# taz.de -- Japanischer Umgang mit dem Virus: Gesichtsmasken als Bürgerpflicht
       
       > Japan hält die Ausbreitung des Coronavirus bisher in Schach – und lässt
       > sich trotz Einschränkungen nicht vom traditionellen Kirschblütenfest
       > abhalten.
       
 (IMG) Bild: Spaziergänger beim traditionellen Kirschblütenfest am Sonntag in Tokio
       
       TOKIO taz | Der Kontrast zu den menschenleeren Städten in Deutschland
       könnte kaum größer sein: Unter den blühenden Kirschbäumen in Alleen und
       Parks saßen am Wochenende viele Menschen in Japan zum gemeinsamen
       traditionellen Essen und Trinken. „Hanami, die Blütenschau, ist die
       wichtigste Sache im Jahr“, freute sich ein Familienvater in Tokio
       Ueno-Park.
       
       Die Virengefahr halten bei dieser Tradition viele für gebannt. Ähnliches
       war gestern in Sendai zu erleben. In der Stadt im Großraum von Fukushima
       besichtigten 55.000 Menschen das [1][olympische Feuer]. Es wurde am Bahnhof
       der Stadt in einem goldenen Kessel ausgestellt, wobei es zu Warteschlangen
       von bis zu 500 Metern länge kam.
       
       Zwei Monate nach dem Ausbruch des Coronavirus weist Japan lediglich 10
       Cluster mit 41 Toten und 1.012 Infizierten auf, jeden Tag kommen nur wenige
       Dutzend dazu. Doch eigentlich müssten die Zahlen viel höher sein. Japan ist
       sehr dicht besiedelt, hat den weltweit höchsten Anteil von Senioren und
       regen Austausch mit dem Nachbarland China.
       
       Zudem ergriff die Regierung nur zahme Gegenmaßnahmen. [2][Premier Shinzo
       Abe] ließ die Schulen zwei Wochen vor den Ferien schließen, alle
       Veranstaltungen wurden abgesagt. Aber Geschäfte und Restaurants blieben
       offen, nur wenige sattelten auf Telearbeit um. Zunächst schürte dies den
       Verdacht, die Wahrheit würde unter den Tisch gekehrt. „Bei der
       Atomkatastrophe in Fukushima wollte die Regierung die Kernschmelzen
       zunächst auch nicht zugeben, seitdem misstrauen viele Japaner offiziellen
       Aussagen “, sagte die deutsche Japanologin Barbara Holthus.
       
       Und trotz einer Kapazität von 6.000 Tests täglich hat Japan bisher nur
       14.000 Abstriche geprüft, ein Zwanzigstel der Testzahl in Südkorea. Man
       teste nur Patienten mit schwersten Symptomen, sagt der Virologe Masahiro
       Kami vom Medical Governance Research Institute. Die Dunkelziffer sei daher
       sehr hoch.
       
       ## Sorge um Olympia? Oder gezielte Intervention?
       
       Der Politologe Koichi Nakano meint: „Premier Abe will Japan als sicheres
       Land darstellen, um [3][Olympia] nicht zu verlieren.“ Die Beratergruppe des
       Gesundheitsministeriums erklärte dagegen, man suche gezielt nach Häufungen
       von Covid-19. Als die Seuche in einer Grundschule ausbrach, schloss die
       Nordinsel Hokkaido alle Schulen und verhängte den Ausnahmezustand, bis die
       Verbreitung gestoppt war.
       
       „Die geringe Zahl von Tests sollte gewährleisten, dass die Ressourcen im
       Gesundheitswesen für schwere Infektionsfälle verfügbar blieben“, sagt der
       deutsche Politologe Sebastian Maslow von der Universität Tokio.
       
       Beobachter heben zwei Besonderheiten Japans hervor: Zum einen verringert
       Verbeugen statt Händeschütteln zur Begrüßung die Infektionsgefahr. Zum
       anderen üben die Japaner von der Kindheit an elementare Hygieneregeln ein.
       „Händewaschen, Gurgeln mit einer Desinfektionslösung und Maskentragen
       gehören zum Alltag, auch ohne Coronavirus“, sagt eine Mutter.
       
       Daher fiel es der Gesellschaft leicht, ab Februar in den
       Antiinfektionsmodus umzuschalten. Überall stehen seitdem
       Desinfektionsmittel für die Hände. Das Tragen von Masken wurde zur
       Bürgerpflicht.
       
       ## Masken sehr stark verbreitet, aber jetzt rationiert
       
       Bisher verbrauchte Japan 5,5 Milliarden Mundschutzmasken im Jahr, 43 Stück
       je Einwohner. Die Quote sprang in der Corona-Krise so hoch, dass Geschäften
       die Masken ausgingen. Sie wurden rationiert. Für die Zuteilung stehen die
       Menschen vor Ladenöffnung geduldig Schlange.
       
       „Japaner haben offenbar verstanden, dass eine Sars-CoV-2-Infektion ohne
       Symptome bleiben kann“, sagt der deutsche Manager Michael Paumen, der lange
       in Japan lebt. „Daher zieht man die Maske zum Schutz anderer an, um selbst
       keine Viren zu übertragen.“
       
       Angesichts der Erfolge verzichtete Premier Abe vor einer Woche ausdrücklich
       auf die Ausrufung des Notstandes. Seitdem kehren die Japaner in kleinen
       Schritten zum normalen Alltag zurück. Viele Fitnessstudios und die ersten
       Freizeitparks sind schon geöffnet.
       
       Doch fürchtet die Regierung eine zweite Infektionswelle. Daher sollen zum
       Beginn des neuen Schuljahres Anfang April vorerst nur Schulen in Gebieten
       ohne Corona-Kranke öffnen. Größere Veranstaltungen finden weiter nicht
       statt. Und nach den Südkoreanern dürfen seit Samstag keine Bürger der
       Schengen-Staaten mehr ins Land. Der Einreisestopp, der auch für Deutsche
       gilt, ist nach inoffiziellen Angaben vorerst bis Ende April befristet.
       
       23 Mar 2020
       
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