# taz.de -- Mein Kriegsende 1945: „Nun stieg ich in meine Badehose“
       
       > Zeitzeugen erinnern sich (Teil 10): Guy Stern kam als US-Ermittler zurück
       > in sein Geburtsland Deutschland. Nach Kriegsende ging er erstmal
       > schwimmen.
       
 (IMG) Bild: Guy Stern
       
       Guy Stern, geboren 1922 in Hildesheim als Günther Stern, emigrierte im Jahr
       1937 als 15-Jähriger in die Vereinigten Staaten. Seine gesamte Familie
       wurde im Holocaust ermordet. Nach dem Krieg beendete Stern sein Romanistik-
       und Germanistikstudium und wurde Professor für deutsche Literatur, zuletzt
       an der Universität Detroit: 
       
       „Der Morgen des 8. Mai 1945 brach an wie jeder andere auch seit unserer
       Invasion der Normandieküste. Allerdings übernachteten wir nicht mehr unter
       Zeltbahnen, sondern hatten Quartier in Wohnhäusern der jeweiligen Stadt
       bezogen und konnten die eintönige Armeekost ab und zu gegen
       Restaurantspeisen auswechseln.
       
       Und wer und wo waren wir? Bei uns handelte es sich um eine Sondertruppe der
       amerikanischen Aufklärung, die sich in der Mehrheit aus deutschen und
       österreichischen Exilanten zusammensetzte. Unsere Ausbildung fand statt in
       Camp Ritchie, Maryland, und so gaben wir uns selbst den schönen Spitznamen
       „The Ritchie Boys“.
       
       Von sieben Uhr früh bis abends arbeiteten wir an unseren vorgegebenen
       Aufgaben, Einheiten der amerikanischen Streitkräfte mit kriegswichtigen
       Information zu beliefern. Die hatten wir entweder deutschen Soldaten durch
       Ausfragungen abgenötigt oder den Medien entnehmen können. Ein
       Armeehistoriker stellte später fest, dass mehr als 60 Prozent aller
       kriegswichtigen Informationen von uns kamen.
       
       Am 8. Mai lag unser Standort in Bad Hersfeld in Hessen. Ich war inzwischen
       zu meinem höchsten Dienstgrad, Hauptfeldwebel, aufgestiegen. Die
       Unterabteilung unserer Gruppe, genannt „Survey Section“, hatte die Aufgabe,
       Fragebögen anderer Einheiten zu beantworten. Die kamen von überall her, sei
       es von unseren Ingenieuren und Medizinern oder von der Luftwaffe.
       
       Am Morgen des 8. Mai 1945 hörten wir, dass Verhandlungen zwischen Walter
       Bedell Smith als Vertreter von General Eisenhower und dem Hitler-Nachfolger
       Admiral Dönitz verabredet worden seien.
       
       Einer von uns fragte deshalb unseren Befehlshaber Captain Edgar Kann, ob
       wir nicht mit der Befragung der Kriegsgefangenen aufhören könnten. „Nein“,
       war die Antwort, „wir machen weiter, bis wir vom Hauptquartier hören.
       Außerdem soll die feindliche Armee von General Ferdinand Schörner immer
       noch weiterkämpfen.“ Das forderte mir ein Wortspiel ab: „So schnell
       schließen die Preußen nicht!“
       
       Dann aber stellte sich heraus, dass das erste Gerücht über den
       bevorstehenden Waffenstillstand kein leeres war. Wir jubelten, ich wohl am
       lautesten. Ich informierte unsere deutschen Vertrauenspersonen („trustees“)
       über die Friedensverhandlungen. Deren Freude über die bevorstehende
       Entlassung war noch ausgelassener als unsere. Sie kamen im Laufschritt in
       unseren Konferenzraum, und ohne weiteres Aufsehen hoben sie uns auf ihre
       Schultern.
       
       Unsere Einheit hatte zum ersten Mal arbeitsfrei und jeder von uns feierte
       den Frieden auf seine Weise: Mir hatte das Freibad von Bad Hersfeld
       gefallen; nun stieg ich in meine seit Jahren nicht benutzte Badehose und
       warf mich in das sonnenbeschienene Wasser. Meine Geschwindigkeit löste
       unter Beobachtern Bewunderung aus, aber kurz vor einem neuen Poolrekord
       setzte bei mir Müdigkeit ein.
       
       Am Abend rückte unser Küchenbulle mit anscheinend gehorteten Leckerbissen
       heraus und mein gut betuchter Kriegskamerad, Kurt Jasen, fuhr mit unserem
       Jeep in die Stadt und besorgte einen edlen Tropfen für die gesamte
       Mannschaft. Wir waren in bester Stimmung. Unsere Unterhaltung erreichte
       eine Brillianz wie meiner Meinung nach nie zuvor.
       
       Wir genossen den Frieden in Bad Hersfeld noch ein paar Tage, bevor uns neue
       Pflichten erwarteten. Ich wurde zunächst einem Abwehrkommando zugeordnet,
       dann der amerikanischen Besatzungsbehörde in Karlsruhe zugeteilt. Aber
       dieser 8. Mai in Bad Hersfeld verbleibt unauslöschlich in meiner Erinnerung
       als der Tag eines erfüllten Traums.“
       
       Zuletzt erschienen: 
       
       (9) [1][Eva Fahidi, Auschwitz-Überlebende] 
       
       (8) [2][Jack Rindt, kanadischer Soldat] 
       
       (7) [3][Johns Lampel, befreit in Theresienstadt] 
       
       (6) [4][Nikolaj Kurilenko, Rotarmist]
       
       9 May 2020
       
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