# taz.de -- Griechenland und die Flüchtlinge: Hart an der Grenze
       
       > Griechische Truppen gehen mit Gewalt gegen Flüchtlinge vor, die aus der
       > Türkei kommen. Die Soldaten erfahren im eigenen Land viel Zuspruch dafür.
       
 (IMG) Bild: Die Solidarität ist gewichen – Härte und Repression gegen die Geflüchteten herrschen in der Ägais und der Grenzregion zur Türkei
       
       Lesbos/Athen taz | Das patriotische Herz der Griechen schlägt gerade in der
       Region Kastanies an der Grenze zur Türkei: Die Anwohner sammeln
       Lebensmittel für die Polizei- und Militäreinheiten, die aus dem ganzen Land
       zur Stärkung des Grenzschutzes entlang des Flusses Evros geschickt wurden.
       
       Frauen backen Pites, Hefeteigwaren gefüllt mit Spinat und Porree, und
       bringen sie den Soldaten zur Stärkung. Die Anwohner haben
       Solidaritätskundgebungen veranstaltet, wovon der Bürgermeister der
       nächstgelegenen Stadt Orestiada, Vasilis Mavridis, aber abriet. Für jede
       Versammlung würden Polizisten gebraucht, und die fehlten dann an der
       Grenze.
       
       Mit Tränen in den Augen und zitternder Stimme sagte eine ältere Frau dem
       Reporter des regierungsnahen Fernsehsenders Skai, die Mütter der Soldaten
       sollten sich keine Sorgen um ihre Söhne machen, sie würden sich darum
       kümmern, dass es ihnen gut geht. Und der Vizebürgermeister des Ortes
       Ferres, Dimitris Kolgionis, erzählte, dass die Bauern mit den Lichtern
       ihrer Traktoren nachts den Fluss beleuchteten, damit die Grenzschützer eine
       bessere Sicht hätten. Griechenland dürfe sich sicher fühlen.
       
       Und die Griechen fühlen mit, sie haben die sonst vergessene Region für sich
       entdeckt: Die sonst auf Athen fokussierten Fernsehsender haben nun Reporter
       in Kastanies und sprechen mit den Menschen in den Cafés und auf der Straße.
       „Vergesst uns nicht, wenn dies vorüber ist“, mahnen sie. Denn Athen kümmere
       sich nicht um die Menschen dort, längst hätten die Jungen ihre Dörfer
       verlassen, auf der Suche nach Arbeit in Athen, Thessaloniki oder im
       Ausland.
       
       Früher war die Region eine Hochburg der sozialistischen Pasok. Mit der
       griechischen Finanzkrise wandten sich auch dort die meisten von den damals
       regierenden Sozialisten ab. Bei den Wahlen im Juli 2019 bekamen die
       Konservativen 45 Prozent der Stimmen, gefolgt von der linken Syriza mit
       25,5. Die patriotische Euphorie aber, sagen viele, richte sich vor allem
       gegen Erdoğan, der die Migranten instrumentalisiere und sie mit falschen
       Versprechungen an die Grenze dränge. Über die Flüchtlinge und Migranten
       selber spricht kaum jemand.
       
       Ganz anders das Klima auf Lesbos, dort haben längst Wut und Hass die
       Oberhand gewonnen. Rechte Gruppen bauen Straßensperren auf, halten Autos an
       und attackieren Flüchtlingshelfer. 2015 und 2016 hatte es noch eine enorme
       Welle der Solidarität mit den ankommenden Flüchtlingen gegeben. „Unsere
       Fischer haben die Menschen vorm Ertrinken gerettet. Wir haben ihnen Decken,
       trockene Kleidung und was zu Essen gebracht“, erinnert sich Stratos
       Paspalas, ein Metzger aus dem Ort Mandamados. Jetzt herrschen Frust und
       Enttäuschung.
       
       Die Rhetorik der konservativen Regierung Mitsotakis, wonach die in
       Griechenland ankommenden Menschen keine Flüchtlinge, sondern illegale
       Wirtschaftsmigranten seien, hat die Stimmung weiter angeheizt.
       
