# taz.de -- Vor den US-Präsidentschaftswahlen: Nur nicht zu früh freuen
       
       > Es sieht gut aus für Joe Biden. Aber der Wahlkampf während der Pandemie
       > ist mit keinem vorherigen vergleichbar – wer profitiert am Ende?
       
 (IMG) Bild: Joe Biden in Dunmore im Juli
       
       NEW YORK taz | Für Donald Trump war die zurückliegende Woche die
       unerfreulichste seiner bisherigen Amtszeit. Die Zahl der Corona-Infizierten
       erreichte die 4-Millionen-Grenze. Täglich stecken sich weitere 66.000
       Menschen in den USA mit dem Virus an. In mehreren republikanisch regierten
       Bundesstaaten des Südens wütet das Virus wie nie zuvor. Auf dem
       Arbeitsmarkt, dessen angebliche Erholung Trump erst kürzlich gefeiert hat,
       wendet sich die Entwicklung, 1,4 Millionen weitere Personen haben sich
       arbeitslos gemeldet.
       
       Und in Florida, wo Trump seine Luxusresidenz und seinen Hauptwohnsitz hat,
       laufen ihm WählerInnen in noch größeren Scharen weg als im Rest der
       Republik – darunter besonders viele SeniorInnen und Weiße mit
       Universitätsabschluss. Der Demokrat Joe Biden liegt in dem Swingstaat, der
       bei den Präsidentschaftswahlen im November den Ausschlag geben könnte, im
       Augenblick vorne, mit einem Vorsprung von 7 bis 13 Prozentpunkten, je nach
       Umfrage.
       
       Dann erschien nach einem vorübergehenden richterlichen Verbot auch noch das
       Buch von Trumps Nichte Mary Trump, in dem sie Familiengeheimnisse über ihn
       auspackt. Am Donnerstag machte Trump den längst überfälligen Rückzieher: Er
       [1][sagte den in Jacksonville, Florida, geplanten Teil seines Parteitags
       ab]. Dort sollte seine triumphale zweite Krönung zum republikanischen
       Präsidentschaftskandidaten stattfinden.
       
       ## Virtueller republikanischer Parteitag
       
       Erst Anfang Juni hatte Trump einen Teil des Parteitags mit Getöse von North
       Carolina abgezogen, weil die Bürgermeisterin von Charlotte und der
       Gouverneur von North Carolina – zwei DemokratInnen – nicht bereit waren,
       für ihn auf die Maskenpflicht und andere Gesundheitsauflagen zu verzichten.
       „Dies ist nicht die richtige Zeit für einen Parteitag“, sagte Trump nun,
       „ich muss das amerikanische Volk schützen.“ Der republikanische Parteitag
       im August wird weitgehend virtuell stattfinden. RepublikanerInnen in
       Jacksonville, die Masseninfektionen bei dem Parteitag befürchtet hatten,
       sind erleichtert.
       
       Trumps Slogans sind so fremdenfeindlich wie eh und je. Um WählerInnen
       außerhalb seiner radikalen Basis zu bekommen, wollte er auch mit Erfolgen
       in der Wirtschaft punkten. Das hat er jetzt aber aufgegeben. Und tritt nun
       die Flucht nach vorn an, in die Law-and-Order-Politik. Er schickt
       BundespolizistInnen in demokratisch regierte Städte, gegen den erklärten
       Willen der dortigen BürgermeisterInnen. Die PolizistInnen gehen wie
       Besatzungstruppen gegen DemonstrantInnen vor.
       
       Die DemokratInnen haben ihren in Milwaukee, Wisconsin, geplanten Parteitag
       wegen der Pandemie bereits Ende Juni radikal geschrumpft. Statt der
       ursprünglich erwarteten 50.000 Menschen werden nur ein paar Hundert kommen.
       Die Diskussionen und Abstimmungen finden bei beiden Parteien virtuell
       statt. Aber im Unterschied zu den RepublikanerInnen gehen die DemokratInnen
       in demonstrativer Geschlossenheit in den Endspurt ihres Wahlkampfs. Alle
       ehemaligen RivalInnen von Biden haben sich hinter ihn gestellt. Bernie
       Sanders, Bidens stärkster Gegenspieler, wird am Mittwoch seinen mehr als
       1.000 Delegierten bei einer Telefonkonferenz empfehlen, Biden zu
       unterstützen.
       
