# taz.de -- Sardinen-Demos in Italien: Mit Haltung, aber ohne Plan
       
       > Auftritte von Muslimas und Geflüchteten in Rom sollen zeigen: Die
       > Sardinen sind antirassistisch und inklusiv. Doch ein klares Programm
       > fehlt bisher.
       
 (IMG) Bild: Einige von tausenden Demonstranten am Samstag in Rom
       
       Rom taz | Bloß eine gute Minute sprach am Samstagnachmittag Nibras Asfa vor
       den Zehntausenden, die [1][auf der Piazza San Giovanni in Rom zur
       Kundgebung der Sardinen] zusammengefunden hatten, doch am Ende gab es
       stürmischen Applaus. Die junge Frau, die bei ihrem Auftritt einen Hijab
       trug, verlas zunächst den Artikel drei der italienischen Verfassung. Dieser
       sichert allen Bürgern die gleichen Rechte zu: „ohne Unterscheidung nach
       Geschlecht, Rasse, Sprache, Religion“.
       
       Dann aber legte sie nach. Weder Matteo Salvini von der rechtspopulistischen
       Lega noch Giorgia Meloni, die ihre stramm rechte Partei Fratelli d’Italia
       mit noch schärferen Tönen als Salvini auf mittlerweile 10 Prozent
       hochgebracht hat, „gefällt unsere Präsenz hier, und erst recht nicht meine
       Präsenz!“, rief sie. „Ich bin eine Frau, ich bin Muslima, ich bin Tochter
       von Palästinensern!“
       
       Der Beifall der Sardinen war ihr sicher, waren die doch genau deshalb in
       Rom auf der Piazza, um Salvini Einhalt zu gebieten, wie sie es seit nunmehr
       einem Monat quer durch Italien auf Dutzenden Kundgebungen taten. Dass
       Nibras Asfa versprach, „all denen, die wieder die schwarzen Kapitel der
       Vergangenheit aufschlagen wollen, sage ich, wir werden das nicht zulassen“,
       traf den Sound der jungen Bewegung auf den Punkt.
       
       Einer Bewegung, [2][die am 14. November in Bologna] von vier 30-Jährigen
       aus der Taufe gehoben worden war. An jenem Tag war Salvini angereist, um
       den Wahlkampf in der seit je links regierten Region zu eröffnen – und die
       vier wollten dagegenhalten, baten alle jene Bürger, die von Populismus und
       Hassrhetorik die Nase voll haben, zu einem Flashmob. 12.000 kamen – gut
       doppelt so viele wie auf der Kundgebung des Lega-Chefs – und aus der
       Spontanidee war eine Bewegung entstanden. Abend für Abend gingen nun von
       Palermo bis Turin, von Mailand bis Neapel die Antipopulisten auf die
       Straße, bewaffnet mit Pappsardinen, immer mit den Regeln der – auch
       verbalen – Gewaltlosigkeit und des Verzichts auf jedwede Parteiinsignien.
       
       Nibras durfte jetzt erfahren, dass die andere Seite jedoch keineswegs daran
       denkt, verbal abzurüsten. „Raus mit dir!“, „Hau ab in dein Ländchen!“ –
       reihenweise bekam sie in sozialen Medien Kommentare mit diesem Tenor. Ganz
       ähnlich war es Rama Malik gegangen, in Italien aufgewachsene Tochter von
       Senegalesen, die sich in einem Facebook-Video als Sardine geoutet hatte.
       Der Politologin wurde geraten: „Geh doch anschaffen, das ist das einzige
       was du kannst!“
       
       ## Keine organisatorischen Strukturen
       
       Die Wut der Rassisten überrascht nicht. Denn die Bewegung ist nach eigenem
       Selbstverständnis das genaue Gegenteil von ihnen: Antifaschistisch ist die
       Bewegung – regelmäßig wird bei den Kundgebungen das Partisanenlied „Bella
       Ciao“ angestimmt –, antirassistisch und inklusiv. Als echte
       Graswurzelbewegung verfügen die Sardinen über alles andere als ein
       Programm: Nur diese drei Punkte sind für sie unumstößlich. So redeten bei
       der Kundgebung am Samstag in Rom auch Pietro Bartolo, der als Arzt auf
       Lampedusa gearbeitet hatte und jetzt im Europaparlament sitzt, und die
       italienische Sprecherin von Sea-Watch.
       
       So richtig durchdekliniert haben die Sardinen jedoch noch nicht, was denn
       daraus folgt. Kein Wunder: Organisatorische Strukturen sind jenseits der
       losen lokalen Initiativen, die die jeweiligen Flashmobs angestoßen haben,
       in keiner Weise präsent.
       
       Am Sonntag trafen sich erstmals überhaupt 160 Vertreter*innen aus ganz
       Italien. Auch sie erarbeiteten vorerst keinen Forderungskatalog, nahmen zum
       Beispiel zur Frage, wie es Italien denn mit dem Staatsbürgerschaftsrecht
       für Kinder aus Migrantenfamilien halten soll, keine Positionierung vor.
       
       Nur in einem Punkt hatte sich Mattia Santori, einer der vier Gründer aus
       Bologna, schon auf der Kundgebung vom Samstag geäußert. [3][Salvinis
       Sicherheitsdekrete], die vorneweg die Politik der „geschlossenen Häfen“
       festschrieben, so formulierte er übervorsichtig, sollten „überdacht“
       werden. „Nicht überdacht – abgeschafft!“, kam ihm laut aus der Menge
       entgegen, und Santori lenkte ein: „Okay, abgeschafft.“
       
       16 Dec 2019
       
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