# taz.de -- Der Hausbesuch: Radikaler Postbote
       
       > Werner Siebler war Briefträger aus Leidenschaft. Als DKPler 1984
       > entlassen, klagte er sich später bei der Post wieder ein. Heute ist er
       > Hausmann.
       
 (IMG) Bild: Liest gerne Krimis und politische Literatur: Werner Siebler in seinem Wohnzimmer​
       
       Werner Siebler hat so lange gekämpft, bis ihm Gerechtigkeit widerfuhr. Das
       ist schon eine Weile her. Zu Besuch bei einem Postboten und überzeugten
       Linken im Ruhestand.
       
       Draußen: Das Freiburger Quartier Vauban gilt vielen als Paradebeispiel für
       nachhaltiges, gemeinschaftliches Wohnen. Neubauten, dicht an dicht, viele
       mit Feuertreppen, über die man die höheren Stockwerke erreicht. Fahrräder
       und Fußgänger haben im Vauban Vorrang. Am Horizont tun sich Wald und Berge
       auf. Die Häuser wurden in den neunziger Jahren errichtet, nachdem die
       letzten französischen Streitkräfte das Viertel verlassen hatten. Die
       Soldaten waren in der ehemaligen Wehrmachtskaserne untergebracht, die jetzt
       als Studentenwohnheim genutzt wird.
       
       Drinnen: Ins Haus hinein geht es diesmal nicht. [1][In Coronazeiten] geht
       Sicherheit vor. Werner Siebler ist jetzt 64 und hat Asthma. Da es im Umfeld
       des Autors einen Verdachtsfall gab, lässt man es lieber mit der
       persönlichen Begegnung. Stattdessen beschreibt Siebler sein Haus minutiös.
       
       Die Zimmer: Werner Siebler sitzt in der Küche, dort telefoniert er am
       liebsten. „Eine richtig schöne große Küche, in der man zehn Leute
       unterbringen kann, in Nicht-Corona-Zeiten.“ Im Wohnzimmer sitzt Siebler
       gern auf seinem Schaukelstuhl aus Nicaragua, darin liest er oder hört
       Musik, umgeben von „schönen alten Küchenschränkle“ von seinen Eltern. Auf
       dem Balkon hat Siebler eine Hängematte: „Im Sommer, wenn die Bäume Blätter
       haben und man in der Hängematte liegt, dann glaubt man, man liegt im
       Urwald.“
       
       Neu anfangen: Vor einem Jahr haben Siebler und seine Freundin Sabine sich
       entschieden, hier zusammenzuziehen. Ein Neuanfang im Alter. Werner Siebler
       war nämlich schon einmal verheiratet; seine Frau starb. Im Haus gibt es
       einen Aufzug. Das sei, neben finanziellen Erwägungen, ein Grund gewesen,
       hierherzuziehen. Vorher war er im Stadtteil Stühlinger, den er als „schön
       und bunt“ beschreibt. Im Vauban gefällt es ihm auch, nur die Nachbarschaft
       ist ihm etwas zu homogen, zu „intellektuell“.
       
       Der Hausmann: Eine Umstellung sei der Umzug gewesen: „Auch wenn man sich
       noch so sehr liebt, hat man doch unterschiedliche Gewohnheiten.“ Die
       Wohnung sei aber groß genug, um sich auch aus dem Weg zu gehen. Freundin
       Sabine arbeitet als Verwaltungsangestellte an der Uni Freiburg. „Sie
       genießt, dass sie jetzt einen Hausmann hat, der dafür sorgt, dass immer was
       zu essen auf dem Tisch steht“, sagt Siebler,der leidenschaftlich gern „gute
       badische Küche“ kocht.
       
       Kompromisse: Beim Zusammenziehen musste er sich von zwei Dritteln seiner
       Bücher trennen, was nicht ganz einfach war. Er liest gerne Krimis oder
       „politische G’schichten“ vom Krimiautor Wolfgang Schorlau und Bücher des
       kubanischen Schriftstellers Leonardo Padura.
       
       Gut zu tun: In der Gewerkschaft ist Siebler auch als Rentner nach wie vor
       aktiv, er ist DGB-Stadtverbandsvorsitzender der Stadt Freiburg. Auch bei
       Verdi ist er Mitglied. Und er ist als Laienrichter am Landesarbeitsgericht
       tätig.
       
       Aufwachsen: Groß geworden ist Siebler am Tuniberg bei Freiburg, in „einer
       kleinen feinen Weingegend“. Sein Vater arbeitet dort in einer Chemiefabrik,
       als Nebenerwerb haben seine Eltern einen kleinen Bauernhof. Im Elternhaus
       wird das Katholische gepflegt. Als Kind ist Siebler so fromm, dass er
       Pfarrer werden will. Irgendwann kommt das Interesse am anderen Geschlecht.
       Er muss sich umentscheiden. Ein Verwandter erzählt ihm, die Post brauche
       immer Leute.
       
