelort Bad
       Blutboden in einem insolventen Berggasthof aufgezogen hat.
       
       Klüppelberg lässt den Blick durch die Reihen der jungen Rekruten streifen.
       „Wo kommst du her, Kamerad?“, fragt sie und legt die Hand auf die feiste
       Schulter eines puterroten Fleischklops.
       
       „Aus Pötznick bei Kloptow!“, nölt es im märkischen Zungenschlag aus der
       menschgewordenen Boulette, deren kross gesonnte Haut recht überreichlich
       mit alt-indischen Glückssymbolen verziert ist. „Ick möchte eine Praxis für
       Sturzkampf-Yoga eröffnen, Frau Reichsbachblütenführerin.“
       
       Klüppelberg nickt wohlgefällig und streicht eine verfilzte Haarsträhne
       hinters Ohr. Seit die rechts- wie freidrehende Schamanin und Coronarebellin
       auf der machtvollen Demonstration völkischen Willens und Wütens vor dem
       Berliner Reichstag ein einigermaßen ungewohntes Klientel für sich entdeckt
       hat, trägt sie die Dreadlocks akkurat zur Seite gescheitelt.
       
       ## Esoterisches Geschwurbel
       
       Mittlerweile hat die Heilerin jedoch nicht nur ihren Look der neuen
       Kundschaft angepasst. Neben dem handelsüblichen esoterischen Geschwurbel
       bietet sie auch Seminare wie „Reiki für Rechte“ und Rückführungstherapien
       für Reisegruppen in das Jahr 1871 an, das besonders bei Reichsbürgern sehr
       beliebt ist. Natürlich dürfen auch Angebote der bei kranken Nazis gefragten
       „Germanischen Neuen Medizin“ nicht fehlen. Neben einem Kurs „Was tun bei
       verjudeten Nagelbetten?“ locken deswegen Unterweisungen für
       „Maximalinvasive Eingriffe mit dem Baseballschläger“ und die
       Gesprächsgruppe „Krebs als innerer Konflikt“ für Betroffene und
       Hinterbliebene.
       
       Man kann sagen, Otze Klüppelberg hat ihr Angebot deutlich erweitert, seit
       sie mit ihren drei Hunden Hugin, Mugin und Jerry Garcia in eine verlassene
       Schwitzhütte am Waldrand von Bad Blutboden gezogen ist, um den Krebs ihrer
       Oma durch Schönreden zu heilen. Zwar starb die Großmutter kurz darauf, doch
       geriet Ottilie genau zu dieser Zeit an eine mittelgroße Erbschaft. Ein
       Zufall? „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die kann die Schulmedizin
       nicht erklären“, meint Klüppelberg dazu. „Seit diesem Tag weiß ich
       jedenfalls, dass ich über besondere Kräfte verfüge.“
       
       Und eben diese Kräfte will sie mit Menschen aus allen politischen Lagern
       teilen, erklärt die Bildungsanbieterin. Aus politischen Lagern, versteht
       sich, die bereit sind, 1.350 Euro Kursgebühr die Woche für
       pseudowissenschaftliches Gewäsch zu bezahlen und Corona für die Erfindung
       einer pädophilen Elite halten, die sich unter der Woche im Keller einer
       US-Pizzaklitsche zum Blutsaufen trifft. Doch eben zwischen diesen beiden
       Personenkreisen ist die Schnittmenge extrem hoch.
       
       ## Dinge zwischen Himmler und Erde
       
       Ein Zufall? „Es gibt Dinge zwischen Himmler und Erde, die kann die
       Schulmedizin nicht erklären“, paraphrasiert Klüppelberg verschmitzt, auf
       deren T-Shirt die Konterfeis von Bob Marley und Rudolf Heß prangen. „Damit
       ehre ich aber nicht den Politiker, sondern den Schirmherren des 12.
       Internationalen Homöopathischen Kongresses 1937“, behauptet die
       selbstexaminierte Heilpraktikerin. „Wer der andere Typ ist, weiß ich nicht.
       Der war schon auf dem Shirt, als ich es gekauft habe.“
       
       Trotzdem gibt es immer noch Berührungsängste zwischen der Batikhemdträgerin
       mit den Wursthaaren und ihren karg frisierten Adepten. „Viele Rechte haben
       Angst, dass sie sich bei fremdartigen Ritualen wie der Ayahuasca-Zeremonie
       mit minderwertigen Kulturtechniken aus dem Ausland infizieren“, lacht
       Klüppelberg. „Dann erkläre ich ihnen, wie kulturelle Appropriation wirklich
       funktioniert. Wir reißen Traditionen aus ihrem angestammten Kontext und
       schlachten sie gewinnbringend aus, bis nichts mehr von Gehalt übrig ist. Da
       freuen sie sich sogar richtige Nazis und machen gerne mit.“
       
       ## Faschistische Faszien
       
       Manchmal jedoch ist auch die Klüppelberg überfragt. „Neulich wurde ich
       gefragt, wie lange man die Faszien trainieren muss, bis man auch innen
       durchgängig faschistisch ist. Da musste ich erst mal mein Runenorakel
       befragen.“
       
       Trotzdem ist die Obskurantistin zuversichtlich, dass ihr holistischer
       Ansatz aufgeht. Statt auf Gewissen oder Fakten will sie weiter Bauchgefühl
       und hergelaufenen Engelwesen vertrauen. „Mit angeblich wissenschaftlichen
       Kategorien wie rechts und links kann ich nichts anfangen. Ob Homöo- oder
       Soziopathen, am Ende sind wir doch alle Menschen“, gibt sich die schwer
       Verschwörungsgläubige versöhnlich, doch dann schaut sie uns misstrauisch
       an. „Es sei denn, Sie sind Reptiloide von der Weltregierung NWO!“ Ein paar
       kräftige Hiebe mit der Wünschelrute zeitigen jedoch ein negatives
       Testergebnis. Wir gelten als hinreichend humanoid und dürfen unseren
       Rundgang bei vollem Bewusstsein beenden.
       
       11 Sep 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Bartel
       
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