# taz.de -- Kriegsende vor 75 Jahren: Kaum noch Naziwitze
       
       > Einst Gegner, heute Partner. Wie an den 8. Mai 1945 in den Niederlanden,
       > Frankreich, den USA und Großbritannien erinnert wird.
       
 (IMG) Bild: Tag der Befreiung 1945: Kinder in einer Straße in Amsterdam
       
       ## Beim Gedenken in den Niederlanden sind Deutsche unerwünscht
       
       Amsterdam taz | Sitzt ein Deutscher in einem Restaurant in den
       Niederlanden. Der Kellner kommt. „Ich krieg ’n Bier“, sagt er. Darauf der
       Kellner trocken: „Krieg ist vorbei!“ Witze wie dieser kursierten
       jahrzehntelang in dem Land, das im Mai 1940 von Deutschland angegriffen und
       besetzt wurde. Bis zur Kapitulation in Wageningen am 5. Mai 1945, der
       seither als bevrijdingsdag begangen wird, ermordeten die Nazis drei Viertel
       aller niederländischen Juden, rund 102.000 Menschen, in Westeuropa die
       höchste Zahl. 30.000 Zivilisten starben durch Kriegshandlungen, etwa 20.000
       während der Hungersnot im letzten Kriegswinter.
       
       75 Jahre nach der Befreiung hätte Angela Merkel im renommierten Kunstmuseum
       in Den Haag die diesjährige 5.-Mai-Lesung halten sollen – auf Einladung von
       Premier Mark Rutte und des Nationaal Comité 4 en 5 mei, das in den
       Niederlanden sowohl Befreiungsfeiern als auch das Totengedenken am Vorabend
       organisiert. Merkel, so die Begründung, setze sich im Bewusstsein der
       historischen Verantwortung seit Jahren für „Frieden, Freiheit und
       Stabilität in Europa“ ein.
       
       Dass die Lesung wegen des Corona-Ausbruchs abgesagt wurde, ändert nichts
       daran, dass die Versöhnung der Nachbarländer inzwischen einen weiten Weg
       zurückgelegt hat. Die Rolle Deutschlands und seiner Vertreter bei
       niederländischen Gedenkveranstaltungen ist ein Gradmesser dieser
       Entwicklung. Als 2012 Bundespräsident Gauck die Lesung zur Befreiung hielt,
       sprachen die Organisatoren von „historischer Bedeutung“. Im selben Jahr gab
       es eine heftige Diskussion über das Gedicht „Falsche Entscheidung“, mit dem
       ein 15-jähriger Schüler an seinen Großonkel, einen niederländischen
       SS-Angehörigen, erinnern wollte. Nach Protesten wurde der Beitrag zur
       nationalen Totengedenkfeier in Amsterdam gestrichen.
       
       Im östlich von Arnheim gelegenen Dorf Vorden hat die Frage, ob die
       Prozession am 4. Mai auch die Gräber von zehn deutschen Soldaten passieren
       darf, Gerichte jahrelang beschäftigt. Die Gemeinde Wehl ganz in der Nähe
       dagegen empfängt zum Totengedenken jeweils eine Delegation aus der
       deutschen Partnerstadt Raesfeld – in der Grenzregion ist das keine
       Ausnahme.
       
       Keine deutsche Anwesenheit ist dagegen bei der zentralen Feier auf dem
       Damplatz in Amsterdam erwünscht. Als der damalige Botschafter Thomas Läufer
       ob der stark verbesserten Beziehung darüber sinnierte, löste das einige
       Diskussionen und eine klare Antwort aus.
       
       Dessen ungeachtet ist die Annäherung eine Tatsache. So sind die
       oosterburen, die östlichen Nachbarn, inzwischen eines der beliebtesten
       Urlaubsziele der Niederländer. Innerhalb der latent kriselnden EU sind sich
       Berlin und Den Haag in strikter Austerität treu verbunden. Es ist noch
       nicht lange her, dass man hierzulande Deutschland sogar als Garanten gegen
       den überall grassierenden Rechtspopulismus lobte.
       
