# taz.de -- Dieter Reiter über OB-Wahlen in Bayern: „Die Kompetenz wird nicht genutzt“
       
       > Dieter Reiter will wieder Münchens Bürgermeister werden. Er verspricht
       > strenge Mietenpolitik und Geld für RentnerInnen – wenn der Bund es
       > zulässt.
       
 (IMG) Bild: Will, dass München bezahlbar bleibt – oder zumindest wird: OB Dieter Reiter
       
       taz: In München wohnen heute 18.000 Menschen mehr als vor einem Jahr.
       Wissen Sie noch, wer in Ihrer Stadt lebt? 
       
       Dieter Reiter: Das ist ja nur der Saldo. Es sind im Jahr rund 80.000
       Menschen, die München verlassen, und 100.000, die in die Stadt ziehen. Ob
       der Großteil der Menschen, die mich vor sechs Jahren gewählt haben,
       überhaupt noch hier lebt, ist durchaus nicht sicher. Früher hat man in der
       Parteienforschung gefragt: Wo sind meine Milieus, meine Zielgruppen, meine
       Stadtviertel? Das funktioniert heute so nicht mehr.
       
       Aber Sie wissen schon, woher die Menschen kommen? 
       
       Viele Menschen kommen aus Osteuropa zu uns, aber auch aus anderen Teilen
       Europas und aus Deutschland natürlich auch. Wir haben aber auch einen hohen
       Geburtenüberschuss. Auch wenn die Rahmenbedingungen schwierig sind, wie
       hohe Mieten und hohe Lebenshaltungskosten, ist es immer noch so, dass viele
       Menschen in München leben möchten.
       
       Warum ist München so beliebt? 
       
       Sicher nicht, weil es so günstig ist. München ist eine weltoffene und bunte
       Stadt. Wir haben einen hohen Freizeitwert, die Berge, die Seen. Und viele
       Menschen kommen natürlich zu uns, weil sie hier Arbeit finden. Sie wissen,
       dass es hier einen funktionierenden Arbeitsmarkt gibt – für gering
       qualifizierte ebenso wie für hochqualifizierte Arbeitnehmer. Auch Rumänen
       und Bulgaren kommen in der Hoffnung, hier einen Job zu finden.
       
       Wie können Sie das steuern? 
       
       Eine meiner wichtigsten Aufgaben sehe ich darin, dafür zu sorgen, dass sich
       die Menschen, die sich die Stadt heute leisten können, München auch noch in
       20, 30 Jahren leisten können und nicht nur die Hochqualifizierten und
       Besserverdienenden.
       
       Wenn ich mit Wirtschaftslenkern oder Projektentwicklern spreche, dann mache
       ich das immer deutlich. Weil die Attraktivität einer Stadt von [1][der
       Unterschiedlichkeit der Menschen] lebt. Aber auch weil wir die Menschen,
       die bei der Müllabfuhr, in der Gastronomie oder in Pflegeberufen arbeiten,
       einfach brauchen.
       
       Reichen da Appelle? 
       
       Ich habe versucht, mit vielen Einzelmaßnahmen den Druck aus dem Alltag etwa
       für Familien zu nehmen, indem wir die Kindergartengebühren gestrichen
       haben. Oder wir bieten kostenlose Mittagessen für bedürftige Senior*innen
       an. Aber Dreh- und Angelpunkt ist die Mietpreisentwicklung.
       
       Sie haben einen Mietenstopp durchgesetzt. 
       
       Ja, für die rund 66.000 städtischen Wohnungen. Die Mieter*innen können sich
       sicher sein, dass es in den nächsten fünf Jahren keine Mieterhöhung gibt.
       Auf dem freien Markt funktioniert das aber nicht. Ich habe schon dafür
       Werbung gemacht, aber die Investoren zeigen leider eher wenig Interesse.
       
       Sie wollen, dass der Anteil preisgebundener Wohnungen von 40 auf 60 Prozent
       steigt. 
       
       Das werden sicher keine leichten Verhandlungen. Wir bräuchten dringend eine
       verbindliche gesetzliche Regelung und dafür werbe ich auch weiter
       hartnäckig im Bund. Im Rahmen meines „Münchner Zukunftsdialogs“ habe ich
       mit Experten sogar einen Gesetzentwurf verfasst und in Berlin vorgestellt.
       
