# taz.de -- Berliner Fashion: Elegant wie Oma
       
       > Uta Eisenhardts Schwieger-Oma war ein Fashion Victim und sammelte in
       > sieben Kleiderschränken elegante Mode aus mehreren Jahrzehnten.
       
 (IMG) Bild: Uta Eisenhardt im Kostüm ihrer Großmutter
       
       Das gelbe Kostüm, handgestrickt. Das beigefarbene Kleid, von schwarzer
       Spitze durchbrochen. Ein mintgrüner Rock mit zarten, pinkfarbenen
       Frühlingsblüten. Krokoleder-Taschen mit pittoresk geformten Verschlüssen.
       Oma hatte Geschmack. Immer neue Traumstücke aus Stoff, Strick, Filz, Leder
       und Pelz entdeckte ich in ihren sieben prall gefüllten Kleiderschränken.
       
       Oma war eigentlich meine Schwieger-Oma, die Großmutter meines Mannes, aber
       ich war es, die nach ihrem Tod auf diesem Schatz saß – ein Schatz, von dem
       jede modisch interessierte Frau nur träumen kann.
       
       Oma war Jahrgang 1913, sie hatte den Krieg erlebt, zwar nahezu unbehelligt
       in der thüringischen Pflaumenmus-Kleinstadt Mühlhausen, ja sogar mit
       eigenem Haus und Garten. Dennoch war auch sie vom kollektiven Trauma des
       Hortens und „Nichts mehr wegschmeißen“-Könnens erfasst worden. Nahezu alle
       Dinge gab es in ihrem Haushalt mehr als einmal.
       
       Das zeigte sich, als ich aus ihrem Garten eine Erinnerungs-Pfingstrose
       ausbuddeln wollte und der Spatenstiel im lehmigen Boden abbrach.
       Normalerweise hätte ich jetzt in einen Baumarkt fahren, einen neuen Stiel
       besorgen und ihn gegen den alten austauschen müssen. Nicht so bei
       Schwieger-Oma: Dort ging ich in die Garage, holte einfach den nächsten
       Spaten und erkannte mit einem Seitenblick, dass sogar noch ein dritter auf
       seinen Einsatz wartete.
       
       Genauso hielt es Oma mit ihrer Garderobe. Sie besaß alles und das auch noch
       mehrfach. Sie konsumierte hemmungslos, ohne schlechtes Gewissen wegen
       verschwendeter Ressourcen, natürlich auch nicht gegenüber Tieren, die ihr
       Leben wegen Omas Pelzliebe aushauchen mussten.
       
       ## Kleidungsstücke aus den 20er Jahren
       
       Was nach ihrer Meinung dann unmodern war, wurde dank des Nachkriegstraumas
       aber auch nicht weggeschmissen. Im großen Haus wanderte es einfach eine
       Etage höher, bis es irgendwann im Dachboden angekommen war. Dort fand ich
       die ältesten Kleidungsstücke aus den ausgehenden 20er Jahren. Damals wohnte
       Oma in Breslau. Die schlesische Großstadt hatte ihren Geschmack geprägt.
       Dort spielte die verwöhnte einzige Tochter eines Gesandtschaftssekretärs
       Tennis und studierte im ersten Semester Medizin, als sie ihrem späteren
       Mann begegnete, einem Augenarzt. Er hing an seiner Heimatstadt Mühlhausen
       und es war überhaupt nicht diskutabel, dass er sich so bald wie möglich
       dort mit einer eigenen Praxis niederlassen wollte.
       
       Es muss ein Alptraum für die damals 22-Jährige gewesen sein, als sie
       erkannte, was der Umzug in eine Kleinstadt tatsächlich bedeutete. Tapfer
       behauptete die große, attraktive Frau auch hier ihre modischen
       Ansprüche.Zum Kostüm trug sie die passenden Handschuhe, den farblich
       abgestimmten Mantel, dazu Hut, Tasche und Pumps. Die Mühlhäuserinnen müssen
       sie um ihren spendablen Mann beneidet, aber hinter ihrem Rücken auch
       boshaft getratscht haben über die Frau, deren Leben sich eigentlich in der
       großen, weiten Welt abspielen sollte, nun aber in der Provinz verlor.
       
       Den Frust darüber muss Oma mit immer mehr Kleiderbestellungen kompensiert
       haben, denn damals ging die begüterte Dame nicht ins Luxus-Kaufhaus,
       sondern zum Schneider. Mit Stoffen und Schnitten aus dem Westen war sie
       auch zu DDR-Zeiten stets auf der Höhe der Zeit. Selbst die
       Plastik-Modesünden der Sechziger und Siebziger machte sie mit. Erst nach
       der Wende – da war ihr Mann gerade gestorben und Oma mittlerweile Mitte
       siebzig – kleidete sie sich eher pragmatisch in Hose, Bluse und Blazer,
       alles in gedeckten Farben, möglichst weit und bequem.
       
       Mit Freude durchforstete ich nun ihr Bekleidungs-Erbe. Wie gut, dass mir
       eine Freundin vor kurzem eine Aufräum-Methode empfohlen und ich mich gerade
       von einem Drittel meiner Sachen getrennt hatte! Dennoch bogen sich bald
       auch meine Garderobenstangen unter ihrer Last. Und noch immer gab es viele
       Stücke, die ich schön fand, aber selbst nicht tragen wollte.
       