       Boris Cheshirkov, der UNHCR-Sprecher, der lange auf Lesbos stationiert war,
       sagt: „Es spielt eine Rolle, welches Vokabular in der öffentlichen
       Diskussion benutzt wird.“ Tatsächlich hätten 85 Prozent der Menschen, die
       2019 Griechenland erreichten, ein Flüchtlingsprofil. Sie kommen aus
       Ländern, deren Bevölkerung eine hohe Anerkennungsquote im griechischen
       Asylverfahren hat: Afghanistan, Syrien, Irak vor allem, aber auch Palästina
       und die Demokratische Republik Kongo.
       
       Und doch gelten für viele Griechen mittlerweile alle Flüchtlinge als
       Menschen, die kein Recht haben, sich im Land zu befinden. Zusätzlich
       kursieren Gerüchte über die Machenschaften der
       Nichtregierungsorganisationen, die aus dem Drama der Flüchtlinge auf Lesbos
       Profit schlagen und mit Schleppern zusammenarbeiten würden.
       
       Im Februar verabschiedete die neue Regierung ein Gesetz, das die NGOs
       strenger regulieren soll. Regierungsvertreter hatten auch raunend von
       kriminellen und parasitären NGOs gesprochen. Das sei bei vielen hängen
       geblieben, obwohl die Regierung keine Belege geliefert habe, die die
       Anschuldigungen untermauern, sagt die Rechtsanwältin Elli Kriona. Seit drei
       Jahren arbeitet die 35-Jährige für die jüdisch-amerikanische
       Nichtregierungsorganisation Hias – kurz für Hebrew Immigrant Aid Society –
       auf Lesbos und hilft Geflüchteten bei Asylverfahren.
       
       Jetzt, wo Erdoğan die Grenzen geöffnet hat und die Inselbewohner fürchten,
       dass noch mehr Flüchtlinge ankommen könnten, fühle sich der wütende Mob
       erst recht berechtigt, gegen Migranten und Flüchtlingshelfer vorzugehen,
       sagt Kriona: „Im Moment findet eine Hexenjagd auf der Insel statt. Und es
       ist das erste Mal, dass diese Wut von oben gesteuert wird.“
       
       ## Viele Helfer haben Lesbos verlassen
       
       Viele ausländische Helfer haben die Insel in den letzten Tagen verlassen.
       Die Einheimischen aber, die seit Beginn der Krise den ankommenden
       Flüchtlingen geholfen haben, wollen und können nicht gehen.
       
       Efi Latsoudi ist eine von ihnen. 2016 hat sie für die Helferinnen und
       Helfer eines [1][Flüchtlingscamps auf Lesbos] den Nansen-Flüchtlingspreis
       der Vereinten Nationen bekommen – zusammen mit dem Rettungsdienst HRT,
       einer NGO, die viele Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet hatte.
       
       Die EU sei mitverantwortlich für das Klima auf den Inseln, sagt Latsoudi.
       Sie müsste Griechenland darin unterstützen, die ankommenden Flüchtlinge
       willkommen zu heißen und ihnen eine schnelle Weiterreise ermöglichen im
       Rahmen der Familienzusammenführung und eines Umverteilungsprogramms, sagt
       die Aktivistin. Stattdessen schaue sie zu, wie Griechenland [2][die Rechte
       dieser Menschen verletze] und wie die Gesellschaft auf Lesbos immer
       rechtsextremer werde.
       
       Mit den jüngsten Maßnahmen der griechischen Regierung dürfen neu ankommende
       Migranten keinen Asylantrag mehr stellen. Auf Lesbos werden sie vorerst auf
       einem Kriegsschiff am Hafen von Mytilini registriert und sollen später in
       geschlossene Abschiebezentren gebracht werden. Nicht zuletzt [3][eine
       Abschreckungstaktik], die aufzugehen scheint: Zwischen Mittwoch und
       Donnerstag wurden kaum ankommende Flüchtlingsboote gemeldet.
       
       7 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rodothea Seralidou
       
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