# taz.de -- Der Kampf gegen Plastikmüll: Nicht von Pappe
       
       > Plastik zerstört die Natur. Viele Verbraucher suchen deshalb nach
       > nachhaltigen Alternativen und landen bei Material aus Holz.
       
 (IMG) Bild: Dachten Sie auch, dass Sie mit dem Verwenden einer Papiertüre Gutes tun?
       
       So viel Einigkeit herrscht selten bei einem Umweltthema: Plastik ist
       schlecht und muss weg, am besten schnell und gänzlich. Über 180 Staaten
       haben sich auf neue Regeln für den Handel mit Plastikmüll verständigt. Er
       fällt jetzt unter das Baseler Abkommen – und gilt damit quasi als
       Sondermüll. Von der Karibik bis Brüssel gelten verschiedenste Verbote für
       Plastikprodukte, und in Deutschland lädt Umweltministerin Svenja Schulze
       (SPD) zum runden Tisch gegen Plastikverpackungen.
       
       Aldi Nord verabschiedete sich im Februar auf Instagram von der blau-weißen
       „Kult-Tüte“ aus Kunststoff – und informierte, künftig spare man dadurch
       jährlich rund 1.200 Tonnen Plastik ein. Die Rewe Group, Dachkonzern etwa
       von Rewe, Penny und den Toom-Baumärkten, teilt mit, sie habe durch
       verschiedene Maßnahmen im Jahr 2018 insgesamt 7.000 Tonnen Plastik
       eingespart.
       
       Zwar spiegeln das die amtlichen Statistiken noch nicht wieder: Die jüngsten
       Zahlen des Umweltbundesamtes stammen von 2016 und zeigen bis dato einen
       Anstieg aller Verpackungsmaterialien, sei es Pappe, Karton, Papier,
       Kunststoff, Glas oder Metall. Die Industrievereinigung
       Kunststoffverpackungen rechnete für 2018 mit einem ordentlichen Wachstum.
       Die Kunststoffverpackungsindustrie profitiere von der guten Konjunktur,
       kommentierte die Wirtschaftsexpertin des Industrieverbandes Inga Kelkenberg
       die Zahlen, negative Berichterstattungen zeigten derzeit keine
       Auswirkungen.
       
       ## Unternehmen arbeiten an neuen Verpackungen
       
       Allerdings ist fraglich, ob das so bleibt. Schließlich hat die Substitution
       von Plastik erst vor Kurzem richtig begonnen. Viele Unternehmen arbeiten an
       neuen Produkten und Verpackungen. Häufig im Zentrum der Bemühungen: Papier.
       Die Bertelsmann-Tochter Topac, bisher spezialisiert auf Kartonverpackungen
       etwa für CDs oder Parfüms, entwickelt eine neuartige Verpackung für
       Fleisch. „Wir ersetzen Plastikschalen für Steaks durch Pappschalen, die wir
       mit einer dünnen Kunststofffolie überziehen“, erklärt Sven Deutschmann,
       Geschäftsführer von Topac.
       
       Der Fleischkarton besteht aus FSC-zertifiziertem skandinavischem Holz.
       Darauf wird eine dünne Kunststoffschicht appliziert, ohne die der Karton
       durchweicht. Altpapier lasse sich hier nicht einsetzen, zu hoch seien die
       hygienischen Ansprüche im Lebensmittelbereich, so Deutschmann. Zunächst
       peilt die Firma aus Gütersloh ein Marktvolumen von 10 Millionen dieser
       „nachhaltigen, recycelbaren Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen“ –
       so Deutschmann – jährlich an.
       
       Anderes Beispiel: 13 Unternehmen, die ökologische und faire Kleidung
       produzieren und vor allem im Versandhandel vertreiben, haben sich
       zusammengeschlossen, um ihre nachhaltige Kleidung auch nachhaltig zu
       verpacken. Darunter namhafte Unternehmen wie Hess Natur oder Armed Angels.
       „Wir machen schöne und hochwertige Kleidung“, sagt die Designerin Claudia
       Lanius, dementsprechend müsse sie auch verschickt werden. Ergebnis der
       Arbeitstreffen: eine eigens entwickelte „Pergamin-Tüte“, die aus
       Frischfasern aus FSC-zertifiziertem Holz besteht. Erste Erfahrungen damit
       seien vielversprechend, so Lanius. Auch große Arbeitgeber wie Siemens, die
       Allianz oder Vodafone wollen den Plastikverbrauch ihrer Mitarbeiter
       eindämmen – und ersetzen Trinkgefäße oder Geschirr in Kantinen und
       Teeküchen zum Teil durch Papiervarianten.
       
