# taz.de -- Jugendlicher Polit-Youtuber aus Bremen: „Fragen kostet nichts“
       
       > Leonard Geßner ist 15 Jahre alt. Für sein Online-Format „Die Fragen
       > stelle ich!“ interviewte er zwei Jahre lang Politiker*innen – nur
       > scheinbar naiv.
       
 (IMG) Bild: Seelenverwandte: Leonard Geßner (r.) interviewt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
       
       Hamburg taz | „Sie sind ja jetzt schon ein bisschen Politiker. Haben Sie
       vor, bis zur Rente auch Politik zu machen?“ Bei der Frage muss Christian
       Lindner erst mal schlucken – so etwas ist der FDP-Chef und professionelle
       Selbstdarsteller in einem Interview erkennbar nicht gewohnt.
       [1][Vermeintlich naive Fragen] wie diese sind ein Markenzeichen des
       Youtubers Leonard Geßner. Zwei Jahre lang lässt sich der inzwischen
       15-jährige Bremer von Politiker*innen nun schon die Welt erklären.
       
       Es scheint, als spekuliere er darauf, dass die überwiegend geschliffenen
       Rhetoriker*innen bei einem anfangs ja gerade mal 13 Jahre alten Interviewer
       nicht ganz so auf der Hut. Da ist es dann vielleicht kein bisschen naiv,
       wenn er Alice Weidel (AfD) fragt, ob sie gerne Bundeskanzlerin wäre. Oder
       Jens Spahn (CDU), wie er es eigentlich geschafft habe, Bundesminister zu
       werden.
       
       Geßner beginnt immer mit der Bitte ans Gegenüber, sich kurz vorzustellen.
       Und schon da sind die Reaktionen interessant. Fast alle stocken kurz –
       solche Polit-Alphatierchen setzen offensichtlich voraus, dass sie keiner
       Vorstellung mehr bedürfen. Aber Geßner hat den Anspruch, den Menschen
       seiner Generation Politik näher zu bringen, und da ist es mit der
       Bekanntheit der ach so Bekannten nicht weit her.
       
       ## Eine einzige Einstellung
       
       „[2][Politik der Generation Z“ heißt Geßners Youtube-Kanal] – ein geradezu
       altbackener Titel, und mit den Medienvorlieben heutiger Zwölf- bis
       18-Jähriger scheint auch das Format selbst erst mal wenig zu tun zu haben:
       Zwischen 15 und 37 Minuten lang sind die Beiträge und bestehen meist aus
       einer einzigen Kameraeinstellung: links Geßner, rechts sein Gast. Oder
       umgekehrt.
       
       Natürlich hat er kein Team, und wenn er in den vergangenen zwei Jahren
       ungefähr alle zehn Wochen für einige Tage nach Berlin fuhr, passte seine
       gesamte Aufnahmetechnik in Geßners Rucksack. Manchmal schaut er während des
       Interviews dann auch besorgt in die Kamera: Gleich bei einem seiner ersten
       Interviews überhitzte seine Digitalkamera und fiel aus.
       
       Die Beiträge auf seinem Kanal bestehen also zum allergrößten Teil aus
       Gesprächen eines Schülers mit Profi-Politiker*innen; solchen aus Bremen,
       aber auch echten Bundesebene-Promis. Dabei weiß Geßner selbst: Die
       Konzentrationsspanne von Mediennutzer*innen seiner Generation, das gilt als
       erwiesen, ist kurz. Und dennoch macht er die Sache richtig, er wirkt
       authentisch und glaubwürdig.
       
       Sein minimalistischer Stil wurde aus der Not geboren: Damals mit 13 wusste
       er kaum etwas von Kameraperspektiven oder Schnitt, Geld hatte (und hat) er
       auch keins. Er sieht ein wenig aus wie ein Klassenprimus und braver Sohn –
       seine einzige Referenzperson ist laut den Interviews, die ausnahmsweise mal
       er anderen gegeben hat, denn auch seine Mutter. Die habe gesagt: „Fragen
       kostet nichts“, als er mit der Idee zu ihr gekommen sei.
       
       ## Am Frühstückstisch ausgefragt
       
       „Nicht vor dem ersten Kaffee“, auch das könnte sie mahnend gesagt haben:
       Schon als Zehnjähriger nervte er am Frühstückstisch die Eltern, wenn er auf
       dem öffentlich-rechtlichen Kinderkanal die Informationssendung „Logo“
       gesehen hatte und unbedingt darüber reden wollte, was das denn eigentlich
       sei: Politik. Er ist schon deshalb untypisch für seine Generation, weil er
       sich für Politik interessiert, ja: begeistert. Er will aber andererseits
       nicht die Welt verändern, [3][ist nicht empört] über soziale
       Ungerechtigkeit oder [4][die Zerstörung der Natur].
       
       In diesem Sinne könnte man das erwähnte Interview mit Jens Spahn für
       Geßners autobiografisch aufschlussreichstes halten: Wenn der
       Bundesgesundheitsminister davon erzählt, warum er selbst als 14-Jähriger
       begann, sich politisch zu engagieren, und wie dann aus dem Hobby ein Beruf
       wurde, dann spricht er da offensichtlich zu einem Seelenverwandten – und
       gibt ihm nebenbei gleich noch ein paar Karrieretipps.
       
