# taz.de -- Interview mit Comiczeichner Ralf König: „Erotisiert bleiben“
       
       > Der Schöpfer von „Der bewegte Mann“ ist gerade 60 geworden. Ein Gespräch
       > über Schwule, Knollennasen und (nicht nur religiöse) Eiferer.
       
 (IMG) Bild: Der Comic-Autor Ralf König in seiner Kölner Wohnung
       
       taz am wochenende: Ralf König, Sie sind 60 Jahre alt geworden. Hatten Sie
       mit Anfang 20, als sehr junger Erwachsener, gedacht oder gar geplant, eine
       künstlerische Berühmtheit zu werden? 
       
       Ralf König: Ich war sechs oder sieben und hatte einen etwas älteren Cousin,
       der den Donald Duck gut draufhatte. Das machte mich neidisch, ich hab
       tagelang diesen verdammten Schnabel geübt. Damit ging’s wohl los. Zudem hab
       ich meine Freunde immer hinterm Kasperletheater so weit gebracht, dass sie
       sich vor Lachen auf dem Teppich rollten, das mit dem Pointendreschen ging
       also auch zu der Zeit los. Und ja, ich wollte schon früh bekannt werden und
       vom Comiczeichnen leben. Ich war ja nach der Schule zuerst Schreiner und
       damit gar nicht glücklich.
       
       Was ist ein Künstler? 
       
       Wenn er oder sie ein Stück weit die Hosen runterlässt, sinnbildlich
       gesprochen. Ich will, dass Kunst mich anstößt, gern auch verstört, auf
       ungewöhnliche Gedanken und Zusammenhänge bringt. Klar gibt es Kunst und vor
       allem Comics, die nur harmlos unterhalten wollen, aber mich inspiriert eher
       das Provozierende, nicht allzu Gefällige.
       
       Ein Junge aus der Provinz waren Sie, geboren im westfälischen Soest. Welche
       Vorbilder hatten Sie, wen verehren Sie noch heute unter Ihren Kolleginnen
       und Kollegen? 
       
       [1][Robert Crumb], die alte Socke …
       
       … ein berühmter amerikanischer Zeichner aus den sechziger Jahren.
       
       … der folgte in seinen Undergroundcomix immer seinen sexuellen
       Obsessionen, bezeichnenderweise wird er ja heute dafür angefeindet. Und die
       kürzlich verstorbene [2][Claire Bretécher], ihre „Frustrierten“ haben mich
       damals sehr beeindruckt. Was für geniale Zeichnungen! Aber auch Charles M.
       Schulz mit seinen „Peanuts“, da hab ich schon als Kind unbewusst viel
       gelernt übers Timing von gezeichneten Geschichten. Heute steh ich auf
       [3][Nicolas Mahler] und Fil. Und vermisse [4][Walter Moers], der schreibt
       ja nur noch Fantasy-Romane. Ich würde gern wissen, was das „Kleine
       Arschloch“ heute so treibt.
       
       War „Der bewegte Mann“, zumal dessen Verfilmung, der Marker, der über das
       schwule Spektrum hinaus Fame brachte? 
       
       Ja, klar. Das Buch wird heute als erste deutsche Graphic Novel gehandelt,
       weil es sich nicht um Form und übliche Seitenzahlen scherte. Dabei hab ich
       mir damals nichts gedacht: Billiger Filzstift und los! Mit der Verfilmung
       später ging’s natürlich nochmal richtig rund, obwohl ich damit wenig zu tun
       hatte. Die Popularität mit dem Film war für mich ein paar Tage irritierend.
       
       Ruhm ist Ruhm! 
       
       Vorher war ich so’n Szene-Insider-Typ, und plötzlich hatte auch ich jede
       Menge Heteros, die mein Zeug lasen. Ich wollte Schwule ja keinesfalls zur
       Belustigung vorführen! Aber letztlich entschied ich mich fürs
       Ehrlichbleiben. Soll’s lesen, wer will.
       
       Woher rühren die Charakteristika Ihrer Figuren? 
       
       Ich gebe wieder, was ich mir so denke, was ich erlebe oder bei anderen
       sehe. Das ist schon meistens nah an mir dran, von wegen Hosen runterlassen.
       
       Wann hatten Sie für Ihr legendäres Männerpaar Konrad & Paul den
       entscheidenden Zeichenstrich raus? 
       
       Wenn man Figuren wie sie über Jahrzehnte zeichnet, findet eine kleine
       Evolution statt. Die Nasen ändern sich allmählich, werden länger, kleiner,
       runder. Am liebsten würde ich die alten Sachen alle neu zeichnen, weil ich
       denke, heute bin ich besser.
       
