# taz.de -- Vegane Mensa in Berlin: Hier kein Schnitzel!
       
       > An der TU Berlin gibt es seit Kurzem die erste rein vegane Mensa der
       > Stadt. Fleischesser*innen will aber niemand vergraulen. Wirklich nicht?
       
 (IMG) Bild: Mensaessen auf vegane Art: In der Berliner „Veggie 2.0“ gibt es Gemüsebratlinge statt Buletten
       
       Berlin taz | Um kurz nach zwölf reicht die Schlange schon weit bis in den
       Essbereich der neuen Mensa hinein. Auf den Tellern landen
       Avocado-Quinoa-Bratlinge mit Tomaten-Zucchini-Sauce, die
       Mensa-Mitarbeiter*innen an den Essenständen tauschen leere Töpfe gegen
       volle aus. Seit einigen Wochen hat die „Veggie 2.0 – die tiefgrüne Mensa“,
       [1][Berlins erste komplett vegane Kantine an der Technischen Universität],
       geöffnet. 200.000 Euro hat sich das Studierendenwerk an der
       Hardenbergstraße den Bau kosten lassen – und der Andrang ist groß an diesem
       Freitag. Und das, obwohl die Studierenden auch in fünf anderen Mensen und
       einem Café in der Nähe essen könnten.
       
       Valentin Zech beißt in einen Banane-Haselnuss-Muffin, seine Nachspeise. Der
       Philosophiestudent hat es sich mit seinem Plastiktablett auf einer der
       grauen Sitzinseln vor dem Haupteingang gemütlich gemacht. Autos rauschen
       die Hardenbergstraße entlang, grüne Pflanzenbeete schirmen den Essbereich
       vom Gehsteig ab.
       
       Zech ist Regionalleiter der Tierrechtsgruppe Anonymous for the Voiceless in
       Deutschland. „Ich verstehe gar nicht mehr, wie man Tiere essen kann, wo das
       vegane Essen doch so gut schmeckt“, sagt der 22-Jährige. Es gebe
       mittlerweile viele Alternativen, die sogar Fleischgeschmack perfekt
       imitierten.
       
       Eine rein vegane Mensa – in einer Stadt wie Berlin macht so ein Angebot
       Sinn: 13,5 Prozent der hier Studierenden leben vegan, fand das
       Studierendenwerk in einer Umfrage unter 14.000 Befragten heraus. Zum
       Vergleich: In der gesamten Bevölkerung sind es gerade mal 1,6 Prozent. Das
       könnte unter anderem am vielseitigen Angebot in der Hauptstadt liegen, auch
       tendieren Studierende vielleicht häufiger dazu, sich mit dem Thema
       Veganismus auseinanderzusetzen.
       
       Dennoch bleibt die „Veggie 2.0“ vorerst ein Nischenangebot. 33.000 Gäste
       versorgen die 57 Standorte des Studierendenwerks nach eigenen Angaben jeden
       Tag – an der veganen Mensa in der Hardenbergstraße rechnet man mit 500
       Besucher*innen am Tag, nicht mal zwei Prozent der Berliner Mensagäste.
       
       ## Auch etwas für Flexitarier
       
       Unter denen, die an diesem Tag hier vegan essen, sind jedoch nicht nur
       Veganer*innen. Auch Vegetarier oder sogenannte Flexitarier (die sich
       vorwiegend, aber nicht ausschließlich pflanzlich ernähren) probieren die
       neue Mensa aus. „Ich esse selten Fleisch, aber hier weiß ich, dass in
       meiner Sauce keine Gelatine ist“, sagt eine Studentin, vor sich einen
       Teller mit Bratling und Sauce. Und das ohne Aufpreis: Die Preisspanne der
       Gerichte bewegt sich im gewohnten Segment zwischen 1,45 und 3,80 Euro für
       Studierende; Hochschulmitarbeiter*innen und Externe zahlen etwas mehr.
       
       Für konsequente Klimaschützer*innen gibt es – gegen einen kleinen Aufpreis
       – ein ebenfalls täglich wechselndes „Klimaessen“, für das keine Zutaten
       verwendet werden, die im Anbau oder in der Herstellung einen hohen
       ökologischen Fußabdruck verursachen. Statt Reis, Pommes frites oder
       Tiefkühlprodukte gibt es Kichererbsenragout mit Kartoffeln und Pilzen oder
       Minestrone mit Nudeln. Aber nicht nur Klimaschutz, auch Tierwohl spielt
       für die Konsument*innen eine Rolle.
       
       „Bei unseren Gesprächen stellen wir immer wieder fest, dass kaum jemand die
       Standardpraktiken in der Tierhaltung befürwortet“, sagt Valentin Zech von
       Anonymous for the Voiceless. Die Bewegung hat 950 Ortsgruppen in der ganzen
       Welt, 80 davon in Deutschland, und führt regelmäßige Straßenaktionen durch,
       um auf die Zustände in regulären Mastbetrieben aufmerksam zu machen. Und um
       Passant*innen von einer alternativen – veganen – Ernährungsweise zu
       überzeugen.
       