       Um nicht alle Sachen in unsere Berliner Heimat schleppen zu müssen,
       inserierten wir zunächst, dass wir einen Trödelmarkt in Omas Haus
       veranstalten würden. Die Mühlhäuserinnen kamen auch und kauften alles
       Mögliche, nur für Omas Outfits interessierte sich keine. Vintage ist dort
       nicht angesagt. „Das müsst ihr auf den Berliner Flohmärkten verkaufen“,
       lautete der einhellige Rat.
       
       ## Ein Schatz in Tüten
       
       So kam es, dass wir unseren Schatz in großen Tüten verstauten und unter die
       Trödler gingen. Sechs Wochen lang traten wir Sonntag für Sonntag auf dem
       Boxhagener Platz an. Zunächst besorgten wir uns vier Kleiderstangen,
       natürlich die billigsten, schließlich sollten sie nur ein paar Wochen lang
       halten. Eine war allerdings so fragil, dass sie noch nicht einmal das
       geschafft hat. Einen Tapeziertisch und eine Regenplane besaßen wir, die
       Bügel kamen aus Omas Haushalt, ebenso ein alter Spiegel.
       
       Nun brauchten wir noch eine Umkleidekabine. Wir dachten zunächst an einen
       Paravent, doch der war zu schmal und ließ sich nur mit Basteln in „U“-Form
       bringen. Vielleicht eine Duschhalterung mit Vorhang? Bei der Recherche
       stieß ich auf ein sogenanntes Duschzelt, eine faltbare Outdoor-Kabine aus
       Nylon. Sie wurde unser Alleinstellungsmerkmal unter allen
       Flohmarkt-Kleiderhändlern, diesen Service bot sonst keiner an.
       
       So ausgerüstet erschienen wir pünktlich um zehn Uhr am Treffpunkt Ecke
       Grünberger, Gärtnerstraße und warteten darauf, dass uns der Marktleiter
       eine Fläche zuweisen würde. Ein Quadratmeter Stand kostet acht Euro, doch
       was zählt alles dazu? Auch die Fläche, auf der die Kunden laufen? Wir
       meldeten uns mit sechs Quadratmetern und folgten im Pulk mit anderen
       Freizeittrödlern dem kleinen Mann, der sich bemühte, schon beim Gehen
       keinen Zweifel an seiner Position aufkommen zu lassen: Er stolzierte
       förmlich übers Pflaster, den Rücken nach hinten geneigt, damit die Brust
       besser zur Geltung kommt. Über jeden hinwegblickend erteilte er seine
       Kommandos. „Kommt, hier!“, sagte er zu uns. „Aba macht mir keen Chaos!“
       Angesichts dieser Autorität atmeten wir erst einmal durch. Wir hatten es
       geschafft, wir durften loslegen, unseren eigenen „Shop“ erbauen! Am
       längsten dauerte es, die Einzelteile auf die Bügel zu fummeln. Beim Abbau
       würden wir sie gleich dranlassen. Omas mindestens einhundert elegante
       Kopfbedeckungen drapierten wir auf dem Tisch, etwa fünfzig Paar Schuhe
       darunter. Noch während des Aufbaus kamen die ersten Interessierten. Sie
       reagierten erstaunlich positiv auf unser Angebot und dessen Herkunft. „Oma
       war eine richtige Shopping Queen“, meinte eine. „Ja, und süchtig nach
       Hüten“, vermutete die nächste. Die Kundinnen lobten die Qualität von
       Mustern, Stoffen, Schnitten und Verarbeitung, schätzten aber auch das
       sichtbar Alte wie Modelle aus Trevira und Dederon oder 80er-Jahre-Blazer
       mit Schulterpolstern.
       
       Gummistiefel-Trägerinnen posierten vor unseren Augen in hauchzarten
       Spitzenunterhemden und verwandelten sich in Glamour-Ladies im Brokatkleid.
       Bald hatten wir etliche Fans, die schon sehnsüchtig darauf warteten, beim
       nächsten Flohmarkt-Besuch die Sachen zu Gesicht zu bekommen, die bis dato
       noch in Säcken geschlummert hatten.
       
       In den Nächten, die auf einen Markttag folgten, schlief ich unruhig. Ich
       dachte an Omas Kleider und die vielen Gespräche mit den Frauen, die sich
       dafür interessiert hatten. Ob die Verstorbene gutgeheißen hätte, was wir
       mit ihren Sachen taten? Ich kam zu dem Schluss, dass sie darüber nicht
       begeistert gewesen wäre, vor allem nicht darüber, wie billig wir ihre einst
       so teuren Sachen verkauften. Ich bezweifelte, ob es Oma getröstet hätte,
       dass mit ihrem Fundus etwa 300 Frauen aus aller Welt glücklich wurden.
       Teilen war nicht ihre Sache gewesen. Uns aber hat es Spaß gemacht, die
       Geschichte von der wohlhabenden, aber frustrierten und daher so
       putzsüchtigen Oma den Berlinern sowie den zahlreichen Touristen zu erzählen
       und auf so viele Menschen zu treffen, die der Kauf von einem getragenen
       Kostüm oder Hut glücklich stimmte.
       
       Ich persönlich begeistere mich fast jeden Tag am Anblick der vielen
       einmalig schönen Kleidungsstücke, die Oma mir hinterlassen hat. Die vor 106
       Jahren geborene Modekönigin vermachte mir – einer Frau ohne Hutgesicht –
       sogar eine elegante Kopfbedeckung, die mir steht. Als Nächstes werde ich
       mich mit der Korrespondenz und den Tagebüchern beschäftigen, die Oma
       ebenfalls komplett aufgehoben hat. Sechs Koffer mit Schriftstücken wollen
       gelesen werden, womöglich enthalten auch sie einen noch ungehobenen Schatz.
       
       17 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uta Eisenhardt
       
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