       Der demokratische Sozialist Sanders und Biden, der Zeit seines Lebens zum
       Unternehmer-Flügel der Partei gehörte, haben sich in den zurückliegenden
       Wochen in einer „Unity Task Force“ in Fragen einer allgemeinen
       Krankenversicherungspflicht und eines Schuldenschnitts für StudentInnen
       angenähert. „Er wird der progressivste Präsident seit FDR“,
       [2][prognostiziert Sanders]. Franklin D. Roosevelt hat die USA in den
       1930er Jahren mit dem „New Deal“, einer Sozialversicherung und einem
       bundesweiten Mindestlohn aus der Großen Depression geführt.
       
       Der Ton der Sanders-UnterstützerInnen ist versöhnlicher als 2016, als sie
       bis zum Parteitag Kampagne gegen Hillary Clinton machten. Alle wissen,
       welchen Schaden Trump anrichten kann. Das bringt sie zusammen. Biden, der
       [3][seinen dritten Anlauf auf das Weiße Haus] macht (nach 1988 und 2008),
       ist außerdem persönlich nicht annähernd so umstritten wie Clinton. Trotzdem
       misstrauen viele „Berniecrats“ dem Linksruck. Das liegt einerseits an
       Bidens politischer Vita – er setzte Strafrechtsverschärfungen, Kürzungen
       der Sozialausgaben und Kriege durch – und andererseits am Werben von
       „moderaten“ RepublikanerInnen um Biden.
       
       Einer von ihnen, der einstige Gouverneur von Ohio, John Kasich, ist als
       Redner auf dem Demokratischen Parteitag angekündigt. Andere – darunter auch
       ehemalige Trump-MitarbeiterInnen, die sich „Lincoln Project“ nennen, sowie
       eine Gruppe namens Republican Voters against Trump – veröffentlichen
       Wahlkampfvideos, in denen sie sagen, dass Trump sich („geistig, körperlich
       und intellektuell“) nicht für das Amt eignet. Von den sozialen
       Fortschritten, die linke DemokratInnen wollen, sind diese moderaten
       RepublikanerInnen aber weit entfernt.
       
       Trump redet täglich auf allen möglichen TV-Kanälen. Biden ist seit dem
       Beginn der Pandemie in seinem Haus im Bundesstaat Delaware verschwunden.
       Gelegentlich meldet er sich aus einem Fernsehstudio im Keller. Doch diese
       Videos sind nur im Internet zu sehen.
       
       Vor allen Dingen wartete Biden bisher ab – während Trump durch immer neue
       Fehler im Management von Pandemie und Wirtschaftskrise immer tiefer in die
       Krise schlitterte. Doch jetzt steigen die Stars in Bidens Wahlkampf ein –
       darunter Ex-Präsident Barack Obama. In einem Kampagnenvideo kommen die
       beiden Männer, die acht Jahre lang die Nummer eins und zwei der USA waren,
       mit Masken aus getrennten Aufzügen und nehmen in einem großen Raum Platz.
       Vor einer holzgetäfelten Wand, die mit US-Fahne und roten Boxhandschuhen
       geschmückt ist, sagt Biden, dass die gemeinsamen Jahre mit Obama „der
       Anfang“ waren, auf dem er aufbauen wolle. Obama sagt, dass Biden einen
       guten Charakter und Einfühlungsvermögen habe.
       
       100 Tage vor der Wahl klingen die großen Medien der USA so, als hätte Biden
       den Sieg in der Tasche. Das erinnert an den Sommer 2016, als fast alle auf
       eine Präsidentin Clinton setzten. Für die Situation in diesem Jahr fehlen
       jegliche Vergleichswerte. Noch nie fand ein Wahlkampf fast ausschließlich
       virtuell statt. Noch nie mussten die großen Auftritte in Stadien und die
       Hausbesuche bei WählerInnen wegen einer Pandemie ausfallen. Und noch nie
       saß ein Amtsinhaber im Weißen Haus, der seinem Rivalen nicht politisch
       antwortet, sondern ihn mit persönlichen Beleidigungen bedenkt. „Sleepy Joe“
       – schläfriger Joe – nennt Trump Biden und behauptet, dass dieser von
       Sozialisten manipuliert werde. Bislang ist nicht einmal geklärt, ob die
       beiden Kandidaten im Fernsehen debattieren werden.
       
