# taz.de -- Greta Thunbergs Erfolg: Flugscham verwirrt die USA
       
       > Greta Thunberg wird den Amerikanern nicht das Fliegen austreiben. Aber
       > die Idee der Flugscham könnte zu anderen Veränderungen inspirieren.
       
 (IMG) Bild: Gelingt es Greta Thunberg, die AmerikanerInnen zu mehr zu bringen als zum Demonstrieren?
       
       Berlin taz | Von ihrem zweiwöchigen Segeltörn über den Atlantik nach New
       York hat Greta Thunberg drei Dinge in die Vereinigten Staaten mitgebracht:
       eine schwarze Segler*innenjacke, eine starke Botschaft an die Vereinten
       Nationen und das schwedische Konzept „Flygskam“, Flugscham.
       
       Als Thunberg ihre Reise per Schiff in Angriff nahm, schnappatmeten die
       amerikanischen Medien vor Aufregung über dieses in Europa bereits
       verbreitete Phänomen. Noch heute, im fortgeschrittenen September,
       erscheinen immer noch etliche Artikel, in denen diese Flugscham und die
       Abhängigkeit der Menschen vom Luftverkehr kommentiert, Politiker*innen und
       Manager*innen gedrängt werden, zu erklären, was nun zu tun ist.
       
       Nur einige Titelzeilen: „[1][Is shaming people for flying effective?]“,
       „Have you been flight shamed?“, „Is 2019 the year flying became uncool?“,
       „[2][Flight Shamers Want Us To Give Up Air Travel. They’re Not Wrong.]“ Es
       gibt etliche mehr.
       
       Es ist nicht schwer zu verstehen, warum die Amerikaner*innen mit so
       gemischten Gefühlen auf die Idee einer Flugscham reagieren. Das Land ist
       4.300 Kilometer breit, und in der heutigen globalisierten Welt leben
       Familienangehörige und Freund*innen weit voneinander verstreut – nur durch
       Flugstrecken verbunden. Stellten Flüge früher ein Status Symbol dar, sind
       sie heute einfach nur ein Teil des alltäglichen Familienlebens. Autofahren
       ist langsamer, gefährlicher und schadet der Umwelt ebenfalls, die
       amerikanische Bahninfrastruktur ist fürchterlich mickrig und überteuert.
       Die Briten reagieren vielleicht ähnlich schroff auf Thunberg, weil sie von
       Wasser umgeben sind.
       
       Außerdem sind die Preise für Flüge signifikant gefallen und ermöglichen es
       viel mehr Menschen zu reisen als früher. Europa, das einmal 1.000 US-Dollar
       pro Person kostete, ist nun mit etwas Glück für ein Drittel dieses Betrags
       zu erreichen.
       
       Menschen, für die Reisen bedeutet, sich zu bilden und zwischen den Kulturen
       auszutauschen, finden sich mit ihrer Neugier auf andere Orte in einem
       Dilemma wieder. Wie Billigflug-Experte Scott Keyes sagt: „Menschen
       miteinander und mit anderen Gesellschaften in der ganzen Welt zu verbinden,
       ist eine unglaublich gute Sache. Ich finde es wunderbar, dass Reisen nicht
       länger den Reichen vorbehalten ist.“ (Keyes sagt übrigens auch, er sähe
       lieber die Business-Klasse in Flugzeugen abgeschafft, die besonders
       schlecht fürs Klima sei.)
       
       Während sich die Republikaner*innen wenig um die Rolle des Luftverkehrs im
       Klimawandel zu scheren scheinen, hat die Debatte bei den Demokrat*innen
       einigen internen Zank hervorgerufen. [3][Alexandria Ocasio-Cortez ist eine
       ausgewiesene Kritikerin von Flugreisen und will den Vereinigten Staaten mit
       ihrem Green New Deal] Hochgeschwindigkeitszüge beschaffen und redet sogar
       darüber, Flugzeuge abzuschaffen. Ihre Äußerungen sorgen den Hawaianischen
       Senator Mazie Hirono, einen ihrer Parteifreunde, der sagt. „Das wäre ganz
       schön schwer für Hawaii.“ (Klar, denn Hawaii ist eine 4.900 Kilometer von
       Kalifornien entfernte Insel.) Es ist kompliziert.
       
       Trotz ihrer überzeugenden Argumente gegen das Fliegen wird Thunberg
       letztlich nicht viel daran ändern, dass Menschen dieses Transportmittel
       nutzen. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihre amerikanische Reise kein
       Erfolg ist. Indem sie Flugscham in die Staaten gebracht hat, hat sie die
       Kontrolle über die Klimaerzählung ergriffen, auch wenn Leute gar nicht mehr
       oder nicht weniger fliegen. Thunbergs Flugscham hat einen Einfluss auf eng
       damit verbundene Phänomene.
       
