# taz.de -- Kolumne Habibitus: Sühne als Migrantenkind
       
       > Als Migrantenkind, das weder Ärzt_in noch Ingeneur_in noch Anwält_in
       > geworden ist, trage ich in mir eine schwer ertragbare Bringschuld.
       
 (IMG) Bild: „Du bist Journalist_in, nicht wahr?“, fragte er hoffnungsvoll. Ich musste bejahen
       
       Irisch, 7,5 Prozent und Spanisch, 0,9 Prozent: Während es für manche
       Menschen einen Reiz haben kann, mit Hilfe von DNA-Tests ihre
       Familiengeschichte besser zu verstehen, birgt dieser Trend neben der
       offensichtlichen Datenschutzkatastrophe noch eine ganz andere Gefahr: das
       Wissen um noch mehr Verwandte, von denen man noch nie etwas gehört hat.
       
       Bereits jetzt quälen mich meine Eltern mit aufgezwungenem Kontakt zu
       Menschen, mit denen ich über 23 Ecken verwandt oder sogar nur bekannt bin.
       Seien es plötzlich in die Hand gedrückte Telefonhörer mit Urgroßtante S. an
       der Leitung, um zum neuen Jahr ein paar gute Wünsche auszusprechen, oder
       die böse Überraschung, dass 350 Kilometer vom aktuellen Urlaubsort entfernt
       Bekannte leben, die eine_n nach 19 Jahren gerne mal wiedersehen würden: Der
       Drang, Menschen miteinander zu verknüpfen, ist bei meinen Eltern
       grenzenlos.
       
       [1][Neulich rief mich mein Vater an, um mir zum Eid-Al-Fitr zu gratulieren]
       – so meine Annahme, als ich ans Telefon ging. Tatsächlich hatte er jedoch
       ein anderes Anliegen. Ich sollte mich dringend bei Onkel A. melden. „Onkel
       A.?“ Natürlich ist A. nicht wirklich mein Onkel, sondern ein Bekannter
       meiner Eltern, den ich selbst vor etwa 15 Jahren für eine Viertelstunde
       getroffen habe. So lange dauerte nämlich die Fahrt von unserer Wohnung zur
       Turnhalle, in dem mein Handballtraining stattgefunden hat und wo er mich
       freundlicherweise abgesetzt hat.
       
       Obwohl ich auf dem Sprung war, bat mein Vater mich, ihm diesen einen
       Gefallen zu tun und mir „die Geschichte von Onkel A.“ wenigstens mal kurz
       anzuhören. Als Migrantenkind, das weder Ärzt_in, noch Ingenieur_in, noch
       Anwält_in geworden ist, trage ich in mir eine schwer ertragbare
       Bringschuld.
       
       ## Ohne Verpflichtungen
       
       Also rief ich Onkel A. an, der mich mit einem awkward „lange nicht mehr
       gesehen“ grüßte. „Du bist Journalist_in, nicht wahr?“, fragte er
       hoffnungsvoll. Ich musste bejahen. „Folgendes“, begann er schließlich. „Ich
       habe Zwillinge, zwei ganz süße fünfjährige Jungs. Meine Frau und ich fänden
       es total schön, wenn von ihnen mal ein Foto in der Zeitung abgedruckt
       werden könnte. Im Spiegel zum Beispiel.“
       
       Irritiert guckte ich noch mal schnell auf meinen Bildschirm, um
       sicherzustellen, dass ich nicht im falschen Film gelandet bin. „Äh, Sie
       meinen als Models?“, hakte ich nach. Onkel werden bei uns gesiezt, was auch
       sonst, bei dieser Distanz. „Ja, genau. Als Models. Hast du da eine
       Möglichkeit, die beiden dort einzubinden?“ Und so musste ich doch wieder
       enttäuschen: Dass Texte schreiben nicht dasselbe wie Modelagent_in ist,
       dass ich gar nicht für den Spiegel arbeite und dass ich ihm nicht mal
       Feedback darauf geben könnte, ob ich seine Kinder für geeignete Models
       halte.
       
       Wir beendeten das Telefonat mit dem Versprechen, dass wir uns aber ganz
       sicher bei einander melden, sollten wir mal in der gleichen Stadt sein, und
       ich kehrte zurück in meinen überraschenderweise doch alman-lastigen Alltag
       ohne Verpflichtungen an Kanak-Connections – und zum Glück ohne DNA-Tests.
       
       21 Jun 2019
       
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