# taz.de -- Neues Kunstbuch „Sudan Retold“: Die Freiheit knapp verpasst
       
       > Im Buch „Sudan Retold“ zeichnen 30 Künstler*innen ein neues Bild der
       > sudanesischen Geschichte. Die Werke sind Vorboten des politischen
       > Wandels.
       
 (IMG) Bild: Berenice aus dem Kapitel „The Golden Kingdom“
       
       Bilder aus dem Sudan gingen [1][dieses Jahr um die Welt] – von
       protestierenden Menschenmassen, die dem Militär trotzten, und starken
       Frauen, die zu Ikonen der Revolution wurden. Aber was wissen Menschen in
       anderen Ländern sonst so über den Sudan?
       
       Gar nichts, glaubt Khaled Al-Baih. Der sudanesische Künstler und
       Comiczeichner zog schon früh mit seiner Familie aus dem Sudan nach Doha. Er
       wuchs mit Menschen aus aller Welt auf und unterhielt sich dabei viel über
       deren Länder und Kulturen. „Wenn die Sprache auf den Sudan kam, konnte sich
       niemand etwas darunter vorstellen“, so Al-Baih.
       
       Und was ihn noch mehr störte: „Das Wissen der Sudanes*innen über ihr
       eigenes Land ist genauso gering.“ Er selbst habe nicht genug über den Sudan
       gewusst, um ein geistiges Bild des Landes hervorzurufen, geschweige denn
       eines für andere zu zeichnen.
       
       ## Vergangenheit und Zukunft des Sudan
       
       Um diese Lücke zu füllen, beschloss Al-Baih ursprünglich, eine Graphic
       Novel über die Geschichte des Sudan zu schreiben. Wenige Jahre später ist
       nun stattdessen der Sammelband „Sudan Retold. Ein Kunstbuch über die
       Vergangenheit und Zukunft des Sudan“ entstanden. Das Buch ist in
       Kooperation [2][mit dem Goethe-Institut Sudan] im Hirnkost Verlag
       erschienen.
       
       Darin schlagen mehr als 30 Künstlerinnen und Künstler, die aus den
       unterschiedlichsten Kunstformen herstammen, bislang kaum bekannte Kapitel
       der sudanesischen Geschichte auf. Neben Comiczeichner*innen sind
       [3][Grafikdesigner*innen, Filmemacher*innen, Musiker*innen,
       Illustrator*innen] und sogar ein Koch vertreten. QR-Codes führen
       Leser*innen auf die Website des Projekts, wo sie Musikstücke hören können.
       
       „Sudanes_innen sind sehr stolze Menschen“, schreibt Al-Baih in der
       Einleitung. „Der Mangel an Wissen über und an Wertschätzung für einen
       pluralistischen Sudan war jedoch das Ergebnis leider erfolgreicher
       Bemühungen der politischen Arabisierung und Islamisierung des Sudan seit
       seiner Unabhängigkeit im Jahr 1956.“ Al-Baihs Idee war daher, die
       Erinnerungen von Künstler*innen anzuzapfen und mit ihrer Hilfe eine
       vielseitigere Version der Geschichte zu erzählen.
       
       ## Es gab noch keine freie Kunstszene
       
       Es könnte wohl keinen besseren Moment geben, um die Geschichte des Sudan
       und seine Zukunft neu zu definieren. Nichts anderes haben die
       Demonstrant*innen auf den Straßen der sudanesischen Städte getan, bis ihre
       Forderungen Gehör fanden. Doch es ist auch ein wenig bedauerlich, dass die
       Arbeit am Buch schon im Januar 2017 begann, bevor sich eine unzensierte,
       freie Kunstszene entwickeln konnte. Damals war noch nicht absehbar, dass
       knapp zwei Jahre später eine Protestbewegung beginnen sollte, die den
       Diktator Omar al-Bashir nach 30 Jahren aus seinem Amt stürzen sollte.
       
       „Würde das Buch anders aussehen, wenn wir heute anfingen daran zu arbeiten?
       Absolut“, sagt Al-Baih. „Bislang mieden Künstlerinnen und Künstler
       politische Themen aus Angst vor Repressalien.“ Durch diese Selbstzensur
       hätten sie jeden Bezug zur Gesellschaft verloren. Al-Baih und seine
       Co-Herausgeberin Larissa Fuhrmann wollten auf gesellschaftliche Relevanz
       nicht verzichten, doch vor allem war ihnen wichtig, das Buch im Sudan
       veröffentlichen zu können: „Dafür mussten wir uns an die Regeln des Staates
       halten.“ Zwei Kunstwerke seien aus diesem Grund ganz gestrichen worden.
       
