# taz.de -- Yves Tumor „Heaven to a Tortured Mind“: Gehörnter Klingonen-Satyr
       
       > Verwandlungskünstler wiederaufgetaucht: US-Chamäleon Yves Tumor und sein
       > neues Album „Heaven to a Tortured Mind“.
       
 (IMG) Bild: Yves Tumor windet sich musikalisch wie eine Echse durch den Dschungel der Popgenres
       
       Naheliegend und gleichzeitig völlig falsch ist es, den US-Künstler Yves
       Tumor mit einem Chamäleon zu vergleichen. Zwar liebt es der als Sean Bowie
       in Miami geborene und in Knoxville, Tennessee, aufgewachsene Musiker
       offensichtlich, die Farben zu wechseln, tut dies jedoch ganz gewiss nicht,
       um in der Umgebung aufzugehen oder übersehen zu werden.
       
       Für öffentliche Auftritte wirft sich Yves Tumor, der inzwischen im
       norditalienischen Turin lebt, in die schillerndsten Kostümierungen, posiert
       in High Heels, mit neonfarbener Perücke und in Glitzerfummeln. Musikalisch
       windet er sich wie eine Echse durch den Dschungel der Popgenres, kokettiert
       mal mit dem einen, mal mit dem anderen Pflänzchen, pflückt überall oder
       wirft dann Blüten und Früchte querbeet durcheinander.
       
       Auf etwas festlegen wollte sich Tumor schon Anfang der 2010er Jahre nicht,
       als er auf der Bildfläche erschien. Zu seiner Verweigerungshaltung gehört
       auch, wenig bis gar nichts Persönliches herauszulassen. Kaum Interviews,
       keine Social-Media-Spielereien. Sein Alter ist unbekannt. Musik und deren
       Inszenierung sollen für sich sprechen.
       
       So auch „Heaven to a Tortured Mind“, sein viertes Studioalbum, das er vor
       Kurzem beim britischen Label Warp veröffentlicht hat. Wenig überraschend,
       klingt es schon wieder völlig anders: eingängiger als frühere Werke, als er
       noch mit experimentelleren Sounds spielte, mit Noise etwa, Ambient und
       Field-Recordings.
       
       ## Kratzig und geschmeidig
       
       Wiedererkennbar bleibt Tumor jedoch allein schon durch seine Stimme, die in
       mal kratzigeren, mal geschmeidigeren Tonlagen alles zusammenbindet.
       Vielleicht ist es ja das, was eine gepeinigte Seele so an himmlischer
       Zuwendung braucht – in Ausnahmesituationen erst recht: die großen Gefühle
       von Pop und Rock, Verführung und Hingabe.
       
       So klingt „Heaven to a Tortured Mind“ nämlich: ohrwurmtauglich trotz aller
       Ecken und Kanten, mitreißend, glamourös und groovy, gespickt mit Referenzen
       an R&B und Soul, an Alternative Rock der neunziger und den Pop der
       achtziger Jahre.
       
       Prince ist jemand, mit dem Tumor wieder und wieder wegen seiner
       musikalischen Wandelbarkeit verglichen wird, aber äußerlich, das
       flamboyante Image von Prince betreffend, vor allem aber wegen seiner
       abgezockten Attitüde. Auf der Bühne, im Rampenlicht unglaublich präsent
       zeigt sich Tumor.
       
       ## Mit riesigen Ohren
       
       Angesichts mangelnder aktueller Alternativen sei dafür auf das Video zum
       Song „[1][Gospels for a New Century]“ verwiesen. Tumor performt darin als
       gehörnter Klingonen-Satyr mit riesigen Ohren und teuflischem Grinsen – und
       feiert inmitten seines sexy Hofstaats vor allen Dingen sich selbst. Warum
       auch nicht, wen auch sonst?
       
       Das neue Jahrhundert, das Tumor dort besingt, ist mit Sicherheit seins.
       Oder immerhin eins für Wesen wie ihn, für solche, die Schubladen sprengen,
       wenn sie nur einmal Luft holen. Nicht nur in der Musik. Das Wort
       genderfluid könnte für den US-Künstler erfunden worden sein – neben dem
       „er“ benutzt Tumor auch neutrale Pronomen für sich.
       
       Die Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Stereotypen wie auch mit
       jenen, die seine Rolle als schwarzer Künstler betreffen, ist doppelt und
       dreifach in seine Ästhetik eingewebt. So sind womöglich auch die Texte
       seines neuen Albums zumindest unterschwellig politisch zu deuten, selbst
       wenn es eigentlich immer und immer wieder um Lust und Liebe zu gehen
       scheint: als Bekenntnis zum selbstbewussten Ausleben von Gefühlen und von
       allen Aspekten der eigenen Identität.
       
       „I can be anything“, singt Tumor in seinem Song „Kerosene!“.
       Selbstverständlich kann er das.
       
       26 Apr 2020
       
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