# taz.de -- Pat Nehls über Geschlechterzwang: „Das ist keine Meinung“
       
       > Pat Nehls hat das Geschlecht aus dem Personenregister streichen lassen.
       > Ein Gespräch über den Kampf um Anerkennung der eigenen Identität.
       
 (IMG) Bild: Will sich nicht auf ein Geschlecht festlegen lassen: Pat Nehls
       
       taz: Pat Nehls, Ihr Antrag auf Streichung Ihres Geschlechtseintrags und
       Änderung des Namens war erfolgreich. Was ist das für ein Gefühl? 
       
       Pat Nehls: Es ist eine große Erleichterung. Die Bestätigung kam ja erst vor
       Kurzem und ich realisiere jetzt erst: Es geht mir ziemlich gut! Ich kann
       mich gar nicht erinnern, wann das das letzte Mal so war.
       
       Hatten Sie befürchtet, abgelehnt zu werden? 
       
       Auf jeden Fall. Ich habe mich im Vorfeld mit anderen ausgetauscht und
       Artikel gelesen. Da merkt man schon, dass es einem oft schwer gemacht wird,
       obwohl es eigentlich ganz unkompliziert ist. Nach intensiver Vorbereitung
       habe ich mich entschlossen, den Antrag zu stellen.
       
       Ganz so unkompliziert war es dann aber doch nicht? 
       
       Es war ein Hürdenlauf. Man braucht ja einen Arzt, der einem eine „Variante
       der Geschlechtsentwicklung“ bescheinigt. Mein Arzt war verunsichert und
       wollte sich erst informieren, weil er so ein Attest noch nie ausgestellt
       hatte. Allein das hat schon zwei Monate gedauert. Dann musste ich auf einen
       Termin beim Standesamt warten und als ich den hatte, tauchten die nächsten
       Probleme auf.
       
       Welche?
       
       Obwohl mein Arzt, so wie verlangt, approbiert ist, hieß es vom Standesamt,
       ich bräuchte ein Attest von einer_m Internist_in oder Gynäkolog_in. Ich
       musste dann herumfragen, wer eine_n Ärzt_in kennt, der oder die schnell
       Zeit hat und nicht nur trans, sondern auch nicht-binären Menschen gegenüber
       offen ist. Als ich dann das zweite Attest hatte, sagte mir der
       Standesbeamte, er würde nur ein Attest akzeptieren, in dem genau drinsteht,
       wie sich die Variante der Geschlechtsentwicklung bei mir äußert.
       
       Mit welcher Begründung? 
       
       Es gibt dieses Rundschreiben vom Innenministerium zu dem Gesetz über die
       Änderung des Geschlechtseintrags (siehe Kasten). Darin steht, dass das
       Gesetz nicht für trans Menschen gelte und bei berechtigen Zweifeln, ob
       jemand wirklich ein Anrecht auf die Änderung hat, die Beamten das aufklären
       müssten.
       
       Was haben Sie getan? 
       
       Ich habe meinen Antrag mit beiden Attesten eingereicht und einen langen
       Brief dazu geschrieben. Ich habe genau dargelegt, warum das Gesetz für mich
       gilt und dass ich eine ausführliche Begründung will, wenn sie mich
       ablehnen. Ich glaube, das hat klar gemacht, dass ich mich nicht
       unterbuttern lasse und klagen werde, wenn es nicht klappt.
       
       Was hat sich in Ihrem Leben nun geändert? 
       
       Ich kann jetzt überall einfach Pat sein. Wenn man den Menschen erzählt,
       dass man weder Frau noch Mann ist, dann brauchen sie oft irgendetwas, woran
       sie das festmachen können. Es reicht nicht zu sagen: Das ist, wer ich bin
       und ich möchte, dass ihr mich so wahrnehmt und respektiert. Auf einer Party
       habe ich mich mal als Pat vorgestellt und musste dann erst einmal eine
       Diskussion führen, ob das mein richtiger Name sei und der auch in meinem
       Personalausweis stehe. Wenn mir das jetzt passiert, kann ich sagen: Ja, das
       steht in meinem Perso.
       
       Sind Sie immer offen mit Ihrer Identität umgegangen? 
       
       Unter Freunden und mit anderen Studierenden an der Uni schon. Gegenüber
       Professor_innen eher nicht. Die waren meine Gutachter_innen und Vorgesetzte
       und ich wollte nicht riskieren, dass Unverständnis aufkommt. Allein das
       sorgt mindestens für Distanz oder sogar geringere Wertschätzung. Man muss
       immer mit Feindseligkeit rechnen – oder damit, dass jemand sagt: Ich bin
       anderer Meinung, die musst du auch akzeptieren. Das ist keine Meinung, das
       ist meine Identität.
       
       Haben Sie ein Doppelleben geführt? 
       
       Ja, das war total hart und psychisch enorm belastend. Wenn man sich zu sehr
       auf das authentische Leben im Freundeskreis einlässt, dann tut es umso mehr
       weh, mit Situationen und sozialen Kreisen konfrontiert zu werden, in denen
       man nicht man selbst sein kann. Man ist dazwischen gefangen und nur noch
       vorsichtig. Dass ich jetzt auch auf dem Papier Pat bin, hilft ungemein.
       Dass ich heute ein Kleid trage, ist ein Zeichen, wie viel gefestigter ich
       mich jetzt in meiner Identität fühle.
       
       Inwiefern? 
       
       Jahrelang hat es bei mir Panikattacken ausgelöst, mit einem Rock in die
       Öffentlichkeit zu gehen. Ich habe gedacht, alle, die mich angucken, denken,
       ich sei eine Frau. Nicht-binär ist den meisten Menschen ja nicht präsent,
       deshalb habe ich versucht, durch mein Aussehen das Einordnen in ein binäres
       Geschlecht zu verkomplizieren. Ich habe mich so männlich wie möglich
       präsentiert, um so weit wie möglich von meinem zugewiesenen Geschlecht
       wegzukommen.
       