       Jetzt hingegen erlebt die Kunstszene eine Wiedergeburt. „Die Menschen
       wollen nicht länger schweigen“, sagt Comiczeichner Yousuf Elameen
       Elkhair, der mit zwei Kapiteln im Sammelband vertreten ist. „Sie wollen
       fotografieren, dichten, malen – irgendwie gegen das Regime laut werden.
       Plötzlich ist es möglich, sich kritisch zu äußern, und alle spüren den
       Drang, kreativ zu werden.“
       
       ## Zweiter Band geplant
       
       Diese neue Freiheit hat „Sudan Retold“ verpasst. Doch ihr würde Al-Baih
       gerne einen zweiten Band widmen. Darin, so der Herausgeber, möchte er sich
       zudem um eine größere geografische Diversität bemühen. Die meisten der
       Arbeiten in „Sudan Retold“ stammen von Künstler*innen, die in der
       Hauptstadt Khartoum oder im Ausland leben.
       
       Die 27 Kapitel des Buchs lassen sich grob in vier Themenschwerpunkte
       aufteilen. Der erste Abschnitt liefert einen Überblick über die frühe
       Geschichte des Landes, die Kolonialzeit und die Trennung in Sudan und
       Südsudan 2011. Die Künstlerin Dar Al Naim Mubarak erinnert zum Beispiel an
       die Ära des Christentums im Sudan. In ihren Zeichnungen lässt sie die
       ehemalige christliche Hauptstadt Faras wiederauferstehen, die in den
       1960ern beim Bau des Suez-Kanals geflutet wurde.
       
       Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit der Vielseitigkeit der
       sudanesischen Identität. Mehr als 500 Sprachen gibt es im Land, darauf
       weist der Künstler Alaa Satir in einem Comic hin. Im dritten Abschnitt des
       Buches liegt der Schwerpunkt auf Frauen und deren Rolle in der
       sudanesischen Gesellschaft. Starke Frauen und Stolz auf kulturelle
       Traditionen bestimmen diese Darstellungen.
       
       ## Toleranz, Bescheidenheit und Menschenfreundlichkeit
       
       Im letzten Abschnitt geht es um die sufische Strömung im Islam. „Es ist
       nicht zuletzt dem Sufismus zu verdanken, dass Toleranz, Bescheidenheit und
       Menschenfreundlichkeit ein Teil des sudanesischen Charakters sind“,
       schreibt Ahmed Ibrahim Abushouk im Vorwort.
       
       Das Buch enthält wenig Text – immer dreisprachig: arabisch, deutsch,
       englisch –, sodass die dargestellten Themen nur oberflächlich erklärt
       werden. Ohne Vorwissen lernt man erst einmal nicht so viel. Doch die Bilder
       vermitteln ein Gefühl für die sudanesische Geschichte, machen Lust darauf.
       Sie regen dazu an, selbst weiter zu recherchieren. Und sie sind Vorboten
       der progressiven und relevanten Kunst, die in einem freieren Sudan
       entstehen könnte. Denn trotz der repressiven Atmosphäre, in der „Sudan
       Retold“ entstand, und trotz der Selbstzensur ist das Buch im Kern
       subversiv.
       
       Eine andere Version der Geschichte zu erzählen, als in den Schulbüchern
       steht, eine andere Identität zu beschreiben, als der Staat propagiert, ist
       eine subtile Form des Protests. „Sudan Retold“ ist ein Buch, das einen
       Wendepunkt markiert: entstanden in Zeiten von Angst und Zensur,
       veröffentlicht zu Beginn einer freieren Ära. Gewidmet ist es all jenen,
       „die wir auf dem Weg verloren haben, und denen, die weiterhin dafür
       kämpfen, dass wir nie wieder in Angst leben müssen.“
       
       12 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Sudan-nach-der-Revolution/!5589388
 (DIR) [2] https://story.goethe.de/sudan-retold#114758
 (DIR) [3] /Neues-Album-von-Sinkane/!5604554
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannah El-Hitami
       
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