       Wer sind die beiden – Konrad & Paul? 
       
       Konrad ist der gutbürgerliche, kultivierte Klavierlehrer, Paul die kleine
       geile Ledersau. Ich bin weder auf Leder noch auf Klavier, aber das sind
       schon zwei widersprüchliche Seiten in mir, die ich mit beiden aus mir
       heraus zeige, da fallen die Dialoge leicht. Wenn Paul dies sagt, entgegnet
       Konrad das, darauf sagt Paul wieder jenes, und Konrad bringt einen
       genervten Abschlussspruch. Ich höre den beiden fast nur zu.
       
       Sind beide immer gern schwul gewesen? Und Sie selbst? 
       
       Konrad war in jungen Jahren mal hetero, das war ich nie. Aber sonst
       betrachte ich mein Schwulsein als großen Lottogewinn des Lebens. Es war ein
       Tabuthema in den Achtzigern und Neunzigern, darum ging das mit den Comics
       sofort gut ab. Aber auch sonst … Mein Penis und ich hatten immer viel Spaß
       miteinander, gern auch mit anderen Penissen.
       
       Wie finden Ihre Eltern Ihre Arbeit, sind sie stolz auf ihren Sohn? 
       
       Meine Eltern sind über 90, die haben andere Sorgen, als stolz zu sein, aber
       ja, als das losging mit der Karriere, waren sie beeindruckt. Zuerst nicht
       so, wegen schwul, wir waren ja auf dem katholischen Dorf in Westfalen.
       Wobei meine gesamte Familie nie wirklich Comics gelesen hat, die fanden
       eher Zugang durch die Kinofilme oder das „Kondom des Grauens“-Puppentheater
       damals.
       
       Wie war es, als Junge in der Provinz aufzuwachsen – womöglich früh zu
       wissen, nicht Mädchen, sondern anderen Jungs hinterherzugucken? 
       
       Bei aller Heimlichkeit war das sehr spannend. Mit 11 entdeckte ich die
       Pornos im Nachtschrank meines Vaters, da war die Pubertät geritzt. Mit den
       Pornos war ich der King. Das Elternhaus stand abseits des Dorfes, und da
       floss ein kleiner Bach, da wurden von einer Sauerkrautfabrik die Abwässer
       eingelassen. Das roch dann oft säuerlich, aber wir Jungs haben uns da
       hinter den Büschen getroffen und auf die Pornos gewichst. Ich müsste einen
       Sauerkrautfetisch haben! Klar, später dann unglücklich in den Jungen
       verliebt, der an der Schulmauer das Mädchen abknutscht, aber Heimlichkeit
       hat ja auch ihren kreativen Reiz. Umso erlösender später die Befreiung, mit
       18, 19.
       
       Hat sich für schwule Männer seither viel zum Besseren, Möglicheren
       verändert? 
       
       Sicherlich. Allein durch all die Information und Aufklärung heutzutage. Ich
       las damals unter der Bettdecke Rosa von Praunheims „Sex und Karriere“, das
       Buch hatte ich zufällig am Bahnhofskiosk entdeckt. Da ging’s dann gleich
       um Tunten und Lederfetischszene mit Pissbadewannen in New York, aber ich
       erfuhr, da ist eine Welt da draußen, da will ich hin!
       
       Empfinden Sie weniger Homophobie heutzutage als früher? 
       
       Puh. Ich selbst erlebe keine Homophobie, das mag daran liegen, dass ich
       seit Jahrzehnten der schwule Comiczeichner bin und mitten in Köln lebe, ich
       habe mein Umfeld, und zu meinen Lesungen kommen nur die Leute, die meine
       Comics geil finden. In den Neunzigern war es noch ein politisches
       Statement, Arm in Arm mit meinem Freund durch die Dortmunder Fußgängerzone
       zu laufen, das hatte nichts Entspanntes. Ich weiß nicht, ob es heute für
       Jugendliche einfacher ist mit dem Coming-out, womöglich nicht. Mich machen
       vor allem die Zustände in anderen Ländern betroffen, Polen, Russland, auch
       dieser lustfeindliche religiöse Wahn, egal, welcher Gott was gegen Sex hat.
       Wie viel Angst da überall sein muss und Leid, furchtbar!
       
       Sind Sie glücklich mit den Figuren, die Sie zeichnen? 
       