       Sie haben sich verkleidet? 
       
       Ja. Ich habe eine Zeit lang auch versucht, Binder zu tragen, um meine Brust
       flacher zu machen, aber das hat so starke Rückenschmerzen verursacht, dass
       ich damit aufhören musste. Das ist die Realität von vielen, die ständig
       damit konfrontiert sind, nicht als diejenigen wahrgenommen zu werden, die
       sie sind.
       
       Das Gesetz, nach dem Sie Ihren Antrag gestellt haben, trat schon Ende
       letzten Jahres in Kraft. Warum haben Sie denn so lange gewartet, es zu
       nutzen? 
       
       Erst mal war es schwierig, an Informationen zu kommen, wie das nun wirklich
       läuft. Es braucht ja auch viel Überwindung und Nachdenken: Ich war dafür ja
       auf andere Menschen angewiesen. Ich muss mich da Leuten öffnen, die ich gar
       nicht kenne und von denen ich nicht wusste, ob sie vielleicht Arschlöcher
       sind. Und dann habe ich gedacht, bevor ich das offiziell mache, muss ich
       auch ein Coming Out vor meiner Familie haben und das hatte ich mich bis
       dahin nicht getraut.
       
       Wie hat Ihre Familie reagiert? 
       
       Ich hatte schon vorher mit meiner Mutter darüber gesprochen. Sie war sich
       nicht sicher, ob meine Oma das verstehen würde. Im Februar habe ich es dann
       einfach gemacht und meine Oma war sehr verständnisvoll. Sie sagte, sie
       hätte schon geahnt, dass irgendwas mit mir sei, aber hätte mich nicht unter
       Druck setzen wollen, indem sie nachfragt. Ihre Reaktion hat mir Mut gemacht
       für den Rest der Familie. Meine Mutter wollte nur sichergehen, dass ich
       ganz sicher bin, weil es kein Zurück mehr ins „Normale“ gibt.
       
       Sie waren sich sicher. 
       
       Ich hatte auch keine andere Möglichkeit, weil ich endlich authentisch leben
       wollte. Und ich merke jetzt schon, wie viel besser es mir geht, obwohl es
       viel Arbeit bedeutet.
       
       Immer noch? 
       
       Ich lasse jetzt überall meine Daten ändern, bei der Krankenkasse, der Bank,
       und ich muss sagen, das hat noch nirgends ohne Probleme geklappt. Ich
       sollte beispielsweise ein Online-Formular ausfüllen und bei der Frage nach
       Mann oder Frau habe ich eine Lücke gelassen. Ich konnte das Formular dann
       aber nicht hochladen, weil es ein Pflichtfeld war. Mir wurde gesagt, dass
       das System diesen Fall noch nicht kennt.
       
       Es kostet Sie viel Energie, so zu leben, wie sie wollen. 
       
       Ganz klar braucht man viel Durchhaltevermögen, um als Nicht-Cis-Mensch zu
       leben. Und dann braucht man auch noch extra Energie, um seine Rechte
       einzufordern. Ich möchte einfach frei sein und als ich selbst leben. Ich
       bin ja viel mehr als irgendein Geschlecht, meine Persönlichkeit macht viel
       mehr aus. Manchmal habe ich das Gefühl, dieses Thema blendet alles andere
       aus.
       
       Stört Sie das an diesem Interview? 
       
       Nein, ich wusste ja, worum es geht. Ich wollte das nur klar machen:
       Natürlich nimmt das einen großen Teil meines Lebens ein, dazu bin ich
       gezwungen. Aber wenn wir aufhören, es zum Thema zu machen, machen wir keine
       Fortschritte mehr. Es wäre schön, wenn wir irgendwann an den Punkt kommen,
       an dem jede_r die Wahl hat, in welchem Ausmaß das Geschlecht die eigene
       Person bestimmt.
       
       Was ist dafür denn nötig? 
       
       Wir müssen uns viel mehr Richtung Selbstbestimmung bewegen und von der
       Pathologisierung wegkommen. Was ist so schlimm daran, mein Geschlecht und
       meinen Namen selbst bestimmen zu können? Warum ist es wichtig, auf welche
       Weise jemand trans oder inter ist? Grundlage unseres Staates ist doch
       eigentlich, dass wir alle die gleichen Rechte haben. Es braucht mehr Wissen
       darüber, was es heißt, nicht in diese Geschlechter-Schubladen zu passen.
       Mehr Wissen führt zu Normalisierung und das führt zu weniger
       Benachteiligung.
       
       5 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marthe Ruddat
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Intersexualität
 (DIR) Transgender
 (DIR) Diskriminierung
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Gesetz
 (DIR) Transgender
 (DIR) Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
 (DIR) Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nach Protesten zurückgezogener Entwurf: Queerpolitisches Gestolpere
       
       Die LGBTI*-Community kritisiert ein Reformvorhaben der Koalition scharf.
       Die Politik scheint zurückzurudern, aber ausgemacht ist das noch nicht.
       
 (DIR) Transgeschlechtlichkeit und Mutterschaft: Können Frauen alles sein?
       
       Im Kampf um Selbstbestimmung schließt der Feminismus trans Frauen aus. Auch
       der Staat ist auf ein Kind mit zwei leiblichen Müttern nicht vorbereitet.
       
 (DIR) Dritte Geschlechtsoption: Sicher nicht der große Wurf
       
       Der Bundestag beschloss den dritten Geschlechtseintrag „divers“ – mit
       verpflichtendem Attest. Kritiker*innen sehen darin eine Bevormundung.