# taz.de -- Blick ins Flüchtlingslager Moria: Mal kein Elend
       
       > Handelnde statt Opfer: Mit dem „Moria Monitor“ wollen die Seenotretter
       > Sea-Watch bewusst andere Bilder aus dem griechischen Flüchtlingslager
       > zeigen.
       
 (IMG) Bild: Im Moria Monitor: Ein unbekannteres Bild aus dem Flüchtlingslager auf der griechischen Insel
       
       Die Bilder irritieren, und das nicht nur wegen dem „Ben &
       Jerrys“-Eis-Werbelogo unten rechts. Tanzende und betende Menschen unter
       grünen Olivenbäumen, blauer Himmel, meditierende Frauen und Männer auf
       bemoosten Felsen, professionell fotografiert, umrahmt in einem freundlichen
       Sonnengelb.
       
       Der [1][„Moria Monitor“] der NGO Sea-Watch zeigt andere Seiten des Lagers
       auf der griechischen Insel Lesbos. Seit der vergangenen Woche sind zwei
       FotografInnen für Sea-Watch in dem Lager unterwegs. Gemeinsam mit
       BewohnerInnen versuchen sie Bilder zu schaffen, in denen die Menschen
       „nicht nur Opfer sind, sondern aktiv handelnde Subjekte, die sich
       organisieren und in der Lage sind, aus der Scheiße das Beste zu machen“,
       sagt Ruben Neugebauer von Sea-Watch, der selbst lange als Fotograf
       gearbeitet hat.
       
       Die Fotos werden in kleinen thematischen Einheiten zusammengefasst und mit
       Erläuterungen versehen. Jeden Tag kommt eine neue dieser Serien, angelehnt
       an das Format von Instagram-Storys, auf eine eigens eingerichtete Webseite.
       Am Sonntag etwa ging es dort um Religion. Man erfährt, dass es acht Kirchen
       allein in der afrikanischen Community gibt, und sieht, wie sich ihre
       Anhänger zum Gottesdienst versammeln – im Freien oder in einer
       provisorischen Moschee.
       
       Gewiss: Daneben gibt es auch Bilder von aufgeritzten Unterarmen oder
       Kindern, die davon berichten, sie verfolge im Traum ein „schwarzer Hund“.
       Das ist die Serie zu psychischer Gesundheit, veröffentlicht am Dienstag.
       Und doch ist der Kontrast des „Moria Monitors“ zu dem, was die
       Öffentlichkeit sonst aus Moria zu sehen bekommen hat, riesig.
       
       ## Hausen wie in einem Slum
       
       19.000 Menschen leben [2][in dem für 3.000 ausgelegten Containercamp], das
       ursprünglich ein Internierungslager war. Doch schon lange ist es so
       überfüllt, dass die meisten Bewohner im Gebüsch rund um das Lager hausen
       wie in einem Slum.
       
       Der Mangel ist total: Es gibt zu wenig Platz, Essen, Wasser, Toiletten,
       Zelte, Ärzte, Psychologen, Decken. Wegen Corona herrscht seit Wochen eine
       Ausgangssperre. Viele halten Moria für das schlimmste Flüchtlingslager
       Europas, seit Langem machen NGOs politisch Druck, fordern, die Menschen aus
       dem Elend zu evakuieren. Nach [3][dem Ausbruch der Coronapandemie] lief die
       Kampagne dafür unter dem Schlagwort #leavenoonebehind, „lasst niemanden
       zurück“. Gemeint war: Alle sollen vor Corona geschützt werden, also muss
       das Lager aufgelöst werden.
       
       Die Kampagne erfuhr enorme Resonanz, gesellschaftlich und in geringerem
       Umfang auch politisch: Thüringen etwa beschloss in der vergangenen Woche,
       500 besonders schutzwürdige Flüchtlinge, wie Kinder und alleinerziehende
       Mütter, aus den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen.
       
       Der „Moria Monitor“ sieht sich als Teil dieser Kampagne, versteht sich als
       „Fundament für die immer lauter werdende Forderung nach der sofortigen
       Evakuierung“. Doch dafür zeigt er nicht das Elend, sondern geradezu schöne
       Bilder aus Moria.
       
       Unterschlägt das nicht den wichtigsten Teil der Realität – die unzumutbare
       humanitäre Lage? Es sei ein „schwieriges Dilemma“, sagt Neugebauer. „Mit
       Elendsbildern und Kinderaugen kann man kampagnenmäßig natürlich Druck
       machen.“ Doch wer ausschließlich zeige, wie die „Menschen von der EU wie
       Dreck behandelt werden, nimmt ihnen auch die Würde,“ sagt er.
       
       Schlimme Bilder aus Moria habe es schon viele gegeben, „sogar in der
       Bild-Zeitung, die eine viel größere Reichweite hat“. Die stetige
       [4][Reproduktion der Elendsbilder] aber sei ihrerseits „verkürzt“, denn sie
       mache unsichtbar, wie die Menschen mit der Lage umgehen, in die die EU sie
       zwinge. „Die Elendsbilder sind von der Politik genau so gewollt, sonst sähe
       es da ganz anders aus.“
       
       Das sei eine rassistische Politik, der mit „antirassistischer
       Kommunikation“ begegnet werden müsse, sagt Neugebauer. Es gehe nicht darum,
       die Betrachter mit schlimmen Bildern zu erschrecken, sondern „Empathie zu
       schaffen und dafür zu sorgen, dass die Menschen im Lager als gleichwertig
       wahrgenommen werden“.
       
       12 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://moria.sea-watch.org/
 (DIR) [2] /Griechisches-Fluechtlingscamp-Moria/!5674682
 (DIR) [3] /Aktivist-ueber-Zustaende-im-Camp-Moria/!5681846
 (DIR) [4] /Corona-im-Fluechtlingslager-Moria/!5674808
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Griechenland
 (DIR) Medien
 (DIR) Geflüchtete
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Geflüchtete
 (DIR) Lesbos
 (DIR) Kolumne Bewegung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) „kohero Magazin“ aus Hamburg: Gegen das Stereotyp
       
       Geflüchtete schreiben in einem Hamburger Magazin über ihre Geschichten. Von
       einschlägigen Massenmedien fühlen sie sich nicht richtig dargestellt.
       
 (DIR) Migrations-Papier der Linkspartei: Ab sofort mit einer Stimme
       
       Partei- und Fraktionsspitze der Linken einigen sich auf ein Papier zum
       Thema Geflüchtete. In der Vergangenheit hatte es darum stets Streit
       gegeben.
       
 (DIR) Aktionstag der „Seebrücke“: Geflüchtete endlich herholen
       
       Noch immer warten Geflüchtete in Griechenland auf die Überführung nach
       Deutschland. Helfer kritisieren die Verzögerungen durch hiesige Behörden.
       
 (DIR) Push-backs von Geflüchteten: Abschiebung aufs Meer
       
       NGOs berichten: Die griechische Küstenwache schiebt Geflüchtete illegal in
       die Türkei zurück. Oder setzt sie auf aufblasbaren Plattformen im Meer aus.
       
 (DIR) Bewegung Berlin: Evakuiert Moria!
       
       Corona hat politische Arbeit und Vernetzung ins Internet verlegt.
       Kolumnistin Désirée Fischbach empfiehlt Aktionen und Angebote zum
       Bewegtbleiben.