# taz.de -- Bußgelder in Corona-Krise: Im besten Ermessen
       
       > Über Bußgelder klagt man nicht, wenn es ums Überleben geht. Richtig? Die
       > Frage ist nur: Wer kontrolliert die, die uns kontrollieren?
       
 (IMG) Bild: Hamburger Polizei auf Streife, aufgenommen Ende März
       
       Menschenleben stehen auf dem Spiel. Was ist dagegen schon die Androhung
       eines Bußgeldes von vielleicht 25 Euro für den nicht mitgeführten
       Personalausweis und 500 Euro für den Aufenthalt in einer anderen Wohnung
       als der eigenen oder eine Verletzung des Abstandsgebots im Freien?
       Läppisch. Selbstverständlich darf auf ein Leben kein Preisschild geklebt
       werden. Wer andere gefährdet, soll froh sein, wenn es zur Strafe nur ans
       Portemonnaie geht.
       
       Nur, wie teuer sind uns die bürgerlichen Freiheiten, die nun gerade keine
       verhandelbare Gnade des Staates sind? Der Obrigkeit mühsam abgerungen, die
       sich jetzt so triumphierend, wenn auch anscheinend etwas enttäuscht vom
       uneinsichtigen Pöbel, zurückmeldet. Im Anschlag hält der ideelle
       Gesamtblockwart den Knöllchenblock – wenigstens nur den, zumindest für die
       Dauer der aktuellen Eskalationsstufe.
       
       Geldbußen sehen inzwischen mehrere Bundesländer vor, um Verstöße gegen die
       Umgangsregeln in Pandemiezeiten zu ahnden. Neben illegalen Ladenöffnungen
       und unerwünschtem Veranstaltungsbetrieb soll es auch unwilligen Individuen
       an den Kragen gehen. Darüber, ob solche Maßnahmen tatsächlich nötig sind,
       also eine hinreichende Zahl nicht „triftiger“ Freigänge und anderes
       unsoziales Sozialverhalten beobachtet wird, ließe sich streiten, gäbe es
       denn belastbare Zahlen. Doch mehr als Test-, Ansteckungs- und Sterberaten
       gibt es nicht [1][und die Kurven sind nicht unbedingt ermutigend]. Also
       wird etwas getan. Irgendetwas. Bußgelder.
       
       „Racial Profiling“ mahnen gleich die einen, „soziale Benachteiligung“ die
       anderen. Schließlich seien die exekutierenden Behörden aller Erfahrung nach
       nicht frei von rassistischen und klassistischen Vorurteilen. Wer sollten
       die offensichtlichen Ziele solcher Verordnungen und Strafandrohungen sein,
       wenn nicht die ohnehin Benachteiligten?
       
       ## Eine Frage des Vertrauens
       
       Fein abwägen lässt sich nun, ob es für derlei Behauptungen denn überhaupt
       eine empirische Grundlage gibt. Schwierige Frage, denn anders als bei
       [2][Geldstrafen, die in der Höhe der verteilten Tagessätze Rückschlüsse auf
       die soziale Schichtung der Delinquent*innen zulassen], werden die
       niedrigeren Bußgelder ohne Beachtung wirtschaftlicher Gegebenheiten
       erteilt. Und rassistische Polizeipraxis ist schwer genug im konkreten
       Einzelfall nachzuweisen, geschweige denn statistisch zu belegen.
       
       Am Ende ist es eine Frage des Vertrauens. Wie wir es drehen und wenden,
       immer tiefer versinken wir in einer Art ungeordneten Ausnahmezustands. Sich
       darin einrichten zu können ist ein Privileg. Ein Privileg, das sich
       individuell unter anderem in Kontostand, Hautfarbe, psychischer Verfassung
       und anderen Faktoren messen lassen könnte, deren Beurteilung man sicher dem
       Ermessen von Polizei und Ordnungsamt überlassen kann.
       
       Oder? Denn darauf laufen alle bereits beschlossenen und die noch kommenden
       Maßnahmen hinaus: Vertrauen in die verantwortungsvolle und faire Nutzung
       des Ermessensspielraums durch die Exekutive und das fortgesetzte Vertrauen
       in den guten Willen der Legislative. Diesen Glauben aber muss man sich
       leisten können, genau wie das Bußgeld bei versehentlicher Übertretung einer
       der unzähligen Vorschriften, die nun zum Schutz von Menschenleben erlassen
       werden. Zur Erinnerung: Der Hartz-IV-Regelsatz beträgt 432 Euro im Monat
       für Alleinstehende.
       
       Ob wirtschaftlich benachteiligte Gruppen überproportional häufig von
       Bußgeldern betroffen sein werden, wird sich, wenn überhaupt, erst im
       Nachhinein belegen lassen. Ob sich Racial Profiling und andere biases der
       Exekutive in der aktuellen Situation verstärken, wird kaum sicher
       nachgewiesen werden können, auch wenn alle Indizien darauf hinweisen mögen.
       Alles Einzelfälle, nicht wahr. Dass die individuellen Härten in diesen
       Einzelfällen besonders ins Gewicht fallen, kann aber kaum bezweifelt
       werden. Ganz unabhängig davon, ob sich die Staatsmacht nun statistisch
       einwandfrei und ausgeglichen mit Übeltäter*innen jeder Schicht und Herkunft
       konfrontieren wird.
       
       ## Wer kontrolliert die, die kontrollieren?
       
       Solange diese Gefahr selektiv unbilliger Repression auch nur theoretisch
       existiert, braucht es robust ausgestattete Kontroll- und Beschwerdestellen,
       und zwar nicht erst nachträglich. Diese Stellen müssten auch ohne Anzeige
       Betroffener tätig werden und außerdem statistisch erheben, wer warum
       kontrolliert und sanktioniert wird. Solange das nicht passiert, während
       gleichzeitig allgemeines Handytracking diskutiert wird, sind alle Rufe nach
       mehr Disziplinierung, noch dazu unter Strafandrohung, nichts weiter als
       willkürliche obrigkeitsstaatliche Drohgebärden.
       
       Mein Leben schützen und das der alten, kranken Mischpoke: Bin ich dabei.
       Auch die sicher bald von Robert Kochs Gnaden verpflichtende Vermummung mach
       ich schon mit. Uniformierte aber in den Park schicken, die ad hoc
       entscheiden, wer dort zu lang gesessen und deshalb einen Strafzettel
       verdient hat? Dafür gibt’s keinen Applaus vom Balkon.
       
       2 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
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