       Glücklich? Die Figuren machen Spaß, Buchabgabetermine und Schreibkrisen
       weniger. Aber die Nasen sind auch ein Ventil, Frust abzulassen und mich
       selbst nicht zu ernst zu nehmen. Beziehungsstress, Liebeskummer, schlechter
       Sex, geiler Sex, Angst vor Krankheiten und Altwerden, das kriegen alles
       meine Nasen ab. Da bin ich froh, dass ich mit dem Scheiß nicht allein bin.
       
       Was war Corona für Sie – die Fülle Ihrer Zeichnungen auf Facebook deutet
       auf eine erhebliche Erfrischung für Sie hin? 
       
       Ja, der Lockdown war ein erfreulicher kreativer Arschtritt. Ich wäre sonst
       nie auf den Gedanken gekommen, jeden Morgen einen Konrad-&-Paul-Strip auf
       Facebook und Instagram zu posten. Mit Umsonstbespaßung war ich sonst immer
       zurückhaltend, ich lebe nun mal vom Buchverkauf und hoffe, die vielen
       Tausend Leute sind fair und kaufen die gesammelten Strips später auch als
       Buch.
       
       Sind Sie queer? 
       
       Nein, ich bin schwul. Den Ausdruck haben wir damals aus der Schmuddelecke
       geholt. Queer ist für mich ein Oberbegriff für alles, was nicht den
       heterosexuellen Üblichkeiten entspricht.
       
       Empfanden Sie die „Ehe für alle“ als einen Markstein schwuler und
       lesbischer Bürger(recht)lichkeit? 
       
       Der Konrad in mir sieht das so, ja. Mich hat das Thema „Homo-Ehe“ damals zu
       rot-grünen Zeiten gar nicht interessiert, da musste erst mein
       Rowohlt-Verlag kommen und mich aufmerksam machen, ob das nicht ein Thema
       für mich sei. Daraus wurde „Sie dürfen sich jetzt küssen“, ein gutes Buch,
       hat Spaß gemacht. Aber grundsätzlich sagt der Paul in mir, Beziehungen
       ändern sich und es könnte unklug sein, staatlichen Zement draufzugießen.
       
       Ralf König – ein Vater für junge Schwule? 
       
       Wohl eher der Opa! Weiß nicht, ob junge Schwule meine Comics lesen, wohl
       eher nicht. Und zum geilen Daddy eigne ich mich nicht, ich bin weder
       stämmig noch behaart. Leider.
       
       Sie sind von queeren Kreisen angefeindet worden, ja, man beschmierte Ihr
       Wandbild im Zentrum des Regenbogenlebens in Brüssel. Was war da los? 
       
       AktivistInnen meinten, die schwarze Lesbe auf einem Gruppenbild von mir in
       Brüssel habe zu rote Lippen, und die Trümmertunte sei eine Transfrau, die
       traurig guckt, weil sie behaart ist und dick. Also besprühten sie eines
       Nachts das Bild mit den Worten „transphob“ und „rassistisch“. Mein
       Kommentar war, dass die jung sind, nie ein Buch von mir gelesen und sich
       vorm Sprühen nicht interessiert haben, wer ich bin und wofür ich mit den
       Comics seit 40 Jahren stehe. Wenn sich jemand ernsthaft beleidigt fühlt,
       sollen sie das Bild wegmachen, es ist ja ihre Wand, dachte ich! Aber mir in
       einer langen Mail darzulegen, was Karikatur darf und was nicht, und mich
       aufzufordern, den Entwurf dahingehend zu verschönern, fand ich dreist.
       Immerhin war das Bild eine Auftragsarbeit vom Rainbowhouse in Brüssel
       selbst, es wurde damals feierlich eingeweiht und war vier Jahre lang in
       Ordnung.
       
       Hat Köln als Lebensmittelpunkt Sie geerdet gehalten, etwa im Vergleich mit
       dem oft überheizten Berlin? 
       
       Ach, Köln! Ich bin mit 30 hierhergezogen, das war im Vergleich zu Dortmund
       Sex and Drugs und Karneval. Und hier wohnen auch Konrad & Paul, klar. Jetzt
       bin ich 60 und find’s zu eng und zu laut. Aber ich hab meine Freunde hier,
       die packt man ja nicht einfach in den Koffer und zieht aufs Land. Olaf,
       mein Partner, lebt in Prenzlauer Berg, da ist es im Vergleich
       tiefenentspannt.
       
       Ist schwuler Humor, etwa im Hinblick auf Frauen, out? 
       