       Dabei sind Papier, Pappe und Karton schon jetzt die mit Abstand am
       häufigsten eingesetzten Verpackungsmaterialien. Der wachsende Onlinehandel
       beschert auch der Papierbranche ein imposantes Wachstum. Im Versandhandel
       hat der Verbrauch von Papierverpackungen zwischen 1996 und 2005 laut
       Umweltbundesamt (UBA) um 540 Prozent zu genommen und lag 2016 bei rund 8
       Millionen Tonnen. Laut Berechnungen von Angelika Krumm, Papierexpertin der
       Umweltorganisation Robin Wood, liegt der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland
       derzeit bei 119 Kilogramm im Jahr – weltweit Platz drei hinter den USA und
       Finnland.
       
       Sich ein detailliertes Bild davon zu machen, wie weit Rewe, Edeka und Co
       etwa die gescholtenen Plastiktüten durch Papiertüten ersetzen, ist nicht
       leicht. Denn anders als mit den offen kommunizierten Zahlen zum
       eingesparten Plastik halten sich die Konzerne hier mit Mengenangaben
       zurück: Edeka sei genossenschaftlich organisiert und werde von rund 3.800
       selbstständigen Kaufleuten getragen, die ihre Märkte eigenständig führten.
       Daher könne man keine pauschalen Angaben zum Verbrauch an Papiertüten
       machen, teilt die Hamburger Edeka-Zentrale mit. Und die Rewe Group aus Köln
       antwortet auf die Frage, wie viele Tonnen Papier sie im Jahr für
       Verpackungen verbrauche: „Dazu machen wir keine öffentlichen Angaben.“
       
       Warum nicht? In der aufgeheizten Plastik-Diskussion gilt Papier derzeit
       vielen noch als „nachhaltige“ Alternative; Holz ist ein nachwachsender
       Rohstoff, der Altpapieranteil des in Deutschland produzierten Papiers ist
       mit einem Anteil von 75 Prozent hoch. „Den Papierverbrauch als kritisches
       Thema zu kommunizieren ist unheimlich zäh“, sagt Peter Gerhardt vom Verein
       Denkhaus Bremen, „dabei hat der hohe Papierverbrauch viele negative
       Folgen“.
       
       Almut Reichart, Papierexpertin des UBA, rechnet vor, eine Tonne Papier aus
       Frischfasern herzustellen koste ungefähr so viel Energie wie die Produktion
       einer Tonne Primärstahl. Holz besteht nur zur Hälfte aus Fasern. Um sie vom
       Lignin, dem anderen Hauptbestandteil, zu trennen, wird es aufwendig
       verarbeitet, unter anderem rund vier Stunden bei 170 Grad gekocht. Danach
       besteht die Fasernmasse zu 99 Prozent aus Wasser und muss gewaschen,
       gebleicht, gepresst und getrocknet werden. Entsprechend sei die Produktion
       von Papier aus Holz nicht nur sehr energieintensiv, sondern verbrauche auch
       große Mengen Wasser, so Reichart. „Das Abwasser ist mit Nährstoffen und
       natürlichen Holzinhaltsstoffen versetzt, die schwer abbaubar sind.“ Darum
       müsse das Abwasser aus Papierfabriken aufwendig aufbereitet werden, so
       Reichart.
       
