# taz.de -- US-Musiker Damon Locks: Spiritualität gegen Alltagsgewalt
       
       > Für Damon Locks begann ein Erweckungsprozess, als er Strafgefangenen
       > Kurse in bildender Kunst gab. So entstand das Album „Where Future
       > Unfolds“.
       
 (IMG) Bild: Damon Locks, links, mit Tänzern des Black Monument Ensembles
       
       Die Illustrationen des afroamerikanischen Chicagoer Künstler Damon Locks
       haben einen prägnanten, sofort einprägsamen Stil. Zuletzt gestaltete er die
       Cover von Alben seiner Musikerkollegen Makaya McCraven, Rob Mazurek und
       Tomeka Reid. Was hierzulande nur wenige wissen: Locks blickt auf eine lange
       Karriere als Sänger zurück, bekannt wurde Damon Locks Ende der Achtziger in
       der Postpunkband Trenchmouth, später war er Teil der Band The Eternals.
       Musik und bildende Kunst sind bei ihm zwei Seiten einer Medaille.
       
       In seinen Songtexten war Locks immer Chronist von Chicagos mitunter
       ruppigem Stadtleben. Strukturelle Gewalt und alltägliche Repression in der
       US-Gesellschaft der Gegenwart machen sich auch in seinem Grafikstil
       bemerkbar. „Oft fühlen sich BetrachterInnen meiner Coverart an die
       Agitprop-Ästhetik der Bürgerrechtsbewegung erinnert. Klar, ich habe
       verstanden, wie das damals funktionierte, und es schwingt bestimmt bei mir
       mit, zugleich habe ich realisiert, wie inhaltsleer das heute wirkt.“ Diese
       Erkenntnis brachte Locks dazu, selbst aktive Sozialarbeit zu machen. Er
       fing an, ehrenamtlich für Chicagoer Wohlfahrtsorganisationen zu arbeiten.
       
       Der Wendepunkt kam 2014, als ihn die Kuratorin Heather Radke vom Jane
       Addams Hull-House Museum davon überzeugte, Insassen des
       Stateville-Gefängnisses in Crest Hill, Illinois, in bildender Kunst zu
       unterrichten. Zusammen mit elf Knackis realisierte Locks auch ein Werk für
       eine Ausstellung, in der es um den Einfluss von Graswurzelbewegungen ging,
       etwa, wie sie sich erfolgreich für mehr Freizeit von ArbeiterInnen
       einsetzten.
       
       ## Animationsfilm gegen Unrecht
       
       „Wir haben einen Animationsfilm entwickelt, der sich um die Faktoren
       Freiheit und Zeit dreht“, erzählt Locks. „Zu dieser Zeit häuften sich in
       den USA gewaltsame Tode von unbewaffneten Schwarzen. Mich schockierte
       speziell die Tat an Mike Brown. Damals besuchte ich für meine Arbeit
       regelmäßig den Knast und bekam aus nächster Nähe mit, wie das
       US-Justizsystem funktioniert. Jedes Mal, wenn ich rauskam, war wieder
       jemand von einem Polizisten niedergestreckt worden. Und irgendwann fragte
       ich mich, was meine wohlfeile Kunst noch mit dem Alltag zu tun hat. Also
       habe ich meine Grafiken vorübergehend eingestellt und darüber nachgedacht,
       was ich tun kann, und mich für die Lehre entschieden.“
       
       Sein Interesse auf dem Gebiet der Musik wurde durch das soziale Engagement
       wieder gestärkt, was zu Locks Opus magnum führte: Vor Kurzem
       veröffentlichte er zusammen mit dem von ihm ins Leben gerufenen Black
       Monument Ensemble das Album [1][„Where Future Unfolds“] beim US-Label
       International Anthem.
       
       Es ist absolut spirituelle Musik, in der ein Gospel-getriebener Chor auf
       einen instrumentalen Hybriden aus elektronischen Beats und Groove-basiertem
       Jazz trifft, worüber Locks auch Textbotschaften schickt. Der Sound ist
       Dokument eines Konzerts von Locks im Chicagoer
       Garfield-Park-Konservatorium, das im November 2018 stattfand: Es war die
       bis dato die wirkmächtigste Kulmination seiner künstlerischen Selbstwerdung
       und Weiterentwicklung des eigenen musikalischen Schaffens.
       
       Nachdem er jahrzehntelang ohne viel Resonanz in kleinen Clubs aufgetreten
       war, wurde Damon Locks von der Zuschauerreaktion nach einer Performance
       überwältigt, die er 2015 in einer Galerie gegeben hatte. An jenem Abend
       mischte er Samples von berühmten Civil-Rights-Reden mit eigenen
       Textsplittern, hypnotischen Loops und einer abgespeckten Fassung des
       Black-Monument-Ensemble-Songs „Sounds Like Now“ zusammen. „Die Zuschauer
       waren gebannt und haben sich hinterher über Details unterhalten, was für
       mich ergreifend war.“ Als er das Konzept kurze Zeit später in New Orleans
       vorstellte, haben ihn hinterher Wildfremde umarmt. Locks begriff, dass
       seine Musik zu den Leuten durchdringen kann.
       