       ## Es geht auch um generelle Konsumkritik
       
       Ja, Menschen mögen weiter fliegen. Aber Flugscham bedeutet auch Kritik am
       demonstrativen Konsumieren, das in der amerikanischen Kultur längst an
       Popularität verloren hat. Es ist nicht mehr hip, einen Spritfresser wie den
       Hummer zu fahren, und ein nachhaltiger Lebensstil ist zumindest schon mal
       interessant genug, um darüber zu reden. Thunberg mag die Schlacht gegen das
       Fliegen nicht gewinnen, aber vielleicht gegen andere Arten exzessiven
       Konsums.
       
       Im Übrigen hat die steigende Ungleichheit in den USA zu einer Art
       Reichen-Scham geführt, die in die gleiche Richtung wirkt und ebenfalls
       helfen könnte, den überbordenden Konsum zu zähmen. Vielleicht sogar beim
       Fliegen. Während der Finanzkrise beispielsweise, befragte der Kongress
       Führungskräfte, wie sie nach Washington gekommen seien. Als viele zugaben,
       dass sie ein Privatflugzeug genutzt hatten, gab es einen Shitstorm, die
       Kritik an der Wirtschaft und Ungleichheit wuchs.
       
       Das könnte Unternehmen, die ihr Image verbessern wollen, dazu drängen, ihre
       Manager*innen weniger und weniger privat fliegen zu lassen. Schaffen sie
       das, würde es ihnen wiederum einen Pluspunkt verschaffen, mit dem sie
       werben – und gleichzeitig Geld sparen – können. Und das müsste auch ihren
       Anteilseignern gefallen. Wer weiß, vielleicht führt Flugscham noch dazu,
       dass Vergünstigungen für Unternehmen aufhören?
       
       (Übersetzung aus dem Englischen: Beate Willms)
       
       20 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.treehugger.com/travel/shaming-people-flying-really-effective.html
 (DIR) [2] https://www.vice.com/en_ca/article/xweynk/flight-shamers-want-us-to-give-up-air-travel-theyre-not-wrong
 (DIR) [3] /US-Linke-praesentieren-Green-New-Deal/!5571582/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ethan Wolff-Mann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) USA
 (DIR) Flugverkehr
 (DIR) Schulbehörde Hamburg
 (DIR) Flugscham
 (DIR) Flugscham
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Greta Thunberg
 (DIR) IG
 (DIR) Schwerpunkt Fridays For Future
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kritik an Klassenfahrten per Flugzeug: Das vielfliegende Klassenzimmer
       
       Hamburger Schulkassen steigen oft für Klassenfahrten ins Flugzeug. Deutlich
       zu oft, findet Hamburgs Schulsenator und verweist auf den Klimaschutz.
       
 (DIR) Regisseur über Flugscham: „Man muss es einfach nicht machen“
       
       Lars Jessen verzichtet seit Jahren aufs Fliegen. Der Regisseur über
       Anfeindungen, Flugscham und Zugstolz.
       
 (DIR) Doppelflug zum UN-Klimagipfel: Desaströse Symbolik
       
       Die Kritik am Doppelflug der Bundesregierung ist hohl. Und die Botschaft
       der deutschen Klimapolitik ist so verheerend, weil sie so ehrlich ist.
       
 (DIR) Greta Thunberg in New York: Die Veränderung kommt
       
       Eine Viertelmillion Menschen waren in New York auf dem Klimastreik. Die
       meisten davon Teenager, die Greta Thunberg wie eine Ikone feiern.
       
 (DIR) Klimaschutz-Bewegung in USA: Make America Greta again
       
       Die USA sind das Land mit der höchsten Konzentration an Klimaleugnern. Doch
       dank New Yorker Teenagerinnen wächst die Fridays-for-Future-Bewegung.
       
 (DIR) Klimapaket der Bundesregierung: Das Gespenst des Murksismus
       
       Schwarz-Rot verspricht für das Klimapaket einen „großen Wurf“. Dafür aber
       ähnelt es zu sehr seinen Vorgängern, die alle scheiterten.
       
 (DIR) Größte Klimasünder der Welt: Die dreckigen drei
       
       Wer ist der größte Klimasünder? China? Die USA? Die EU? Es kommt drauf an,
       wie man rechnet. Das Ergebnis kann durchaus überraschen.