       Vormittags: Mit 14 beginnt er die Ausbildung zum Postboten. Er arbeitet in
       Freiburg, zieht später auch in die Stadt. Die Arbeit sei seinerzeit nicht
       so eine „Rödelei“ gewesen: „Damals fingst du morgens um sieben an und
       wenn’s schlecht lief, musstest du bis eins oder zwei mittags arbeiten. Für
       nichts in der Welt hätt’ ich einen anderen Job machen wollen als
       Briefträger.“
       
       Nachmittags: Nach der Arbeit geht er damals gern in die Buchhandlung
       Herbster. Dort trifft man sich zum Lesen und Diskutieren. „Die Gespräche
       mit den Studentinnen und Studenten waren auf einem anderen Niveau als das,
       was man im Betrieb hatte.“ Im Lauf seines Lebens überlegt er sich immer
       wieder, selbst zu studieren, entscheidet sich aber dagegen. „Wenn wir die
       Welt verändern wollen, kommt’s drauf an, dass die arbeitenden Menschen die
       Welt verändern.“ Nun, im Alter, hat er aber doch noch ein Gasthörerstudium
       in Geschichte angefangen.
       
       Soldat: Zum Wehrdienst zu gehen, kostet ihn Überwindung. Sein Ziel: Den
       Friedensgedanken in die Bundeswehr tragen. Bei den Gebirgsjägern in
       Mittenwald, wo er ist, gibt es immerhin eine demokratische Soldatengruppe.
       Die gibt auch eine eigene Zeitung heraus, die sich mit Rüstungskritik und
       internen Missständen befasst. „Natürlich gab es auch viel Scheiße: Dieses
       Befehl-und-Gehorsam und im Dreckwühlen, die ganze Schikane.“
       
       Ein Linker: Mit Beginn seiner Zeit in Freiburg wird er politisch aktiver
       und aktiver, macht bei der Gewerkschaft mit und wird dort zum
       Jugendvertreter gewählt. Er ist schnell in der Szene drin: „Der Wettbewerb
       war: Wer ist der konsequenteste Linke in der Stadt?“ Alle diskutieren
       miteinander – DKP, Jusos, Leute aus dem antifaschistischen Widerstand.
       Warum Werner Siebler am Ende bei der DKP landet? Weil ein befreundeter
       frustrierter Juso ihm sagt, „biste verrückt, doch nicht zu den Jusos, geh
       lieber zur SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend; d. Red.), die sind
       viel besser.“ Von da ist es nicht weit zur DKP. Dort wird er freudig
       begrüßt als einer, der wirklich aus der Arbeiterklasse kommt – „so viele
       gab es da nämlich gar nicht“.
       
       Radikal: Der Radikalenerlass, der es Leuten aus kommunistischen Parteien
       verbietet, im Staatsdienst zu arbeiten, tritt 1972 in Kraft. Bis 1984 kann
       Siebler trotz seiner DKP-Mitgliedschaft die Post austragen. Dann übernimmt
       die CDU das Postministerium – und macht „Tabula rasa“, wie Siebler es
       nennt. Er und viele andere Postbeamte werden entlassen. Mit verschiedenen
       Jobs hält er sich die kommenden Jahre über Wasser.
       
       Klagen: Im Jahr 1991 klagt er sich über das Arbeitsgericht wieder bei der
       Post ein. So kehrt er zurück in seinen alten Beruf, wenn auch nicht als
       Beamter. „Darum ging es mir aber nie. Es ging um Gerechtigkeit.“ Ein paar
       Jahre später, 1996, wird Siebler Betriebsrat bei der Post, was er dann bis
       zu seinem Ruhestand bleiben soll.
       
       Eine Sauerei: Rückblickend sagt er: „Ich finde es nach wie vor ’ne Sauerei,
       dass wir damals rausgeschmissen worden sind.“ Die Frage, ob er je mit dem
       Gedanken gespielt habe, der DKP aus taktischen Gründen den Rücken zu
       kehren, um dem Berufsverbot zu entgehen, unterbricht Siebler bestimmt:
       „Nein, nie. Es hat mich eher bestärkt in meinen Ansichten.“
       
       Systeme: „Alles, was ich in den siebziger und achtziger Jahren geglaubt
       habe, wie der Kapitalismus sich entwickeln würde, ist leider noch schlimmer
       eingetroffen.“ In der DKP ist er nach wie vor, mit manchen Positionen hat
       er zwar Probleme, allerdings sehe er „nicht viele Alternativen am
       politischen Horizont“. Aber er arbeitet auch mit anderen zusammen: „Ich hab
       Bekannte, die in der CDU sind, und kann mit denen relativ gut.“
       
       Erkenntnis: Zu Zeiten des Kalten Krieges besucht Siebler mehrmals die DDR
       und die Sowjetunion. „Wie ich es damals erlebt habe, das hat nicht viel zu
       tun mit dem, was sich damals tatsächlich dort abgespielt hat.“ Nach 1990
       sei ja noch einiges rausgekommen, was da passiert sei: „Das hat schon zu
       Entsetzen geführt.“ Hätte er vieles nicht schon vorher wissen können? Nun,
       der bürgerlichen Presse habe man damals nicht geglaubt, nur politisch
       Nahestehenden. „Die Erkenntnis, dass da auch vieles nicht mit der Wahrheit
       zu tun hatte, war doch auch schmerzhaft“, sagt er.
       
       13 May 2020
       
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