       Denn Geßner will nicht etwa Journalist werden, sondern Politiker, sich
       engagieren in Sachen Rente und für die Digitalisierung an den Schulen. „In
       ein paar Jahren“, sagt er, „werde ich mich dann für eine Partei
       entscheiden“: Da spricht beinahe schon ein angehender Berufspolitiker, der
       sich nicht zu früh in die Karten schauen lassen will. Tatsächlich ist es
       schwer bis unmöglich, Geßner politisch einzuordnen, auch nicht anhand
       [5][des Buchs, das er gerade herausgebracht hat] – auch das trägt den Titel
       „Politik der Generation“ und will erklärtermaßen ein „unbequemer Blick in
       die Zukunft“ sein. Ebenfalls auf Youtube gibt es ein Video zu sehen von der
       [6][Buchvorstellung mit Bild-Chefredakteur Julian Reichelt]. Auch den hat
       er schon interviewt, klar.
       
       Was man für politische Unentschiedenheit halten könnte, kommt ihm bei
       seinen Interviews sichtlich zugute: Geßner hat Gregor Gysi von der
       Linkspartei interviewt, aber mit Alice Weidel, Beatrix von Storch und
       Alexander Gauland gleich drei Politiker*innen der AfD. Und am Ton seiner
       Fragen ist nie zu erkennen, wie er selbst das Gesagte bewertet. Er wirkt
       professionell und immer gut vorbereitet. Ein höflicher, schmächtiger junger
       Mann, der vielleicht Beschützerinstinkte weckt – und so eben manche Antwort
       zu hören bekommt, die andere nicht aus den gewieften Befragten
       herausgekitzelt hätte.
       
       ## Klicks dank Kontroverse
       
       Geßner hat den erklärten Anspruch, mit Politiker*innen aller Richtungen zu
       reden. Umstritten sind, kaum überraschend, die Beiträge mit den
       Vertreter*innen der rechten AfD. Er erzählt, eine Stiftung habe sich
       deshalb von der Mitfinanzierung seines Projektes zurückgezogen. Welche
       Stiftung? Das sagt er nicht, auch darin höchst professionell. Andererseits
       haben nur diese unter seinen Videos fünfstellige Aufrufzahlen, viele andere
       liegen im unteren bis mittleren dreistelligen Bereich.
       
       Am meisten lernen kann aus diesen Gesprächen wohl das politische Wunderkind
       Leonard Geßner selbst. Wenn drei weitere Jahre in der Schule erst um sind –
       es seien „leider noch so viele, sagt er –, will er Jura studieren,
       Wirtschaftsrecht interessiere ihn zurzeit besonders. Dass seine
       Unternehmung sich wirtschaftlich nicht rechnet, weiß er: Er finanziere
       seine Aktivitäten von Taschen-, Weihnachts- und Geburtstagsgeld, auch die
       Eltern unterstützten ihn.
       
       [7][Das öffentlich-rechtliche „Content-Netzwerk“ Funk], ausdrücklich dem
       Nachwuchs gewidmet, lehnte es ab ihn zu unterstützen, und dann die Sache
       mit der nicht näher benannten Stiftung. Auch sein Buch, herausgebracht und
       vermarktet auf eigene Faust, werde mit viel Glück gerade mal die Kosten
       einspielen, sagt Geßner. Immerhin: Für 25 Euro erwarb er im Netz ein Logo,
       das aussieht, als wäre ein Legostein mit einem Pfeil gekreuzt worden. Und
       zu Beginn jedes Videos erklingt eine kurze, so billige wie einfallslose
       Fanfare aus dem Synthesizer – alles für die Marke.
       
       Auch als Folge von Corona hat Leonard Geßner „Die Fragen stelle ich!“
       beendet. Ab November plant er ein neues Projekt, auch dafür will er
       Politiker*innen interviewen. Die alte Serie wiederauferstehen lassen: Das
       täte er einzig für Angela Merkel. An die Bundeskanzlerin ging eine seiner
       ersten Anfragen, und er hat es danach immer wieder versucht. Wohl aus
       Enttäuschung sagt er seinen einzigen ernsthaft kritischen, politisch eher
       unklugen Satz: Merkels Büro sei von allen „das unfreundlichste“.
       
       25 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Neuer-Kolumnist-bei-Zeit-Online/!5633485
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/channel/UClq2BKgW75viCW1VeXEdH-A
 (DIR) [3] /Kampagne-gegen-Hate-Speech/!5506991
 (DIR) [4] /Schwerpunkt-Fridays-For-Future/!t5571786
 (DIR) [5] https://leonard-gessner.de/buch/
 (DIR) [6] https://www.presseportal.de/pm/145304/4622178
 (DIR) [7] https://www.funk.net/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Hippen
       
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       Journalist*innen sollten sich fragen, was sie von Youtuber*innen lernen
       können, um auf Plattformen durchzudringen. Denn das müssen sie.