# taz.de -- Start des Festivals „Pop-Kultur“ Berlin: Möglichkeitsraum Meta-Ebene
       
       > Am Mittwoch startet das Festival „Pop-Kultur“ in abgespeckter Form und
       > virtuell. Gerade deshalb ist vieles neu und Vertrautes anders zu
       > entdecken.
       
 (IMG) Bild: Zwischen R&B und Performance-Kunst: Don Jegosah
       
       Abgesagt wurde ja eine Menge im letzten halben Jahr. Freund*innen der
       Livemusik sind davon besonders betroffen, die Künstler*innen erst recht;
       der Festivalsommer 2020 ist komplett ausgefallen. Umso erfreulicher, dass
       das Berliner Festival Pop-Kultur in seinem sechsten Jahr zumindest in
       digitaler Form stattfindet – und das sogar auf eine ambitionierte Weise,
       die sich von dem, was sonst dieser Tage aus Clubs und von Bühnen über
       heimische Bildschirme streamt, doch stark unterscheidet.
       
       Das ist so erfreulich wie konsequent. Schließlich muss sich ein Festival
       wie dieses, das nicht umsonst als das hierzulande Diskursträchtigste gilt,
       daran messen lassen, ob es auch in einer Krise Möglichkeitsräume eröffnen
       kann. Zudem wird bei Pop-Kultur von jeher die [1][Meta-Ebene]
       mitverhandelt; Pop eben nicht nur als Bündel von Vergnügungen verstanden,
       dem der/die Einzelne auf diese oder jene Weise nachgeht. Sondern als Raum,
       in dem an Themen wie Diversität und Inklusion gearbeitet wird, in dem Dinge
       ausprobiert und Gesellschaftliches verhandelt wird. All das braucht es
       momentan nötiger denn je.
       
       Darüber hinaus, so erklärt Martin Hossbach – neben Christian Morin und
       Katja Lucker, der Geschäftsführerin des Musicboards Berlin, einer der drei
       KuratorInnen des Festivals – sei es ihnen wichtig gewesen, „so viele
       Künstler*innen wie möglich zu bezahlen. Zwar haben wir nicht auf Teufel
       komm raus Programm gemacht; schließlich wurden zwei Drittel eingestampft.
       Doch die Honorare, die wir bezahlt haben, sind identisch mit jenen, die wir
       bei normalen Auftritten bezahlen.“
       
       ## Schrumpfung als Konzept
       
       Das Festivalprogramm stand bereits, als im März der Lockdown kam. Schnell
       wurde klar: Vor Bühnen in [2][großen Räumen] wird sich so bald niemand mehr
       versammeln. Dementsprechend lassen sich auch keine Tickets verkaufen. Und
       das Festival, das seine Fühler sonst immer in viele Richtungen ausstreckte,
       auf eine produktive Weise ausuferte, bisweilen aber auch ein bisschen
       zerfaserte, musste entsprechend schrumpfen.
       
       Konkret sieht das diesjährige Programm so aus: Am Mittwoch und den beiden
       folgenden Abenden wird eine jeweils einstündige Show, bestehend aus
       vorproduzierten Livesessions, aufwändigen digitalen Arbeiten und
       Mitschnitten aus Gesprächsrunden, uraufgeführt. Auch die sogenannten
       „commissioned works“ – vom Kuratorenteam zusammen mit den Künstlern
       entwickelte Auftragsarbeiten, die über die Jahre zu einer Art
       Alleinstellungsmerkmal des Festivals wurden, weil so tatsächlich manch
       ungewöhnliche Performances und Kollaboration ihr Publikum fanden – gibt es
       wieder, in filmischer Form.
       
       Einige Arbeiten werden in der Show vollständig präsentiert, andere nur
       angeteasert. Langversionen der jeweiligen Arbeiten kann man sich in der
       Pop-Kultur-Mediathek zu Gemüte führen – wo sie übrigens auch über die
       Festivaldauer hinaus verfügbar sein werden. Welche Strategie hat das
       Kuratorenteam genau verfolgt, beim schmerzhaften Eindampfen des
       ursprünglich ja viel umfänglicherem Programms?
       
