# taz.de -- Streit zwischen Griechenland und der Türkei: Hoffen auf die Schweiz
       
       > Im türkisch-griechischen Streit geht es um mehr als Öl unter dem Meer:
       > Seit dem Ersten Weltkrieg sind die Verhältnisse im östlichen Mittelmeer
       > ungeklärt.
       
 (IMG) Bild: Griechische Zyprer mit einer eroberten türkischen Flagge während Auseinandersetzungen 1963/64
       
       Nein, das Vorgehen der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan im
       Streit um Schürfrechte an [1][Öl und Gas im Mittelmeer] ist nicht
       akzeptabel. Militärische Drohgebärden zur Regelung territorialer
       Streitfragen sollten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mindestens in
       Europa passé sein. Im Ernst glaubt wohl auch [2][Erdoğan] nicht daran,
       durch einen Krieg die Position der Türkei verbessern zu können. Zumal seine
       aggressive Politik dazu geführt hat, dass Ankara unter den Anrainerstaaten
       im östlichen Mittelmeer keine Verbündeten mehr hat – bis auf die schwache
       libysche Regierung in Tripolis.
       
       Doch sosehr die Figur Erdoğan dazu einlädt, dessen Ansprüche als illegitim
       abzuschmettern – so eindeutig, wie der [3][griechische Premier Mitsotakis]
       tut, ist die Geschichte auch wieder nicht. Denn es geht bei Weitem nicht
       nur um Gas. Sondern darum, die seit dem Ersten Weltkrieg offenen Fragen und
       Konflikte im östlichen Mittelmeer endlich zu klären.
       
       Die dem aktuellen Streit zugrunde liegenden Konflikte um Zypern und die
       Seerechte in der Ägäis sind sehr viel älter als die Herrschaft von Erdoğan
       in Ankara. Sie haben Generationen türkischer und griechischer Politiker
       beschäftigt, sie haben die beiden Länder zu einem Krieg in Zypern und
       mehrfach an den Rand eines Kriegs in der Ägäis gebracht.
       
       Im Kern gründen die Probleme in ungelösten Konflikten, die seit dem Ersten
       Weltkrieg am gesamten östlichen Mittelmeer schwelen. Bekanntermaßen teilten
       Briten und Franzosen 1916 im Sykes-Picot-Abkommen die arabischen Gebiete
       des Osmanischen Reiches untereinander auf und etablierten dort Grenzen und
       Staaten, die den Nahen Osten bis heute nicht zur Ruhe kommen lassen.
       Darüber hinaus blieb Zypern britische Kolonie, und Italien behielt die
       Dodekanesinseln mit Rhodos als Hauptstadt, die es bereits 1912 im Krieg mit
       dem Osmanischen Reich besetzt hatte. Dazu kamen der griechische Einmarsch
       in die Türkei 1920 und der anschließende türkische Befreiungskrieg, der zum
       Gründungsmythos der heutigen Republik Türkei wurde.
       
       ## Vakuum im östlichen Mittelmeer
       
       Ohne allzu sehr in geschichtliche Details zu gehen: Genau wie Europa nach
       dem Ersten Weltkrieg nicht wirklich befriedet war, was mit ein Grund für
       den Aufstieg Hitlers war, genauso wenig waren die Verhältnisse rund um das
       östliche Mittelmeer für die dort lebenden Menschen geklärt. Und anders als
       in Europa im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg wurde die Situation rund um
       das östliche Mittelmeer bis heute nicht zufriedenstellend geregelt.
       Zunächst prägten antikoloniale Kämpfe gegen Briten und Franzosen das Bild,
       deren Hinterlassenschaft in Palästina, auf Zypern, aber auch im Irak, in
       Syrien und im Libanon bis heute für Unruhe sorgt. Dann wurden der Nahe
       Osten und das östliche Mittelmeer in die Zwangsjacke des Kalten Kriegs
       gesteckt.
       
       Die schwelenden Konflikte zwischen der Türkei und Griechenland wurden
       fortan in letzter Instanz vom großen Bruder in Washington geregelt. Das
       ursprüngliche Vorhaben, das harte Programm der Nato durch das weiche
       Konzept der EU zu ergänzen, scheiterte, weil die EU letztlich nicht willens
       und in der Lage war, nach Griechenland auch noch die Türkei in das
       europäische Bündnis zu integrieren. Seit auch die Bindungskraft der Nato
       schwindet – und erst recht, seit US-Präsident Donald Trump den Nahen Osten
       und Umgebung am liebsten ganz hinter sich lassen möchte –, ist im östlichen
       Mittelmeer ein riesiges Vakuum entstanden. Griechenland steht jetzt als
       EU-Mitglied einer isolierten Türkei gegenüber, die zwischen Moskau und
       Washington hin und her taumelt und sich in einem neuen nationalistischen
       Überschwang als Großmacht in der Region geriert. Griechenland dagegen
       glaubt mit Deckung der EU, insbesondere Frankreichs, keinerlei Kompromisse
       eingehen zu müssen. Das macht die Situation so gefährlich.
       
       Die Konflikte zwischen Griechenland und der Türkei haben eine juristische
       und eine politische Dimension. Man kann sie nicht lösen, indem man sich
       lediglich, wie die griechische Regierung es tut, auf seine vermeintlich
       legitimen, vom UN-Seerecht angeblich gedeckten Positionen zurückzieht.
       Erstens sind die Hoheitsrechte nicht ganz so eindeutig, und zweitens sind
       juristische Lösungen immer nur dann möglich, wenn beide Seiten den
       politischen Willen zur Einigung haben. Selbst Großbritannien und Frankreich
       haben viele Jahre gebraucht, bis sie sich in einem Schiedsgerichtsverfahren
       1977 auf ihre Hoheitsgebiete im Ärmelkanal geeinigt haben und das Problem
       der britischen Kanalinseln, wenige Kilometer vor der französischen Küste,
       lösen konnten. Dazu brauchte es viel guten Willen und unabhängige
       Schiedsgerichte, deren Spruch dann auch alle Beteiligten akzeptieren
       mussten.
       
       Trotz Erdoğans Drohgebärden ist die Türkei selbst unter diesem Präsidenten
       durchaus zu Verhandlungen bereit. Bei einem Besuch von Außenminister
       Cavusoğlu in Bern am letzten Freitag hat nach Informationen der NZZ die
       Schweiz angeboten, sich als neutrale Vermittlerin einzuschalten.
       
       2009 vermittelte die Schweiz schon einmal erfolgreich zwischen der Türkei
       und Armenien. Dass aus dem Abkommen dann nichts wurde, lag daran, dass
       beide Parlamente es letztlich nicht ratifizierten. Auch am letzten Versuch,
       für Zypern eine politische Lösung zu finden, war die Schweiz als Gastgeber
       der Verhandlungsdelegationen beteiligt. Das Schweizer Außenministerium
       denkt daran, in ein solches Vermittlungsverfahren neben der Türkei und
       Griechenland auch Zypern einzubeziehen – sowohl die international
       anerkannte griechisch-zypriotische Regierung als auch Vertreter der
       türkischen Minderheit.
       
       Es liegt an Griechenland, ob es zu Verhandlungen kommt oder ob die
       griechische Regierung darauf setzt, bei einer weiteren Eskalation letztlich
       als Siegerin vom Platz zu gehen. Bei dieser Entscheidung dürfte die EU eine
       wichtige Rolle spielen.
       
       21 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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