       ## Im Banne von Chorgesang
       
       Plötzlich befand er sich in einem künstlerischen Erweckungsprozess. Er
       realisierte ein Projekt mit der Jugend-Tanzcompagnie „Move Me Soul“ als
       Teil einer Merce Cunningham gewidmeten Ausstellung im Museum of
       Contemporary Art in Chicago und geriet bei einem weiteren Aufenthalt in New
       Orleans zufällig in den Auftritt eines Chors, der zu Ehren von Martin
       Luther King sang.
       
       Es war der gleiche Chorgesang, wie er ihn bereits auf Alben des
       Jazztrompeters Archie Shepp, den [2][Voices of East Harlem] und den Freedom
       Singers gehört hatte. Locks studierte alle diese Quellen der Inspiration,
       führte lose Enden zusammen und ging neue Arbeitsbeziehungen mit Kollegen
       ein, weil ihm bewusst war, dass es noch an musikalischem Verständnis, aber
       auch an der Logistik, die Zusammenarbeit verlangt, fehlte.
       
       Ausgestattet mit einem Künstlerstipendium des Hyde Park Art Center in der
       Southside Chicagos, war es ihm 2017 möglich, mit ehemaligen Mitgliedern des
       Chicagoer Children’s Choir zu arbeiten. Allmählich setzte er so das Puzzle
       zusammen und komponierte Musik mit dem Feuereifer eines Aktivisten. Wobei
       die Arbeit mit einem 14-köpfigen Ensemble nicht konfliktfrei verlief. Locks
       holte weitere MitstreiterInnen dazu und nun gehören neben ihm selbst an den
       Electronics, der Jazzdrummer Dana Hall, die Klarinettistin Angel Bat Dawid,
       der Perkussionist Arif Smith sowie fünf ChorsängerInnen und fünf
       TänzerInnen zum Ensemble.
       
       Als Sänger stand Damon Locks früher meist im Mittelpunkt seiner Bands, auch
       in seinen Alben mit dem Trompeter Rob Mazurek war seine Stimme zentrale
       Klangsignatur. Bei „Where Future Unfolds“ kommt sie lediglich auf zwei
       Songs zum Einsatz. Locks liefert die einschüchternde Einführung „Statement
       of Intent/Black Monument Theme“, und er übernimmt die Rolle eines Predigers
       in dem sehr anschaulichen Call-and-Response-Track „Power“, zusammen mit dem
       Chor.
       
       „Als ich die SängerInnen zum ersten Mal hörte, wurde mir erst bewusst, wie
       gut die einzelnen Stimmen die Melodien singen können, dadurch konnte ich
       wiederum komplexere Harmonien komponieren, die mir alleine gar nicht
       gelingen würden. Es ging also in der Arbeit nicht so sehr um mich als
       Sänger, sondern darum, was die Songs jeweils benötigen.“
       
       Im Gegensatz zum sozialen Impetus seiner Helden, der britischen Skaband The
       Specials und der New Yorker HipHop-Crew Public Enemy, schätzt er seinen
       eigenen Einfluss als begrenzt ein. „Die Arbeit mit dem Black Monument
       Ensemble führt in die richtige Richtung. Wir sind den Prinzipien
       verpflichtet, wie ich sie von Musik- und Kunstkollektiven wie AACM und
       Africobra gelernt habe: Wir orientieren uns dafür an alten Manifesten. Was
       da über Musikerorganisation und basisdemokratische Selbstbeteiligung
       geschrieben steht, ist immer noch aktuell.
       
       Danach habe ich mich als junger Musiker gesehnt, aber in den Achtzigern und
       frühen Neunzigern war das weitgehend inexistent. Wie macht man Musik, die
       wirklich im Alltag bedeutsam ist? Da sind wir ein Stück vorangekommen. Die
       Chicagoer Musikszene als solche ist mir nicht mehr so wichtig, wichtiger
       ist mir, mit befreundeten KünstlerInnen zu arbeiten und sicherzustellen,
       dass die Arbeit von den HörerInnen auch verstanden wird. Musikmachen
       bedeutet, Schönheit zu schaffen, sei es durch einen Sänger, durch eine
       Tänzerin, durch eine Musikerin. Diese erweiterte Funktion von Musik habe
       ich mir immer gewünscht, aber ich wusste nicht, wie das geht, bis es von
       selbst passiert ist.“
       
       Der Text erschien zuerst im britischen Musikmagazin „The Wire“. Nachdruck
       mit freundlicher Genehmigung. 
       
       Übersetzung aus dem Englischen von Julian Weber.
       
       25 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=BriqXzv5yGE
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=IqKH4-P24zw
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Margasak
       
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