# taz.de -- Bücher zum digitalen Leben: Die Ausgänge im falschen Jetzt
       
       > Künstler Douglas Coupland legt „Berichte aus einer sich auflösenden Welt“
       > vor, Netztaktivist Geert Lovink sucht Wege aus dem „Digitalen
       > Nihilismus“.
       
 (IMG) Bild: Der digitale Orca ist eine Skulptur Couplands in Vancouver
       
       Alle müssen sterben, immer wieder und wieder. Der Tod ist der künstlerische
       Ausweg aus der Zumutung des Lebens als individueller Erfahrung und
       gesellschaftlicher Tatsache. Ob Senioren einer Endzeitsekte, die wild um
       sich schießen, oder ein alles vernichtendes Erdbeben: Leere und Langeweile
       verdichten sich in Douglas Couplands „Bit Rot“ unweigerlich auf diesen
       Punkt absoluter Gewalt.
       
       Mit bitterer Schärfe blickt Coupland auf die Realität des digitalen
       Zeitalters in dieser Sammlung von Kolumnen und Kurzgeschichten,
       hervorragend übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann.
       Selbstoptimierung, Entfremdung, Überwachung, Sexualisierung und
       Geldschneiderei – nichts lässt Coupland aus und niemand bleibt am Leben.
       Mit Sarkasmus wird der Konsum seziert, die Abhängigkeiten, die
       Verlorenheit. Kein Klassenbewusstsein, keine Klasse, keine Hoffnung.
       
       Insofern bleibt Coupland, der Anfang der 1990er den Terminus der Generation
       X ins öffentliche Bewusstsein rückte, sich treu. Der so oft als Aufstieg
       missverstandene Niedergang dieser zwischen Babyboomern und Millennials
       angesiedelten Alterskohorte erfährt seine unendliche Beschleunigung am
       Smartphone. Die viel beschworenen Werte sind auswechselbare Sprechblasen,
       Fassade nutzlosen und disparaten Lebens.
       
       Hinreichend Abscheu zeigt Coupland für die Monetarisierung jeder
       menschlichen Entäußerung, noch selbst der präzisesten Kritik. Die Ironie
       daran, dass ausgerechnet die von ihm beschworene „Generation X“ als
       Marketingclaim reüssierte, ist ihm gewiss nicht entgangen.
       
       ## Hartes Urteil
       
       Die Entwurzelung als Modus Operandi des postmodernen Individuums muss mit
       kaltem, klarem Blick zwangsläufig zur Verachtung der Umstände seines
       Daseins führen. Seine Lächerlichkeit liegt bloß, und doch glaubt er, sich
       darin wohlzufühlen. Folgsam wird der Weg der erzwungenen Gemeinschaft in
       Gesellschaft all der anderen Deformierten genommen, immer auf der Suche
       nach einem Halt. Ungläubig schaut der Betrachter auf das Treiben und wird
       hart im Urteil: „Ich frage mich, ob die meisten Menschen überhaupt dafür
       geschaffen sind, mit dem geistigen Vakuum zurechtzukommen, das durch
       Freiheit entstehen kann.“
       
       Coupland beschreibt sein Werk als Zufall. Dieses Versehen einer
       Autorenkarriere setzt er pflichtgemäß fort, auch neben seiner Arbeit als
       bildender Künstler. Und was er inzwischen hauptsächlich schreibt, sind
       Miniaturen, die jene Verweigerung der Freiheit partout nicht akzeptieren
       wollen. Coupland liebt ganz offensichtlich die Menschen, aber er hasst ihr
       Tun, ihre Unterwerfung unter das, was Geert Lovink in einem ebenfalls im
       vergangenen Jahr erschienenen Band „Digitalen Nihilismus“ nennt.
       
       Der Medientheoretiker und Aktivist Lovink hat nicht den Luxus des
       Schriftstellers, einen Widerspruch einfach per Blutbad aufzulösen. Er muss
       in seiner Beschreibung der Zurichtung des Individuums nicht nach dessen
       Sollbruchstellen suchen, schließlich liegen die offen zutage. Der Weg dort
       heraus ist sein Thema. Der kritikwürdige Ist-Zustand dient der Illustration
       derjenigen Potenziale, die jenseits von Profitlogik und subtiler oder
       offener Herrschaft liegen.
       
       ## Realität aufbrechen
       
       Seit 25 Jahren gilt [1][Lovink als Vordenker und Praktiker] von Autonomie
       und Selbstermächtigung angesichts staatlicher und kommerzieller Übermacht.
       Meme-Kultur und Cybermobs beziehen sich, ob unbewusst oder wissentlich,
       unter anderem auf seine Theorie. Die Sabotage, die überraschende
       Intervention ist dabei kein Selbstzweck. Lovink ist nicht auf der Suche
       nach dem richtigen Leben im Falschen, sondern nach den Türen, die das
       falsche Jetzt trotz allem bereithält. Und er wirbt mit Nachdruck dafür,
       diese zu durchschreiten. Sein Band ist deshalb eine lohnende Rundschau über
       Ideen und Theorien, die er teils verwirft, teils positiv heranzieht. Er
       lässt dem Leser aber genug Freiraum, um zu eigenen Bewertungen zu kommen.
       
       Zu Überwindendes beschreibt Lovink mit eingängigen Formeln. Die
       Datenakkumulation der großen Plattformen nennt er „soziales Staubsaugen“.
       Ohne große Umstände formuliert Lovink ein Unbehagen und bietet Auswege,
       ohne dabei allzu moralinsauer vorwurfsvoll die individuelle Mediennutzung
       zu verdammen. Es geht ihm um die [2][Bildung von Gemeinschaft], auch
       temporärer, um die Realität des Ausgeliefertseins zu durchbrechen und zu
       verändern – damit nicht am Ende alle immer sterben müssen.
       
       3 Mar 2020
       
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