       Obwohl diese Einschätzung inzwischen revidiert ist, hört man Witze wie den
       oben nur noch selten. Das Schimpfwort moffen, mit dem Deutsche noch vor gar
       nicht allzu langer Zeit bedacht wurden, ist selbst beim Fußball selten
       geworden. Mit ihm verschwindet auch das Stereotyp des Befehle bellenden
       Teutonen im Rückspiegel. Krieg? Ist vorbei.
       
       ## In den US-Medien ist der Jaherstag kaum ein Thema
       
       New York taz | Der 8. Mai 1945 beendete den Krieg in Europa, doch im
       Pazifik ging er weiter und erst nachdem die USA Hiroshima und Nagasaki mit
       Atombomben zerstört hatten, beendeten sie am 2. September mit der
       Kapitulation Japans den Krieg. Der 8. Mai ist daher in den USA kein
       Feiertag, abgesehen von 1945, wo in New York eine halbe Million Menschen
       zusammenkamen und feierten. Zum 75. Jahrestag hat Donald Trump, wie seine
       Vorgänger, keine Zeremonie geplant. Doch in den vergangenen Monaten hat er
       an militärische Erfolge erinnert, zuletzt am 25. April, als er mit Wladimir
       Putin eine Erklärung abgab. An dem Tag reichten sich an der Elbe bei Torgau
       sowjetische und amerikanische Soldaten erstmals die Hand.
       
       Für die USA hat der Zweite Weltkrieg im Pazifik begonnen. Bis zum 7.
       Dezember 1941, als die USA durch einen japanischen Angriff einen Großteil
       ihrer Kriegsflotte in Pearl Harbor verloren, hatte das Land zwar
       Großbritannien und die Sowjetunion unterstützt, sich aber herausgehalten.
       Am 8. Dezember erklärte Präsident Roosevelt Japan den Krieg, drei Tage
       später traten Deutschland und Italien an Japans Seite in den Krieg ein. Die
       Kämpfe fanden in Europa, Asien und vor den Küsten statt, die
       Zivilbevölkerung blieb aber weitgehend verschont. Im Krieg starben 405.000
       US-Soldaten. Im Verhältnis zu den 26 Millionen sowjetischen Toten nimmt
       sich diese Zahl gering aus, doch viele Amerikaner glauben, dass die USA
       weitgehend allein für die Wende im Zweiten Weltkrieg gesorgt hätten.
       
       In den Medien ist der Jahrestag kaum Thema. Als einer der wenigen Autoren
       schreibt Rick Atkinson im Wall Street Journal bedauernd, dass die
       Weltordnung, die vor 75 Jahren begann, zu Ende gehe: „Die außerordentlichen
       Institutionen für die globale Stabilität werden immer brüchiger – zum Teil
       wegen des Niedergangs der amerikanischen Bereitschaft mit ehrgeiziger, wenn
       auch unvollkommener moralischer Autorität zu führen.“
       
       ## In Paris brennt die Ewige Flamme
       
       Paris taz | Wegen der Coronakrise findet der 8. Mai in Frankreich in vielen
       Orten im engsten Kreis von Offiziellen statt. Sonst versammeln sich an
       diesem Gedenktag ganze Gruppen von Veteranen, Fahnenträgern und
       Lokalpolitikern vor dem Denkmal der gefallenen Söhne, das in keinem Dorf
       fehlt. In diesem Jahr werden wegen des Lockdowns die meisten Anlässe
       abgesagt oder auf ein Minimum beschränkt.
       
       Ändert das etwas für die Menschen? Arbeiten können die allermeisten wegen
       des Zwangsurlaubs ohnehin nicht. Wenn sie ehrlich wären, würden die meisten
       Franzosen und Französinnen gestehen, dass für sie der 8. Mai in anderen
       Jahren einfach ein arbeitsfreier Urlaubstag war, und sich mit dem Tag der
       Arbeit eine Woche zuvor je nach Kalender oft zwei lange Wochenende ergaben.
       
