# taz.de -- Projekt für psychisch Kranke in Bremen: Ambulante Hilfe vor dem Aus
       
       > Das Gapsy-Rückzugshaus in Bremen-Walle hilft Menschen in psychischen
       > Notlagen – ambulant und niedrigschwellig. Die Kassen wollen es aufgeben.
       
 (IMG) Bild: Ob Depression oder andere Krise – manchmal braucht's einen Rückzugsort
       
       Bremen taz | Akute psychische Krisen müssen nicht immer zu einem Bett im
       Klinikum Bremen-Ost führen. Wer nur die Nacht- und Nachmittagsstunden
       überbrücken muss, Gesellschaft sucht und ärztliche Hilfe für den Notfall,
       der kann seit 2004 auf die Rückzugsräume der Gesellschaft für ambulante
       psychiatrische Dienste (Gapsy) vertrauen.
       
       Doch nun schlagen Psychiatrieerfahrene Alarm: Das Rückzugshaus in Walle
       steht vor der Schließung. Nur bis Ende des Jahres wollen die
       Vertragspartner-Krankenkassen das Modellprojekt noch finanzieren. „Es sieht
       zappenduster aus“, so Genesungsbegleiterin Arnolde Trei-Benker.
       
       Den Fachärzt*innen, die bisher im Rückzugshaus vorbeischauen, Gespräche
       führen und Medikamente verschreiben, musste die Gapsy schon kündigen. „Wir
       wissen nicht, wie es ab Januar weitergeht, also können wir auch keine Leute
       beschäftigen“, so Geschäftsführer Helmut Thiede. Bei manchen Betroffenen
       führe das zu Angst. „Das sind Menschen, die seit 15 Jahren nicht mehr in
       die Klinik mussten, weil sie in Krisen zu uns kommen konnten“, erklärt er.
       
       Vor allem Menschen mit Depression und Schizophrenie nutzen die
       [1][Rückzugsräume] bei akuten Krisen, aber auch für andere psychische
       Probleme ist Platz. Etwa 120 bis 150 Menschen sind im Jahr zu Gast. Jeweils
       vom späten Nachmittag bis 9 Uhr morgens hat das Haus geöffnet. In Absprache
       mit Ärzt*innen können die Patient*innen wenige Tage bleiben, aber auch bis
       zu vier Wochen.
       
       ## Preisgekröntes Konzept
       
       Sozialarbeiter*innen sind die ganze Nacht für Gespräche vor Ort, es kann
       zusammen gekocht und geredet werden, es gibt einen Fernsehraum und
       Gesellschaftsspiele – und die Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Tagsüber
       können die Gäste zurück in ihr „eigentliches Leben“, bei Bedarf mit
       ambulanter Unterstützung. Trei-Benker, selbst psychiatrieerfahren, lobt das
       preisgekrönte Konzept: „Die Gäste können ihrem Alltag weiterhin nachgehen“,
       erklärt sie.
       
       In Bremen hat man sich schon seit der Psychiatriereform 2013 auf die Fahnen
       geschrieben, die Möglichkeiten der ambulanten Psychiatrie zu stärken, mit
       dem „Strategiepapier Psychiatriereform“ wurde diese Entscheidung [2][Anfang
       des Jahres bestätigt]. Der [3][Koalitionsvertrag] der neuen Landesregierung
       bleibt etwas unkonkret, hält aber auch fest, man wolle „individuelle und
       passgenaue Hilfe“, und die „ambulante Versorgung in den Quartieren
       vorantreiben“.
       
       Die Gesundheitsbehörde bedauert daher die Entscheidung der Krankenkassen
       zum Rückzugshaus. „Wir sehen, dass wir damit niedrigschwellig auch Menschen
       erreichen, die sonst das Hilfesystem nicht in Anspruch nehmen“, so
       Behördensprecherin Christina Selzer. „Das haben wir auch gegenüber den
       Kassen deutlich gemacht.“ Doch abseits von Appellen ist der Einfluss des
       Senats auf die Leistungskataloge der Krankenkassen begrenzt.
       