       ## In andere Richtungen
       
       Morin beschreibt es als „konzeptionellen Schrumpfungsprozess, der die
       verschiedenen Aspekte, die das Festival besonders machen, in verkleinerter
       Form erhalten hat“. Hervorzuheben seien etwa „die Erzählungen außerhalb
       angloamerikanischer Popkultur in andere Richtungen, sei es nach Osteuropa
       und in afrikanische Länder“. Zugleich, so erklärt er, „haben wir versucht,
       die Diskursivität zu verschiedenen relevanten Themen und das
       geschlechtergerechte Booking im Kleinen zu erhalten“.
       
       Katja Lucker fügt hinzu: „Natürlich haben wir uns auf Künstler*innen
       konzentriert, von denen wir glauben, dass sie eine digitale Arbeit leisten
       können. Ihre Beiträge sind zum Teil sehr artifiziell und hochkünstlerisch.
       Das kann ja nicht jeder.“
       
       Headliner und die klassischen Publikumsmagneten fallen dieses Jahr weg, ein
       paar vertraute Anker gibt es trotzdem. Zum Beispiel [3][The Notwist], die
       in den frühen Neunzigern aus dem oberbayerischen Weilheim heraus Indiepop
       neu aufrollten und Experimentelles noch immer mit hohem
       Wiedererkennungswert zusammenbringen. Am Mittwoch wird die Band in einer
       Session erstmals Songs aus ihrem kommenden Album öffentlich vorstellen.
       
       Ebenfalls beim Auftaktabend zu erleben ist Preach, eine sexpositive
       Hamburger Musikerin mit ghanaischen Wurzeln, die experimentellen R & B mit
       Performancekunst zusammenbringt. Hier wird sie ihren Alias „Fathoeburger“
       vorstellen, in einem gut halbstündigen Clip als „commissioned work“. Im
       Teaser erklärt Preach, dass sie zwar nicht weiß, was genau ein Fathoeburger
       ist, dass sie aber wohl einer sei.
       
       ## Klangforschung mit Zukunftsszenario
       
       Preach sei gerade jedenfalls am Schlafen, Fathoeburger dagegen lebe in der
       Zukunft. Unterstützt wird sie bei ihrer Selbsterforschung von dem queeren
       Künstler Don Jegosah, in dessen Soulstimme trotz engelsreiner Anmutung
       etwas Rätselhaftes mitschwingt. Darüber hinaus scheinen sich in
       Fathoeburgers Zukunftsszenario klangliche Grenzen weitgehend aufgelöst zu
       haben.
       
       An eine völlig andere Ästhetik dockt Hendrik Otrembas Foto-Text-Collage
       „conditio benito“ an. Der Autor und Sänger der krautpunkigen Band
       [4][Messer] fotografiert seit Langem mit einer kleinen Minox-Kamera.
       Dutzende der Bilder, die so entstanden, collagierte er, zusammengehalten
       von einem eigens dafür geschriebenen Text, zu einem endzeitlich anmutenden
       Nachdenken über das Ende von Zivilisationen.
       
       Beiträge wie diese, in denen die Pandemie mehr als nur unterschwellig
       mitschwingt, bringen Co-Kurator Morin zum Schwärmen: „Ich hoffe, dass wir
       mit der digitalen Ausgabe eine Art Zeitdokument geschaffen haben.“ Lucker
       holt weiter noch aus: „Je öfter ich die Sachen sehe, desto mehr habe ich
       das Gefühl: Das sind Sachen, die später vielleicht wirklich mal in einer
       Galerie gezeigt werden können. Das hat Bestand und zeigt etwas
       Universelles, das zugleich mit dieser speziellen Zeit zu tun hat.“
       
       Sich von der Musik und ihren Erfahrungsräumen überwältigen lassen – damit
       wird es dieses Jahr bei Pop-Kultur tatsächlich wohl eher nichts. Einiges
       anderes wird dagegen schon gehen: Vielleicht entdeckt man sogar neue
       Möglichkeitsräume.
       
       25 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
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