# taz.de -- Aktivistin über Sexkaufverbot: „Prostitution ist Gewalt“
       
       > Die meisten Prostituierten arbeiten unter Zwang, sagt Heidemarie Grobe
       > von Terre des Femmes. Sie kämpft dafür, dass Freier bestraft werden.
       
 (IMG) Bild: Das Sexkaufverbot soll sich gegen die Freier richten, nicht gegen die Prostituierten
       
       taz: Frau Grobe, warum wird die Debatte um ein Sexkaufverbot so erbittert
       geführt? 
       
       Heidemarie Grobe: Weil Prostitution Gewalt gegen Frauen ist. Die große Zahl
       der Prostituierten „arbeitet“ unter Zwang. Seien sie menschengehandelt oder
       arm – auch Armut ist ein Zwang – oder drogenabhängig. Um die kleine Zahl
       der Freiwilligen kümmern wir uns nicht, die sorgen für sich. Der erbitterte
       Kampf erklärt sich einmal aus dem finanziellen Interesse der
       ProstitutionsbefürworterInnen, zum anderen aus der stetig wachsenden Zahl
       der BefürworterInnen eines [1][Sexkaufverbots], wie es inzwischen von
       Norwegen bis Israel in Gesetze gefasst ist.Die Zahlen dazu sind
       bemerkenswert vage: Da wird der Anteil der selbstbestimmt arbeitenden
       Prostituierten auf zwischen zehn und fünfzig Prozent geschätzt.
       
       Ich glaube, die Zahlen werden je nach Interessenlage gemacht. Ich muss dazu
       sagen: Ich bin Soziologin, gehe mein Leben lang mit Zahlen um und bin seit
       1992 bei [2][Terre des Femmes]. Überall, egal, welches Gewaltthema wir
       nehmen, ist das Dunkelfeld groß. Ich bin seit zehn Jahren in der AG
       Frauenhandel und Prostitution, bis dahin hatte ich auch ein weich gespültes
       Bild und eine sogenannte liberale Haltung zur Prostitution, sodass ich
       dachte: Denen kann ich dieses Beschäftigungsfeld nicht wegnehmen. Das hat
       sich gewaltig verändert durch die zunehmende Kenntnis der Fakten.
       
       Was denken Sie heute? 
       
       Wir müssen den Blick wegnehmen von den Prostituierten und auf die Käufer
       schauen. Ich spreche auch nicht von Sexarbeit, sondern von Sexkauf, weil
       das Wort Arbeit für mich zu positiv besetzt ist. Ich weiß, dass der Begriff
       benutzt wird, auch der der sexuellen Dienstleistung, aber, nehmen Sie mir
       es nicht übel, ich kann es nicht mehr hören.
       
       Die GegnerInnen eines Sexkaufverbots sagen, dass es den ausgebeuteten
       Prostituierten nicht nutzt, sondern sie im Gegenteil in eine ungeschützte
       Unsichtbarkeit drängt. 
       
       Auch das ist ein Argument, das ich nicht mehr hören kann. Wir von Terre des
       Femmes können nur sagen: Schlimmer als jetzt kann es Prostituierten nicht
       gehen. Denken Sie mal an den Straßenstrich in der Berliner
       Kurfürstenstraße. Ich verlasse mich darauf, wie sehr sich die schwedische
       Gesellschaft verändert hat, seit das Sexkaufverbot vor 20 Jahren eingeführt
       wurde. Ich kenne junge schwedische Männer, die es unvorstellbar finden,
       dass man Frauenkörper kaufen kann. Da müssen wir ansetzen – und da sind wir
       sehr spät.
       
       Doch noch mal zum Beginn: Sie sagen, dass die inhärente Gewalt dafür
       verantwortlich ist, dass die Debatte so heftig geführt wird. Aber beim
       Thema häusliche Gewalt ist die Diskussion deutlich weniger polar. Geht es
       eben um die Frage der Deutungshoheit, ob man Prostitution mit seinem
       Menschenbild vereinen kann? 
       
       Ich denke, dass auch die Debatte um häusliche Gewalt heftiger werden wird.
       Was ich als Unterschied bei den beiden Themen sehe: die Interessen einer
       bestimmten Lobby, von Selbstvertretungsgruppen wie [3][Hydra] und [4][Dona
       Carmen], die dann gemeinsam mit Bordellbesitzern an runden Tischen sitzen
       und um ihre Pfründe fürchten.
       
       Im Hamburger Stadtteil St. Georg gibt es seit 2012 ein Kontaktverbot für
       Freier – das könnte man ja als Vorstufe eines Sexkaufverbots sehen. Wirkt
       es? 
       
       Nein. Wer soll es kontrollieren? Das mag auf dem Papier stehen.
       
       Wird denn ein Sexkaufverbot automatisch besser kontrolliert? 
       