       Die Krankenkassen haben die Pflicht, eine Regelversorgung abzudecken. Die
       Hilfe in den Rückzugsräumen gehört nicht dazu – sie war seit 2004 über
       freiwillige Verträge mit einigen Bremer Krankenkassen gesichert. Diese
       Verträge kündigen die beteiligten Kassen nun auf: „Wir sind nicht mehr
       zufrieden mit der Leistung, die wir inzwischen erhalten, und die auch
       anders vereinbart war“, erklärt Jörn Hons, Sprecher der AOK.
       
       Ursprünglich, sagt er, sollten die Rückzugsräume nur für wenige Tage
       genutzt werden, um zu verhindern, dass ein Patient in kurzzeitigen akuten
       Krisen gleich zurück in eine stationäre Einrichtung kommt. Stattdessen, so
       erklären AOK und hkk, seien die Räume für manche zu einer Dauerlösung
       geworden.
       
       „Wenn jemand so schwer krank ist, dass er wochenlange Betreuung braucht,
       muss er in stationäre Behandlung“, glaubt Hons. Wenn umgekehrt ein Patient
       auch zu Hause zurechtkäme, sei eine verlängerte halbstationäre Aufnahme in
       den Rückzugsräumen „nicht Sinn der Sache – und nicht wirtschaftlich. Das
       Wirtschaftlichkeitsgebot für Krankenkassen gilt auch für psychische
       Erkrankungen“, so Hons.
       
       Dabei hieß es lange, dass die Rückzugsräume Kosten einsparen könnten. Um
       die 240 Euro kostet hier eine Unterbringung pro Patient und Nacht. Die
       Kosten für andere Betreuungsarten variieren weit, laut [4][Entgelttabelle
       für psychische Krankheiten] bringt ein vollstationär aufgenommener
       schizophrener Erwachsener (ohne weitere Komplikationen) dem Krankenhaus
       zwischen 309 und 416 Euro pro Tag, je nach Dauer des Aufenthalts.
       
       ## Hoffnung auf Verhandlungen
       
       Die Gesundheitsbehörde würde sich wünschen, dass Rückzugsräume künftig aus
       Mitteln des SGB V regulär finanziert werden könnten, statt als rein
       freiwillige Leistung. Laut AOK-Sprecher Hons würde das die Kosten pro
       Patient etwas senken: Da die meisten Bremer Krankenkassen ihren
       Versicherten die Leistung ohnehin nicht anböten, sei die Auslastung der
       Rückzugsräume aktuell nicht so gut, wie sie sein könnte.
       
       Trei-Benker und einige Mitstreiter*innen wollen für den Erhalt des
       Rückzugshauses kämpfen – notfalls mit einer Hausbesetzung, erst einmal aber
       mit Unterschriftenlisten. Gapsy-Geschäftsführer Thiede setzt auf weitere
       Verhandlungen. Ein möglicher neuer Vertrag allerdings, das macht Hons klar,
       wäre an den Wünschen der Krankenkassen orientiert – und das Haus damit nur
       noch für wenige Tage nutzbar.
       
       Dabei hätte Thiede selbst eigentlich größere Pläne: „Am besten wäre es
       natürlich, wenn Menschen in Krisen einfach so vorbeikommen könnten, ohne
       eine Diagnose. Es müsste einfach reichen, dass jemand gerade ein Problem
       hat.“
       
       18 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.weser-kurier.de/startseite_artikel,-Schutz-in-Zeiten-psychischer-Krisen-_arid,1093930.html
 (DIR) [2] /Psychiatrie-in-Bremen/!5569256/
 (DIR) [3] https://www.spd-land-bremen.de/Dokumente-und-Materialien.html
 (DIR) [4] https://www.g-drg.de/PEPP-Entgeltsystem_2019/PEPP-Entgeltkatalog
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lotta Drügemöller
       
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