       Teile davon hat zwar auch die Baulandkommission in ihre Vorschläge zur
       Änderung des Baurechts übernommen, beim Thema Soziales Bodenrecht weigert
       man sich aber hartnäckig, etwas zu tun.
       
       Warum wäre das für München so wichtig? 
       
       Wir haben seit gut 25 Jahren die sogenannte Soziale Bodennutzung, damit
       vereinbaren wir mit Investoren und Bauträgern einen festen Anteil an
       geförderten Wohnungen für jeden neuen Bebauungsplan. Das ist mehr oder
       weniger eine freiwillige Vereinbarung.
       
       Eine gesetzliche Grundlage würde hier klare und verbindliche Regelungen
       schaffen. Darin könnte man zusätzlich für Flächen, für die bereits kraft
       Gesetz Baurecht besteht, einen festen Anteil an preisgedämpften Wohnungen
       vorschreiben. Das beträfe in München rund 60 Prozent aller Flächen, wo
       Investoren bisher keine einzige geförderte Wohnung bauen.
       
       Bis ein solches Gesetz Realität wird, will ich mit Münchner Investoren neu
       verhandeln und wenigstens für Flächen, für die ein Bebauungsplan erstellt
       wird, den Anteil bezahlbarer Wohnungen auf 60 Prozent erhöhen.
       
       Dann blieben nur noch 40 Prozent frei finanzierter Wohnraum. 
       
       Ja. Die Investoren werden womöglich drohen, dass sie in München nicht mehr
       bauen. Ich bin aber überzeugt, dass sie dennoch bauen werden, einfach weil
       sich in München dann immer noch mehr Geld verdienen ließe als etwa in der
       Uckermark.
       
       Die Bürgerbegehren gegen Olympia und eine dritte Startbahn am Flughafen
       lassen vermuten, dass viele in München genug haben vom Wachstum? 
       
       Einige Menschen denken tatsächlich so. Ich versuche dann immer
       darzustellen, dass sich Wachstum nicht einfach ein- und ausschalten lässt.
       Wenn wir nicht mehr bauen, wenn wir keine Gewerbeflächen mehr ausweisen,
       wie es einzelne Parteien im Wahlkampf fordern, dann werden die Preise
       steigen. So einfach ist das. Und wenn Unternehmen keine
       Entwicklungsmöglichkeiten sehen, dann werden sie abwandern. Das wäre ein
       fatales Signal.
       
       Von qualitativem Wachstum ist dann die Rede. 
       
       Das klingt vielleicht schön. In der Realität gibt es aber keinen Regler,
       mit dem ich das „qualitative Wachstum“ ins Töpfchen und das „schlechte
       Wachstum“ ins Kröpfchen tun kann.
       
       Wie sieht hier also SPD-Politik für München aus? 
       
       Wir sind die Stimme für die Menschen, die keine Lobby haben. Es gibt viele
       Menschen, um die sich sonst keiner kümmert, zum Beispiel Rentnerinnen und
       Rentner. Oder gibt es irgendeine grüne Idee, die sich damit beschäftigt?
       
       Und was sind Ihre Ideen? 
       
       Einmal, die Menschen finanziell zu entlasten. Deshalb die Gebührenfreiheit
       der Kindergärten. Oder das kostenloses Mittagessen für bedürftige
       Senior*innen in über 32 Alten- und Servicezentren – ein bundesweit
       einmaliges Modell. Treffpunkte für ältere Menschen, wohnortnah über die
       Stadtviertel verteilt.
       
       Wir müssen auch weiter Wohnungen bauen, bezahlbare Wohnungen. Und wir
       kaufen mit unserem Vorkaufsrecht in bestimmten Gebieten, wo wir das
       rechtlich dürfen, Wohnhäuser auf, investieren Hunderte von Millionen Euro
       jedes Jahr, um die Mieter*innen vor Vertreibung zu schützen und die Mieten
       niedrig zu halten.
       
       Und außerdem? 
       
       Ich würde gerne den Menschen, die auf Grundsicherung zur Rente angewiesen
       sind, mehr Geld bezahlen, aus dem städtischen Etat, gut 100 Euro mehr. Darf
       ich nur leider nicht. Aber das Leben in München ist teuer und viele
       Rentner*innen, vor allem Frauen, kommen ganz schwer über die Runden.
       