       Der Vorwurf, frauenfeindlich zu sein, begleitet mich von Anfang an. Dabei
       sind bei mir auch die Männer Dumpfnasen oder ständig testosteronbesoffen.
       Und zum Glück sind gut die Hälfte meiner Leser Leserinnen, die herzhaft
       mitlachen. Ich glaube nicht, dass schwuler Humor out ist, wer sollte das
       bestimmen, die politisch Korrekten? Im Gegenteil, gut, mal aus einer
       anderen Geschlechterperspektive zu lachen.
       
       Müssen Sie mehr auf Trans*präsenz in Ihren Zeichnungen achten – oder trägt
       man Ihnen dies an? 
       
       Bisher hat das niemand gefordert, und wenn ich das mache, dann hoffentlich
       aus meinem eigenen Interesse und Erleben heraus. Ich erzähle lieber
       Geschichten über das, wo ich mich einigermaßen auskenne, und das sind vor
       allem schwule Männer. Darum kommen bei mir auch so wenig Lesben vor, nicht
       weil ich die nicht komisch finde – Lesben sind sehr komisch –, sondern weil
       ich nicht weiß, wie sie untereinander drauf sind, wie sie miteinander
       reden. Ähnlich ist es bei Transleuten. Ich fühle mich aber auch nicht in
       der Pflicht, sämtliche Strömungen in der queeren Szene zu verknollnasen, da
       können gern andere Zeichner und Zeichnerinnen ran, die näher am Geschehen
       sind.
       
       Sie haben sich vor Jahren in die Debatte um die Mohammed-Karikaturen
       eingemischt – und dafür plädiert, dass man vor Religionen wie dem Islam
       nicht zurückweicht. Können Sie uns das erläutern? 
       
       Na ja, was gibt’s zu erläutern. Wo Religion das Sagen hat, steht’s um
       Menschenrechte schlecht.
       
       Aber zugleich haben Sie sich aus diesem Themenfeld zurückgezogen … 
       
       Das war zehn Jahre später, nach den Morden in der Charlie-Hebdo-Redaktion
       in Paris. Da stand das Telefon nicht still, weil ich der
       religionsverwurstende Zeichner war, alle wollten mit mir reden, von
       Bild-Zeitung bis Talkshow. Mein Agent kannte einige der Erschossenen
       persönlich und war sehr panisch drauf, er verlangte, dass ich mich diesmal
       nicht in der Öffentlichkeit äußere, aus Angst vor Nachahmern. Da hatte ich
       aber schon was dazu auf Facebook gepostet. Ich sollte das löschen. Wir
       haben uns sehr gestritten, dann hab ich’s schließlich entnervt gelöscht.
       Und prompt titelte der Tagesspiegel: „Ralf König zieht kontroversen Cartoon
       zurück!“ In den Foren war ich plötzlich der Feigling der Nation, das war
       schon übel. Inzwischen kriegt man den Shitstorm, wenn man sich kritisch zum
       Islam äußert, siehe bei meiner Kollegin Franziska Becker. Das ist dann
       gleich rassistisch.
       
       Wie ist es, 60 Jahre geworden zu sein? „Herbst in der Hose“, wie einer
       Ihrer neuesten Buchtitel heißt? 
       
       Ich bin jeden Tag überrascht, dass ich schon ein alter Sack bin. Und wenig
       erfreut. Draußen im Sommer überall die jungen schönen Kerle mit den
       Vollbärten, und da geht dieser Opa über den Gehweg! Das mit der Libido
       überprüfe ich jeden Tag, noch alles okay, Danke der Nachfrage. Und wenn da
       mal was nachlässt, kriegt es Paul ab, die arme Sau.
       
       Ihr Geburtstag … 
       
       … meine runden Geburtstage waren immer rauschende Feste mit kostümierten
       Partygästen und Tuntenshow und Tanz und Knutsch. Wie soll das gehen mit
       Sicherheitsabstand und Maske! Es ist ein Jammer, aber diesmal fand nicht
       viel statt.
       
       What makes you tick – was hat Sie innerlich immer angetrieben? 
       
       Sex! Ich bin so billig. Eine Energiequelle sondergleichen, als Trieb
       sowieso, aber auch als Thema. Wenn ich nicht ’n bisschen erotisiert bin,
       geht’s mir auch nicht gut, da bin ich gleich deprimiert.
       
       Ihre Pläne für die nächsten 30 Jahre? 
       
       Erotisiert bleiben. Ich werde sowieso eher alterspeinlich als altersmilde.
       Scheint mir unterhaltsamer.
       
       17 Aug 2020
       
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