       In Schweden schon. Da werden die potenziellen Käufer aufs Korn genommen.
       Die „Arbeit“ wird ja weiterhin verkauft. Es ist ja nicht so, dass die
       Prostituierten kriminalisiert werden. Aber die Polizei ist näher am Ball.
       Das ist sie in Deutschland durch das Prostituiertenschutzgesetz nicht mehr,
       weil sie kaum Kontrollmöglichkeiten hat, inwieweit Zwang, Gewalt und
       zuhälterische Ausbeutung vorliegen.
       
       Das heißt aber, dass das reine Verbot ohne den Willen, seine Einhaltung zu
       kontrollieren, nichts bringen wird. 
       
       Wie gesagt: Es muss ein Paradigmenwechsel im Kopf stattfinden. Eine
       Kollegin meinte gestern: „Der Sumpf der Freier muss ausgetrocknet werden.“
       Es empört uns, dass Abifeiern und Junggesellenabschiede im Bordell
       stattfinden. Die gesamte Pornifizierung der Gesellschaft trägt dazu bei,
       wie mit Prostitution umgegangen wird. Ich habe in meiner AG eine Berliner
       Therapeutin, die mit traumatisierten Prostituierten arbeitet – die geht an
       die Decke, wenn sie das Wort Sexarbeit hört.
       
       Sexuelle Ausbeutung ist bereits jetzt ein Straftatbestand. Warum hilft das
       nicht gegen Gewalt und Menschenhandel? 
       
       Die sexuelle Ausbeutung muss erst einmal dingfest gemacht werden. Ganz oft
       sind diese Frauen der deutschen Sprache nicht mächtig, ganz oft wird ihnen
       der Ausweis weggenommen, werden ihnen gegenüber Geldforderungen gestellt,
       die sie nicht erfüllen können. Es ist sehr schwierig, an sie heranzukommen
       und nachzuweisen, dass es sexuelle Ausbeutung ist. Und es bleibt zu fragen:
       Wer meldet die Straftat?
       
       Letzten Endes sagen Sie: Deren Interessen sind schützenswerter als die der
       Prostituierten, denen damit ein Berufsfeld genommen wird, das sie sich
       selbst aussuchen konnten. 
       
       Ja. Ich will nicht mit Ihnen streiten, was nun Mehrheit bedeutet. Es gibt
       die Zahlen, seien es 90, 80 oder 85 Prozent von nicht selbst bestimmten
       Prostituierten. Jede ist eine zu viel. Für mich ist diese Arbeit eine
       Preisgabe. Ich habe gelesen, dass die GegnerInnen des Sexkaufverbotes die
       BefürworterInnen für frustrierte Feministinnen halten, die patriarchalische
       Ideen haben und den Sexarbeiterinnen nicht den Spaß am Sex gönnen. Ich muss
       dazu sagen: Ich habe meine Sexualität stets lustvoll gelebt:
       selbstbestimmt, freiwillig und auf gleicher Ebene in einer guten
       emotionalen Einbettung. Klar kann man sagen: Man macht einen Deal
       miteinander. Aber wenn man in Freierforen schaut, dann geht es nicht um
       einen Deal auf Augenhöhe, sondern um Macht, mit der die Frauen zu Objekten
       gemacht werden.
       
       KritikerInnen sagen, dass es Teil des patriarchalen Denkens sei, Frauen ein
       Konzept ihrer Sexualität vorzugeben. Tun Sie das denn? 
       
       Ich selbst bin sehr konservativ aufgewachsen, mit der Vorstellung,
       unberührt in die Ehe zu gehen und solch einem Quatsch. Wenn eine Frau ihren
       Körper anbieten will und den entsprechenden Mann dazu findet im privaten
       Kreis, habe ich überhaupt kein Problem damit. Aber sobald das Ganze
       kommerzialisiert wird, geschieht es nicht mehr auf Augenhöhe. Es ist eine
       alltägliche Gewalt, an die sich zu viele gewöhnt haben.
       
       Glauben Sie, dass sich die BefürworterInnen eines Sexkaufverbots
       durchsetzen werden? 
       
       Ja, jedoch müssen wir uns vor Augen führen, wie lang der schwedische Weg
       hin zum Verbot des Sexkaufs gewesen sein mag: 20 Jahre? So lange dürfen wir
       nicht mehr warten, deshalb kämpfen wir für einen zügigen Bewusstseinswandel
       bei Männern und Frauen, gleich welchen Alters, denn die alltägliche Gewalt
       in der Prostitution muss ein Ende haben. Es gibt auch in Schweden
       Prostitution und häusliche Gewalt – das lässt sich nicht verhindern,
       dennoch hat sich durch die veränderte Haltung der Männer, dass Frauenkörper
       nicht zu kaufen sind, die Selbstverständlichkeit des Sexkaufverbots
       durchgesetzt.
       
       9 Dec 2019
       
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