# taz.de -- Kommentar SPD auf Selbstfindungstrip: It's the Inhalte, stupid!
       
       > Doppelspitze, Fristen, Anträge: Die SPD redet mal wieder leidenschaftlich
       > über Verfahrensfragen. Aber wo bleibt die Grundsatzdebatte über den Kurs?
       
 (IMG) Bild: Die Interimsspitze in Berlin: Manuela Schwesig (l.), Thorsten Schäfer-Gümbel und Malu Dreyer
       
       Es ist ein bisschen traurig, der SPD dabei zuzusehen, wie sie sich für eine
       recht durchschnittliche Idee feiert. Ist es wirklich „spannend und modern“,
       dass zwei Leute Parteivorsitzende werden können, einzelne Bosse aber
       selbstverständlich erlaubt bleiben? Grüne und Linke machen es seit Langem
       konsequenter vor. Ist es „mutig“, dass die Mitglieder über den
       Parteivorsitz entscheiden – und nicht wie bisher ein paar
       Spitzenfunktionäre? Auch das ist anderswo längst geübte Praxis, siehe
       SpitzenkandidatInnen-Casting der Grünen.
       
       Wie sich die SPD an die Doppelspitze herantastet, wirkt zögerlich,
       unentschlossen und beamtenhaft, kurz: typisch sozialdemokratisch. Das Drama
       ist aber nicht, dass die SPD in dieser Verfahrensfrage zu unentschlossen
       bleibt. Das Drama liegt darin, dass wieder mal alle SozialdemokratInnen
       über Bürokratie reden, über einen Vorgang, der die breite Öffentlichkeit
       nicht interessiert. Statt leidenschaftlich über das „Wie“ zu sprechen, über
       Bewerbungsfristen, Bezirksvoten oder Teams, müsste die SPD dringend über
       das „Wohin“ reden.
       
       Will sie eine linke Volkspartei sein, mit allen Konsequenzen? Oder bleibt
       die SPD bei ihrem braven Mitte-Kurs, der sie an den Abgrund geführt hat?
       Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, liegt lähmender Mehltau über
       der Partei. It's the Inhalte, stupid!
       
       Mag sein, dass die Vorstandssitzung den ausdrücklichen Auftrag hatte,
       Verfahrensfragen zu klären. Aber das Problem ist ein Grundsätzliches. Die
       nötige, öffentliche Debatte über den Kurs findet in der SPD seit Monaten
       nicht statt, oder zumindest nicht so, dass sie irgendjemand mitbekäme. Mit
       Sicherheit ist der Abschied von Hartz IV, den Andrea Nahles organisiert
       hat, ein wichtiger Schritt. Aber er reicht nicht, die SPD müsste sich mehr
       trauen.
       
       ## Wo ist die Vision einer guten Zukunft?
       
       Meinte sie es ernst, müsste sie zum Beispiel die groteske
       Vermögensungleichheit in Deutschland attackieren. Sie bräuchte eine neue
       Idee für die Arbeitsgesellschaft in Zeiten umfassender Digitalisierung. Sie
       bräuchte die Vision einer guten, lebenswerten Zukunft, die Menschen
       begeistert. All das fehlt, leider.
       
       Daneben stehen Profilschärfungsversuche, die viel zu zaghaft sind. Eine
       Arbeitsgruppe werkelt tapfer vor sich hin, um eine verfassungsfeste
       Vermögensteuer zu entwerfen – aber keiner merkt's. Ein Aufschlag zu Arbeit
       und Umwelt soll bald kommen, versprochen, irgendwann.
       SPD-Spitzenfunktionäre halten es schon für eine Revolution, eine Grundrente
       ohne Bedürftigkeitsprüfung zu fordern, weil das ja – hui! – nicht im
       Koalitionsvertrag steht. Aber sobald Juso-Chef Kevin Kühnert mal über die
       Grenzen des Kapitalismus nachdenkt, schauen SPDler, als habe man sie bei
       etwas Unanständigem ertappt.
       
       Das Problem ist doch: Kein Mensch weiß mehr, wofür die SPD heute steht, von
       Olaf Scholz einmal abgesehen. Die Sozialdemokratie verwaltet seit Schröders
       Agendapolitik routiniert ihren Untergang – ängstlich, konsensorientiert und
       provokationsfrei. Die drei Kanzlerkandidaten seit 2005, Steinmeier,
       Steinbrück und Schulz, standen im Grunde für ein ähnliches Modell. Alter
       weißer Mann, Funktionär durch und durch, schielt auf eine imaginierte
       Mitte. Drei Große Koalitionen seit 2005 taten das Übrige.
       
       Wahlen werden in der Mitte gewonnen? Die Empirie hat diesen bei
       konservativen SPDlern bis heute beliebten Satz widerlegt. Es ist umgekehrt:
       In der Mitte lauert für die SPD der Tod.
       
       25 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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