       Die Brutalität, mit der in den Betrieben vorgegangen werde, sei für ihn
       unbegreiflich, sagt Zech. Zum Beispiel, wenn Ferkel, die nur eine Woche alt
       sind, unbetäubt kastriert werden. Trotzdem dürfe man die Menschen nicht für
       ihr Essverhalten anklagen, findet Valentin Zech. Dass die Fleischmensa in
       direkter Nähe zur veganen ist, befürwortet er. So entstehe für
       konventionelle Mensabesucher*innen eine sichtbare Alternative.
       
       Ein Konzept, das sich das Berliner Studierendenwerk von der Universität
       Nürnberg-Erlangen abgeschaut hat. Dort steht seit 2016 die erste rein
       vegane Mensa – auch dort bekommen Fleischesser*innen in unmittelbarer Nähe
       aber weiterhin ihr Schnitzel. „Wir wollen vor allem ein attraktives Angebot
       schaffen und bieten veganes Essen nicht aus weltanschaulichen Gründen an“,
       sagt der Sprecher des Studentenwerks Erlangen-Nürnberg Scheer. Und das
       funktioniere bisher erfolgreich.
       
       ## Im ersten Stock gibt es Fleisch
       
       Auch in der Berliner „Veggie 2.0“ sollen Fleischesser*innen nicht vergrault
       werden, beteuert die Pressesprecherin des Studierendenwerks, Jana Judisch,
       bei der Eröffnung der Mensa Ende April: „Wir wollen nicht missionieren.“ Da
       das Studierendenwerk als Anstalt öffentlichen Rechts seinem
       Versorgungsauftrag nachkommen muss, kommt ein ausschließlich veganes
       Angebot in allen Mensen auch nicht infrage.
       
       Ein Stockwerk über der „Veggie 2.0“ hat die Mensa mit Fleisch und Fisch
       nach wie vor offen. Im großen Saal essen Studierende an langen Tischen mit
       grünen Stühlen und Bänken, auf einer zweiten Etage gibt es weitere
       Sitzmöglichkeiten. Obwohl sie auch hier vegetarisch oder vegan essen
       könnten, scheinen sich die meisten Gäste doch für das Fleischangebot zu
       interessieren – auf ihren Tellern liegen Hähnchenrouladen mit
       Spinat-Käse-Füllung oder Spaghetti Bolognese.
       
       Zwei Maschinenbaustudenten, 20 und 21 Jahre alt, essen drei- bis fünfmal
       pro Woche im ersten Stock zu Mittag. Auf dem runden Tisch vor ihnen stehen
       leergegessene Bolognese-Teller. Die beiden essen regelmäßig Fleisch,
       begrüßen aber das pflanzliche Angebot im Erdgeschoss. Trotzdem glauben sie,
       dass mit einem veganen Trend Grüppchenbildung einhergehe.
       
       „An der Diskussion stört mich am meisten, dass sich Veganer von
       Fleischessern abgrenzen“, sagt der eine. Für viele handele es sich um einen
       Lifestyle, insbesondere spüre man das in Berlin. „Mit den Veganern sitzt
       man nun nicht mal mehr am selben Tisch“, sagt sein Kommilitone über die
       beiden separaten Mensen. Könnten sie es sich leisten, würden sie nur
       Biofleisch kaufen und auf die Haltung der Tiere achten, sagen sie. Völlig
       auf Fleisch verzichten würden sie aber nicht – Lifestyle hin oder her.
       
       ## Zwang und Druck nicht hilfreich
       
       Den Tieren sei es egal, ob es sich bei einer Mensa vielleicht nur um ein
       Lifestyle-Angebot handele, sagt Inken Jakob von der
       Albert-Schweitzer-Stiftung für unsere Mitwelt. Die Projektmanagerin des
       Stiftungsbereichs Lebensmittel-Fortschritt glaubt, dass ein ausgeglichenes
       Verhältnis zwischen attraktivem Angebot und Information wichtig sei, damit
       die Diskussionskultur nicht verloren gehe. Zwang und Druck seien nicht
       hilfreich. „Wir wollen die Massentierhaltung langfristig abschaffen und
       eine vegane Lebensweise verbreiten“, sagt Jakob. Dafür kooperiert die
       Stiftung auch mit Studierendenwerken in ganz Deutschland, mit dem
       Dachverband Deutsches Studentenwerk organisiert sie Aktionen zum
       Welt-Vegan-Tag am 1. November.
       
       Die Studierendenwerke haben eine Vorbildfunktion für andere Branchen.
       Dienste beobachten den Erfolg bestimmter Essensangebote und wenden sie
       selbst an. Denn die studierenden Mensaesser*innen sind mitunter die
       kaufkräftigen Kund*innen von morgen. Sollte das Berliner Konzept also
       aufgehen, so die Hoffnung überzeugter Veganer*innen, ist das vielleicht ein
       erster Schritt zu einer breiteren gesellschaftlichen Akzeptanz für
       Veganismus als Ernährungsform.
       
       Bis es so weit ist, ist die „Veggie 2.0“ zumindest eine bemerkenswerte
       Erfahrung: Denn wer kann sonst schon behaupten, in seiner Uni-Mensa
       marinierte Sojastreifen mit Zitronengras oder Sesam-Karottensticks an
       Currysauce zu bekommen?
       
       8 May 2019
       
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