# taz.de -- Krise der Demokratie: Mitten im Vakuum
       
       > Ob in Großbritanninen oder in den Vereinigten Staaten: Millionen können
       > sich darauf einigen, gegen Trump und Johnson zu sein. Aber wofür sind
       > sie?
       
 (IMG) Bild: Ein provokanter Kuss? Viele Demokraten wenden sich längst ab von Trump und Johnson
       
       Die Tochter, die seit drei Jahren in London lebt, möchte nicht mehr über
       den Brexit sprechen. Ihr hängt das Thema zum Hals heraus: „Ich habe
       aufgehört, etwas dazu zu lesen. Wenn wir nicht mehr in der EU sind, dann
       werde ich es schon erfahren.“ Den britischen Premierminister Boris Johnson
       findet sie unerträglich. Dreist sei er und verlogen. Was nicht bedeutet,
       dass sie sich wünscht, Labour-Chef Jeremy Corbyn möge ihn ablösen. Den
       verachtet sie, wegen seiner taktischen Spielchen.
       
       Einige tausend Kilometer weiter westlich: andere Akteure, ähnliche
       Stimmung. Gerade besuche ich Freunde in Buffalo im US-Bundesstaat New York.
       Nur noch Ekel malt sich auf ihren Gesichtern angesichts der täglich neuen
       Lügen, die US-Präsident Donald Trump und seine Getreuen im Weißen Haus
       verbreiten. Nicht einmal mehr Empörung und ganz gewiss keine Überraschung.
       „Ich möchte endlich wieder einmal mit Genuss belanglose Nachrichten lesen,
       Klatsch aus Hollywood zum Beispiel“, sagt Greg. „Aber so sind die Zeiten
       nicht.“
       
       Er und seine Frau Jeanne sind überzeugte Demokraten. Was nicht bedeutet,
       dass es ihnen derzeit viel Spaß macht, über ihre Partei zu reden. Wer soll
       gegen Trump bei den Präsidentschaftswahlen antreten? Oh, well. Jeanne
       findet Amy Klobuchar ganz gut, eine Senatorin, deren Namen in Deutschland
       kaum jemand kennt und die beim Schaulaufen der Kandidatinnen und Kandidaten
       bislang weit abgeschlagen auf einem der hinteren Plätze gelandet ist.
       Elizabeth Warren? Gilt als zu radikal, gegen Trump räumen ihr meine
       Gastgeber kaum Chancen ein. [1][Joe Biden]? Oh, well. Schweigen.
       
       Buffalo liegt nahe an der Grenze zu Kanada. Dort hat Ministerpräsident
       [2][Justin Trudeau,] jahrelang ein Hoffnungsträger von Liberalen weltweit,
       es bei den Parlamentswahlen mit knapper Not geschafft, sich im Amt zu
       halten. Schwere Verluste hat seine Partei erlitten. „Blutleer“, nennt die
       New York Times seinen Sieg und schreibt: „Aber es hätte nicht einmal ein
       Kampf sein sollen.“
       
       ## Auf Normalmaß geschrumpft
       
       So populär war Trudeau noch vor kurzem, so schwach erschienen seine Gegner.
       Und nun? Ein entzauberter Politiker, auf Normalmaß geschrumpft. Ein Skandal
       um rassistische Fotos war Auslöser für den Absturz, nicht die tiefere
       Ursache. Die liegt unter anderem in Enttäuschung über die Entwicklung der
       Wirtschaft und erbittertem Streit über die Migrationspolitik.
       
       Millionen sind bereit, sich gegen Donald Trump und Boris Johnson zu
       engagieren, in ihrem Abscheu gegenüber Politikern dieses Schlages sind
       weltweit viele einig, die sonst nur selten einig sind. Aber genau das ist
       das Problem. Sie sind in anderen Fragen eben nur selten einig. Der geistige
       Raum, in dem Linke, Halblinke und Liberale sich derzeit bewegen, lässt sich
       mit einem Wort beschreiben: Vakuum.
       
       Jedenfalls im Hinblick auf gemeinsame Ziele. Alle Kräfte werden für die
       Abwehr gebraucht und eingesetzt: Gegen rechts, gegen den Klimawandel, gegen
       Rassismus und Antisemitismus. Was ja auch unbestreitbar notwendig ist. Aber
       Abwehr alleine genügt auf die Dauer nicht. Damit lassen sich Wahlen nur
       schwer gewinnen. Leute wollen sich gern auch für etwas einsetzen, nicht nur
       gegen etwas. Abwehrkämpfe lösen keine Begeisterung aus.
       
       Verglichen mit den USA und Großbritannien scheinen wir in Deutschland auf
       einer Insel der Seligen zu leben, allen Erfolgen der AfD zum Trotz. Was
       immer für und gegen Angela Merkel sprechen mag: Immerhin ist sie keine
       Populistin, und sie hält Menschenverachtung nicht für eine legitime
       politische Haltung. Das ist heutzutage nicht wenig. Man wird bescheiden.
       Allzu bescheiden. Überzeugende Alternativen für die Nachfolge? Bisher nicht
       in Sicht. Auf keiner Seite des politischen Spektrums. Das kann sich noch
       als bedrohlich erweisen.
       
       30 Oct 2019
       
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