# taz.de -- Maßnahme gegen Corona-Krise: Weniger Hürden für Hartz IV
       
       > Bisher galten beim Antrag auf Grundsicherung strenge Bemessungsgrenzen
       > bei Vermögen. Das Corona-Sozialpaket sieht nun Erleichterungen vor.
       
 (IMG) Bild: Schläft gerade nicht so gut: die wegen der Krise arbeitslose Schauspielerin Anja Pahl
       
       Berlin taz | Schlafen könne sie eigentlich nicht mehr, erzählt Anja Pahl.
       Die 44-Jährige ist Schauspielerin, genauso wie ihr Mann. Beide arbeiten
       freiberuflich, haben sich bislang erfolgreich von einem Engagement zum
       nächsten gehangelt und mit den beiden Kindern im Grundschulalter
       auskömmlich in Berlin gelebt. Doch die 1.400 Euro Miete für die
       4-Zimmer-Wohnung werden sie nun vom Ersparten bestreiten müssen, genauso
       wie die Beiträge für die Krankenversicherung und alle Ausgaben im
       Supermarkt. „Bei uns sind alle Einkünfte weggebrochen, wir haben momentan
       überhaupt keine Chance zu arbeiten“, sagt Pahl.
       
       Die Tour der Shakespeare Company, für die ihr Mann gebucht war, wurde
       abgesetzt, genauso wie das Stück an der Comödie in Dresden, für das Pahl
       selbst ab April engagiert wäre. Pahl weiß, dass es allen freiberuflichen
       KollegInnen ähnlich geht, egal ob sie vor, auf oder hinter der Bühne
       arbeiten. [1][Sie hofft daher auf schnelle und unbürokratische Hilfe vom
       Staat]. „Für Essen, Miete und Sozialversicherung.“
       
       Hilfe ist in Aussicht. Am Montag hat das Kabinett beschlossen, den Zugang
       zu Hartz IV zu erleichtern. Davon könnten Hunderttausende Selbständige und
       GeringverdienerInnen profitieren. Rückwirkend ab dem 1. März können Leute
       ohne oder mit zu geringen Einkünften Hartz IV beantragen, ohne dass ihr
       Vermögen bei der Berechnung berücksichtigt wird. Nur „erhebliches Vermögen“
       gilt als ein Ausschlussgrund, heißt es im Gesetzentwurf. Dabei will man
       sich auf die Selbstauskunft des Antragstellers verlassen.
       
       Die laufenden Einkünfte und die Einkommensverhältnisse des Partners oder
       der Partnerin werden wie bisher beim Antrag mit einbezogen. Die Regelung
       gilt für Antragszeiträume zwischen dem 1. März und 30. Juni, bewilligt wird
       Hartz IV dann erst mal nur für ein halbes Jahr.
       
       Bisher gelten beim Antrag auf die Grundsicherung strenge Freigrenzen bei
       den Vermögen. Zudem stellt die Frage der Angemessenheit der Wohnung immer
       wieder eine Hürde dar. Auch hier sieht das Sozialpaket Erleichterungen vor.
       Wer derzeit einen Neuantrag stellt, bei dem wird nicht mehr überprüft, ob
       die Miete der AntragstellerIn über einer Bemessungsgrenze liegt und daher
       als nicht mehr angemessen gilt. Die „tatsächlichen Aufwendungen für
       Unterkunft und Heizung“ gelten ebenfalls „für die Dauer von sechs Monaten“
       als angemessen, so der Gesetzentwurf.
       
       „Es ist richtig, dass der Zugang zur Grundsicherung vereinfacht wird“, sagt
       der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Sven Lehmann, der taz. Das werde
       zum Beispiel viele Soloselbstständige und Geringverdienende, die durch die
       Kurzarbeit unter das Existenzminimum fallen, betreffen. Bei den Maßnahmen
       gebe es aber eine Leerstelle, „das sind die Ärmsten, die jetzt schon im
       Regelsatzbezug sind und die höhere Kosten haben“, so Lehmann. „Mit den
       Schließungen der Schulen und Kitas und anderer Einrichtungen fallen die
       kostenlosen Essen weg, auch viele Tafeln haben geschlossen, das bringt die
       Leute in Bedrängnis.“ Die Grünen fordern einen höheren Regelsatz.
       
       Linken-Chefin Katja Kipping spricht sich für einen sofortigen Aufschlag von
       200 Euro auf den monatlichen Hartz-IV-Satz aus. „Der Ansatz ist richtig,
       aber es müsste noch viel mehr passieren“, sagt auch Harald Thomé, Berater
       beim Selbsthilfeverein Tacheles in Wuppertal. [2][Der Verein fordert
       Einmalzahlungen für Hartz-IV-Bezieher] in der Coronakrise wegen der
       Tafelschließungen und eine unbürokratische Bewilligung von Computern zum
       E-Learning für Familien im Hartz-IV-Bezug, da derzeit keine Schulen offen
       sind.
       
       Nach Berechnungen aus dem Bundessozialministerium könnten bis zu 700.000
       der 1,9 Millionen Soloselbstständigen und bis zu 300.000 der 1,6 Millionen
       Selbstständigen mit Angestellten für eine Antragstellung infrage kommen.
       Zusammen mit weiteren Anspruchsberechtigten wäre eine Größenordnung von 1,2
       Millionen zusätzlichen Hartz-IV-Haushalten infolge der Coronakrise möglich,
       heißt es in dem Papier zum Sozialpaket. Bei sechs Monaten Leistungsbezug
       entspräche dies Mehrausgaben von rund 9,6 Milliarden Euro. Davon müssten
       der Bund 7,5 Milliarden Euro und die Kommunen 2,1 Milliarden Euro tragen.
       
       23 Mar 2020
       
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