# taz.de -- Zum Tod von Zeev Sternhell: Superzionist und Palästinafreund
       
       > Zeev Sternhell war einer der bekanntesten Politikwissenschaftler Israels.
       > Im Alter von 85 Jahren ist er am 21. Juni gestorben.
       
 (IMG) Bild: „In Zeiten von Frieden und Wohlstand fühlt man seine Existenz nicht“, sagte Zeev Sternhell
       
       Er sagte, er befände sich gerade in seinem Garten und dächte nach. Immer
       müsse er grübeln, sich mit Fragen beschäftigen, die ihn zeitlebens
       umtreiben. Zeev Sternhell hatte ich mir in typisch israelischer
       Freizeitkluft vorgestellt, als wir zum Gespräch zusammenfanden,
       telefonisch: „Ich bin gerade bei schönem Wetter draußen und kümmer mich um
       Blumen“, sagte er.
       
       Und dann sprach er doch über seinen nahenden Ausflug nach Berlin. Dort
       würde ein Festival zum [1][100. Geburtstag von Peter Weiss] stattfinden,
       ein öffentliches Nachdenken zu Ehren von einem, der sich auch immer wieder
       die Frage stellte: Wie konnte das geschehen? Also das
       Nationalsozialistische, das Deutsche im Völkischen, dieser mal hanswurstige
       Hass auf das Jüdische nach Muster Adolf Eichmanns, der so oft gierig,
       schnäppchenjägerhaft sich zeigte – oder der, vor allem im Osten Europas,
       sich in einer Art blutiger Niedertracht offenbarte.
       
       Sternhell, 1935 im polnischen Przemyśl geboren, vor dem Holocaust versteckt
       durch katholische Helfer:innen, ging nach der Schoah nach Israel. Später
       schrieb er über diese Reise in ein unbekanntes, gelobtes, Überleben
       sicherndes Land:
       
       Die reine Tatsache, dass diese Juden, die in die Ghettos gingen, die man
       durch die Straßen jagte, die man tötete und schlachtete, nun aufstehen und
       sich einen Staat errichten. Ich betrachtete dies wirklich als ein Wunder.
       Dies war ein historisches Ereignis von beinahe metaphysischer Dimension.
       Und plötzlich gibt es Juden, die Minister sind, Juden, die Offiziere sind,
       und einen Pass, Uniformen, eine Flagge. Und jetzt haben die Juden, was die
       Goyim haben. Sie sind nicht mehr von den Goyim abhängig. Sie können auf
       sich selbst aufpassen. Die Gründung des Staates war für mich wie die
       Schöpfung der Welt. In meinem ganzen Leben gab es keinen aufregenderen
       Moment. Er versetzte mich in eine Art Rauschzustand.“ 
       
       Dort, als Politikwissenschaftler, entwickelte er ein besonderes Verständnis
       für die Genese des Nationalsozialistischen. Er lehnte, so seine Kernthese,
       die Behauptung des deutschen Historikers Ernst Nolte ab, der
       Nationalsozialismus sei im Grund eine Reaktion auf den Bolschewismus der
       1918 gegründeten UdSSR, des ersten sozialistischen Staates der Welt – um
       sich die Deutschen und ihre angebliche Vernichtungsangst vor den „roten
       Fluten“ der Sowjetunion vorstellbar und verstehbar zu machen.
       
       Sternhell lehnte dieses Urteil quellengesättigt durch das Studium der für
       Völkisches anfälligen Konservativen ab: Der Nationalsozialismus war aus
       sich selbst heraus terminatorisch, tödlich, planvoll kriegerisch – das
       Jüdische als angebliches Verhängnis der Welt, vor allem der deutschen Welt,
       sollte ausgelöscht werden. Als Politologe war er in seiner Zunft
       weltberühmt, ausgezeichnet durch viele Preise.
       
       ## Kritik an Siedlungspolitik
       
       2008 wurde Sternhell Opfer eines Attentats, mutmaßlich ausgeübt durch einen
       rechtsradikalen Siedler im Westjordanland, nachdem er die Siedlungspolitik
       der israelischen Regierung scharf kritisiert hatte. So sehr er sich als
       Zionisten, ja [2][„Superzionisten“] bezeichnete, so sehr wollte er
       andererseits einen gleich starken Nationalstaat der Palästinenser als
       Nachbarn Israels. Wer das eigene Land, eben Israel, ernst nehme, müsse das
       andere Land, das der Palästinenser, ebenso respektieren.
       
       Zur rechten Renaissance in Europa – auch in Israel, wie er betonte –,
       [3][sagte er]:
       
       Die extreme Rechte ist in Frankreich, Holland oder Israel nicht weniger
       stark. Faschismus gehört zu unserer Geschichte. Er ist eine permanente
       Bedrohung für die liberale Demokratie und für die soziale Demokratie, die
       beide im Geist der Aufklärung verwurzelt sind. Es ist ein ruhendes
       Phänomen: In Zeiten von Frieden und Wohlstand fühlt man seine Existenz
       nicht. Aber in schwierigen Zeiten wie jenen, die wir gerade erleben,
       gewinnen faschistische Ideen an Stärke und treten zutage. Faschismus
       befasste sich und befasst sich weiterhin mit einem realen Problem: Die
       Natur von sozialen Beziehungen. 
       
       Kränklich war er in jüngerer Zeit, altersgemäß, schon länger, wach
       gleichwohl. Am Sonntag, 21. Juni, ist er an den Komplikationen einer
       Operationen, wie es seitens der Hebräischen Universität in Jerusalem heißt,
       im Alter von 85 Jahren gestorben.
       
       22 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Zum-100-Geburstag-von-Peter-Weiss/!5350825
 (DIR) [2] https://blog.zeit.de/joerglau/2008/09/27/attentat-auf-faschismusforscher-in-israel_1315
 (DIR) [3] /Zeev-Sternhell-ueber-Faschismus/!5339974
       
       ## AUTOREN
       
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