       Die Bundesregierung blockt ab: Die Grundsicherung ist bundesweit geregelt. 
       
       Ja. Ein Stadtstaat müsste man sein. Das würde vieles erleichtern. Wenn ich
       daran denke, wie oft wir im Clinch mit dem Freistaat Bayern liegen, der
       seit gefühlt 1.000 Jahren politisch anders regiert wird. Wir würden uns
       auch gut finanzieren können, wenn man uns das Geld geben würde, das in
       München verdient wird. Das wäre für den Rest des Landes natürlich nicht so
       gut, deswegen kann ich verstehen, dass der Freistaat von dieser Idee nicht
       so begeistert ist.
       
       Fühlen Sie sich vom Bund alleingelassen? 
       
       Alleingelassen vielleicht nicht, aber als Kommune auch nicht ausreichend
       unterstützt. Die meisten Menschen leben nun einmal in den großen
       Ballungsräumen und wir als Bürgermeisterinnen und Bürgermeister müssen
       meist das ausbaden, was im Bund entschieden wird.
       
       Und wir sind nah an den Menschen, wir wissen doch am besten, was die
       Bürger*innen bewegt. Deshalb brauchen wir dringend ein Instrumentarium, um
       unsere Forderungen direkt bei der Bundesregierung anzubringen.
       
       Haben Sie da eine Idee? 
       
       Ich habe mal ein „Kommunalministerium“ ins Spiel gebracht. Es ist einer der
       großen Denkfehler der Politik, dass man nicht versucht, die Fachkompetenz
       der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu nutzen.
       
       Wo hätte man Sie denn fragen sollen? 
       
       Etwa beim Thema Mieten. Hier hat es viel zu lange gedauert, bis endlich
       Änderungen durchgesetzt wurden und auch das nur halbherzig. Wir können aber
       nur dann den Druck aus dem Wohnungsmarkt nehmen, wenn die Dringlichkeit
       endlich auch im Bund angekommen ist.
       
       In München wirkt die [2][Mietpreisbremse] nicht. Warum? 
       
       Ob sie wirkt, können wir noch nicht so genau sagen. Der Freistaat hat das
       Gesetz so schlampig formuliert, dass die Mietpreisbremse ungültig war und
       die Mieterinnen und Mieter in Bayern auf das neue Gesetz warten mussten.
       Das wurde erst im Sommer 2019 erlassen, vor etwa einem halben Jahr. Der
       Zeitraum ist leider zu kurz, um sagen zu können, ob die Mietpreisbremse nun
       wirkt oder nicht.
       
       Sind das die Dinge, die Sie in den sechs Jahren Ihrer Amtszeit besonders
       geärgert haben? 
       
       Ich ärgere mich vor allem dann, wenn Menschen mit dem Verweis darauf, dass
       man Dinge schon immer so macht, das Denken einstellen. Deshalb hängt auch
       in meinem Büro der Spruch: „Alle sagten immer, das geht nicht, dann kam
       jemand, der das nicht wusste, und hat es einfach gemacht.“
       
       Was hat Ihnen denn besonders viel gegeben? 
       
       Das, was 2015 passiert ist, das werde ich mein Leben lang nicht mehr
       vergessen. Die erleichterten Gesichter der Geflüchteten, als sie damals am
       Münchner Hauptbahnhof ankamen. Das unglaubliche Engagement so vieler
       Münchnerinnen und Münchner, die von jetzt auf gleich ihre Hilfe oder
       Spenden angeboten haben. Und natürlich auch, als ich die Bayernkaserne
       kurzerhand geschlossen habe, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein.
       
       Eigentlich war der Freistaat für die Flüchtlingsunterkunft zuständig, in
       der menschenunwürdige Zustände herrschten. 
       
       Das Thema Humanität hat mich nach einem Ortstermin nicht mehr losgelassen.
       Die Menschen mussten draußen schlafen, in erbärmlichen Verhältnissen, und
       das in einem reichen Land wie Deutschland.
       
       Aber dann war da eben auch der Zusammenhalt der Münchner Stadtgesellschaft.
       Mit welcher Vehemenz im Ehrenamt da Dinge gestemmt wurden, was wir in
       kürzester Zeit an Unterkünften aus dem Boden gestampft haben – da war die
       Stadt am Leuchten.
       
       10 Mar 2020
       
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