       Der Sinn und die Herkunft des 1953 offiziell geschaffenen Feiertags ist
       dabei längst sekundär geworden. 75 Jahre nach dem Kriegsende wäre es ja
       auch etwas überholt, vor dem Triumphbogen eine „Siegesfeier“ zu
       organisieren. Bereits 1975 wollte Präsident Valéry Giscard d’Estaing den 8.
       Mai aus versöhnlicher Absicht in einen „Europatag“ umfunktionieren, doch
       angesichts der Proteste der Veteranenverbände kehrte man rasch zur Feier
       des Sieges zurück.
       
       Wie der 6. Juni, der Tag der alliierten Landung in der Normandie, diente
       der 8. Mai auch oft der Außenpolitik, prioritär zur deutsch-französischen
       Versöhnung. Aber auch zur Besiegelung von Freundschaften oder der
       diplomatischen Annäherung nach einer Verstimmung. In diesem Jahr fällt das
       aus. Gelegenheit also, sich in der Stille des Lockdowns auf die Bedeutung
       dieses Feiertags zu besinnen?
       
       Fest steht vorerst nur, dass Präsident Macron wie üblich am Grab des
       unbekannten Soldaten im Beisein von ganz wenigen die Ewige Flamme als
       Symbol der nie erloschenen Erinnerung an die Kriegsgräuel entzünden soll.
       
       ## In London bleiben die Glocken still
       
       London taz | In Großbritannien ist der 8. Mai normalerweise ein Tag der
       gemeinsamen Gottesdienste, der Paraden und Straßenfeste mit Tee und alten
       Liedern. Dieses Jahr ist der VE-Day (Victory in Europe) sogar Feiertag –
       aber die Feierlichkeiten sind gestrichen, nicht nur aufgrund der
       Corona-Einschränkungen, so Organisator Bruno Peek, sondern auch weil die
       hohe Corona-Todeszahl keinen Anlass zum Feiern biete.
       
       Es werden weder Glocken läuten, noch gibt es offizielle Auftritte. Statt
       wie geplant von Bergen und Anhöhen soll die „Last Post“, der traditionelle
       Bläsertribut der Militärkapellen an die Gefallenen, um 14.55 Uhr aus dem
       eigenen Haus oder Garten ertönen. Später wird im Vereinigten Königreich und
       in 27 anderen Ländern zum gemeinsamen Prosit aufgerufen: „To those who gave
       so much, we thank you“ – Dank denen, die so viel gaben.
       
       Der Zweite Weltkrieg steht ohnehin immer hinter dem Ersten zurück, in dem
       Großbritannien viel mehr Tote zu beklagen hatte. Die Erinnerung an den 8.
       Mai 1945 ist nicht der Rückblick auf einen Sieg, sondern an ein kollektives
       Aufatmen: Gegen einen zunächst viel stärker erscheinenden Feind hat die
       Insel bestanden, erst allein, dann mit den Alliierten – dank Hartnäckigkeit
       und Mut, Zusammenhalt und Gemeinsinn. Der „Blitz Spirit“ im deutschen
       Bombenkrieg 1940/41, oder der „Dunkirk Spirit“ bei der Evakuierung der
       eingekesselten britischen Soldaten aus Frankreich 1940 waren zwei Momente,
       wo der Krieg leicht hätte verloren gehen können, der „Spirit“ aber half.
       
       Im Jahr des Corona-Massensterbens, in dem sogar die Queen öffentlich an das
       Jahr 1940 erinnert, ist das besonders aktuell. Wie ein 99-jähriger Veteran
       dem Daily Telegraph erzählte: „Jeden Donnerstag um 20 Uhr applaudiere ich,
       um dem Gesundheitspersonal zu danken. Am 8. Mai werde ich applaudieren und
       an all die Kameraden denken, die nicht mit mir zurückkamen.“
       
       7 May 2020
       
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