       In dieser Woche hat Trump seine täglichen Briefings im Weißen Haus wieder
       aufgenommen. Dabei liefert er den Fremdenhass, mit dem er schon beim
       letzten Mal seiner Basis gefiel. Bloß redet er dieses Mal weniger von
       Mexikanern, die vergewaltigen und dealen, als von der „Kung Flu“ und dem
       „China-Virus“. Auch eines seiner anderen Leitmotive hat er den Zeiten der
       Pandemie angepasst: Wahlfälschung. 2016 behauptete er wahrheitswidrig, dass
       „Millionen Illegale“ gewählt hätten, heute warnt er vor der Briefwahl. Das
       ist zwar die einzige Möglichkeit der Stimmabgabe ohne Ansteckungsgefahr,
       doch Trump unterstellt, die DemokratInnen wollten damit einen „totalen
       Wahlbetrug“ vorbereiten.
       
       In seiner Selbstdarstellung markiert der US-Präsident den starken Mann, der
       in den Städten, wo DemokratInnen „versagen“, für Ordnung sorgt. Er will die
       Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt, die seit Ende Mai auf den
       Straßen ist, zu einem Problem der öffentlichen Sicherheit machen. Und er
       will die LehrerInnen zwingen, im Herbst wieder in den Schulen zu
       unterrichten – egal wie sich die Pandemie entwickelt.
       
       Bidens größte Befürchtung ist, dass Trump am 3. November die Wahlen
       „stehlen“ wird. Als ein Interviewer des rechten Senders Fox News den
       US-Präsidenten fragte, ob er eine Niederlage eingestehen würde, antwortete
       dieser kraftmeierisch: „Wir werden sehen.“
       
       25 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Trump-und-die-Corona-Krise-in-den-USA/!5703719
 (DIR) [2] /Vorwahlen-bei-den-US-Demokraten/!5677819
 (DIR) [3] /Praesidentschaftswahl-in-den-USA/!5690862
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Hahn
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Schwerpunkt USA unter Donald Trump
 (DIR) US-Wahl 2024
 (DIR) Donald Trump
 (DIR) Joe Biden
 (DIR) USA
 (DIR) US-Wahl 2024
 (DIR) US-Wahl 2024
 (DIR) US-Wahl 2024
 (DIR) US-Wahl 2024
 (DIR) US-Wahl 2024
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Rücktritt von Trump-Beraterin Conway: Family first
       
       Beraterin Kellyanne Conway half Trump ins Weiße Haus und prägte den Begriff
       „alternative Fakten“. Nun gibt sie ihren Job auf.
       
 (DIR) Parteitag der US-Demokraten: Biden wird offizieller Kandidat
       
       Mit großer Mehrheit wird Joe Biden als Herausforderer von Trump bei der
       Präsidentschaftswahl gewählt. Virtuell erhält er viel Unterstützung.
       
 (DIR) Kandidatin für Vizepräsidentschaft: Joe Biden wählt Kamala Harris
       
       Der Demokrat geht mit der US-Senatorin Harris ins Präsidentschaftsrennen.
       Die Schwarze Politikerin würde bei einem Wahlsieg erste Vizepräsidentin der
       USA.
       
 (DIR) Trump erwägt Verschiebung der US-Wahl: Spiel mit dem Feuer
       
       Der US-Präsident weiß, dass er die Wahl nicht verschieben kann, und stiftet
       Chaos. Viele haben Angst vor einem Bürgerkrieg.
       
 (DIR) Trump und die Corona-Krise in den USA: Parteitag doch kein Massenevent
       
       Wegen der rasant ansteigenden Infektionszahlen sagt Donald Trump den
       republikanischen Parteitag in Florida ab. Er möchte „ein Vorbild sein“.
       
 (DIR) Trump entsendet Bundespolizei: Kriegserklärung an die Städte
       
       Trump hat politisch auf der ganzen Linie versagt, seine Popularität
       befindet sich im freien Fall. Jetzt wütet er mit den Methoden einer
       Diktatur.
       
 (DIR) Trump kündigt weitere Polizeieinsätze an: Portland war nur der Anfang
       
       Trotz massiver Kritik am Einsatz in Portland will US-Präsident Trump in
       weitere Städte Bundestruppen schicken. Alle werden von Demokraten regiert.