       ## Inhalt der Papiertonne ändert sich
       
       Zwar wird in der Papierproduktion in Deutschland viel Altpapier eingesetzt
       (siehe Kasten), doch wird auch viel Papier im- und exportiert, vor allem
       aus Skandinavien. Die Papierfabriken dort nutzen vor allem Primärfasern aus
       Holz. „Im tatsächlich verbrauchten Papier ist weniger Altpapier enthalten“,
       sagt Reichart, und: „Jedes Altpapier war früher mal Primärpapier.“ Von den
       rund 76 Millionen Kubikmeter Holz, die jährlich in Deutschland geerntet
       werden, gehen 10 Millionen in die Papierproduktion – das ist ein
       beträchtlicher Anteil. Dabei wachsen die Ansprüche an die Forste: Holz als
       nachwachsender Rohstoff gilt etwa als nachhaltige Energiequelle oder als
       ökologischer Baustoff. Zudem fordern Umweltschützer, mehr Forste für den
       Klima- und Artenschutz in Wald umzuwandeln und nur noch extensiv oder gar
       nicht mehr zu nutzen.
       
       „Eine Fichte etwa für die Papierproduktion braucht rund 70 Jahre, bis sie
       nachwächst“, sagt Evelyn Schönheit, Umweltwissenschaftlerin vom „Forum
       Ökologie & Papier“, „CO2 muss aber heute gespeichert werden“. Es sei
       Wahnsinn, Holz für Einwegprodukte einzusetzen. Der Klimaschutz mache es
       vielmehr nötig, Wälder zu erhalten. „Außerdem sind über Papier viele Mythen
       in Umlauf“, sagt Schönheit. So bedeute etwa eine „braune Tüte“ nicht
       unbedingt, dass viel Altpapier im Spiel sei. Gerade die dicken, schweren,
       braunen Tüten, die auch viele Biosupermärkte ausgäben, hätten eine sehr
       schlechte Ökobilanz, wenn sie aus Primärfasern bestünden.
       
       Kopfzerbrechen bereitet den Experten zudem, dass sich die Zusammensetzung
       des Altpapiers in der Tonne ändert. Zeitungen und Büropapiere aus
       hochwertigen Fasern nehmen ab, Verpackungen nehmen zu. „Das führt zu
       sinkenden Qualitäten des Recyclingpapiers“, sagt UBA-Expertin Reichart,
       „deshalb wird die Aufbereitung des Altpapiers schwieriger und es fallen
       mehr Reststoffe an“. Es sei wichtig, künftig stärker darauf zu achten, dass
       Papierprodukte recycelbar sind, etwa in dem geeignete Klebstoffe oder
       Druckfarben verwendet werden und auf Verbundmaterialien wie mit
       Kunststoffen beschichtete Pappe vermieden wird.
       
       „Einweg ist selten ein guter Weg“, sagt auch Evelyn Schönheit,
       „Recyclingfähigkeit oder nachwachsende Rohstoffe hin oder her“. Es sei
       entscheidend, in Mehrwegsysteme etwa mit langlebigen Versandtaschen oder
       -boxen aus Recycling-Kunststoff zu investieren, gerade auch im
       Verpackungsbereich und im Versandhandel. Wie das gehen könnte, zeigen etwa
       das finnische Unternehmen RePack, das ein System von Mehrweg-Versandtaschen
       anbietet, oder der mittelständische Versandhändler Memo aus dem
       unterfränkischen Greußenheim. Er versendet auf Wunsch seine Artikel in
       einer Mehrweg-Kiste, der „Memo-Box“, die Kunden auch für ihre Retouren
       nutzen können. Die Porto-Kosten seien etwas höher, sagt
       Unternehmenssprecherin Claudia Silber, „aber das ist es uns wert“.
       
       Auch im Kantinen- und Teeküchenbereich von Vodafone, Siemens und Allianz
       gibt es wirklich nachhaltige Ansätze. So bietet Vodafone in der neuen
       Firmenzentrale spezielle Wasserarmaturen in den Teeküchen an, die stilles,
       sprudelndes und kochendes Wasser liefern. „Somit werden keine
       Getränkekisten oder Einweg-Kunststoffflaschen mehr benötigt“, so das
       Unternehmen. Und dem Ökomode-Versandhändler Maas-Natur dauerte die
       Abstimmung mit seinen Kollegen über die neue Papiertüte zu lange. Wer bei
       den Ostwestfalen Kleidung bestellt, bekommt sie jetzt unverpackt im Karton.
       
       14 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Holdinghausen
       
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