# taz.de -- Sterben in Würde: Abschied ohne Kreuz
       
       > Im Berliner Vorort Mahlow steht Deutschlands erstes kulturspezifisches
       > Hospiz. Für Einwanderer und Menschen, die mit Religion nichts am Hut
       > haben.
       
 (IMG) Bild: An Tagen, an denen die Kerze brennt, ist jemand gestorben
       
       Mahlow taz | Vor der Tür steht ein Fahrrad, an der Mauer funkelt das Mosaik
       eines Kranichs. Der Himmel blau, die Sonne kräftig; im Hintergrund rauschen
       Kiefern im Wind. An diesem Ort, der zum Sterben geschaffen wurde, erinnert
       nichts an den Tod. Das ebenerdige Gebäude könnte genauso gut eine
       Ferienanlage oder ein Tagungszentrum sein. Es ist ein Ort, der Frieden und
       Ruhe ausstrahlt, und genau das ist gewollt.
       
       Das Hospiz Ipek, gelegen im Berliner Vorort Mahlow, ist besonders. Drinnen,
       auf den hellen, leisen Fluren, sind religiöse Symbole tabu. Keine Kreuze,
       keine Minarette, keine Jesusbilder. Um in Würde zu sterben – so die Idee –,
       muss niemand einer bestimmten Religion angehören. Die Patienten sollen so
       aus dem Leben scheiden dürfen, wie sie gelebt haben: mit ihrer
       individuellen Einstellung, ihren Vorlieben, ihren kulturellen Neigungen,
       ihrer sexuellen Orientierung. Und eben ihrer Religion.
       
       „Kulturspezifisch“ nennt sich die Philosophie, der sich das Hospiz in der
       12.000-Einwohner-Gemeinde verschrieben hat, seit es am 17. Januar eröffnet
       wurde. Ganz neu ist sie nicht; auch christliche Hospize stellen sich
       zunehmend auf die Bedürfnisse muslimischer Patienten ein. Beim Hospiz Ipek
       aber gehörte der Ansatz von Anfang an zum Grundkonzept. Zielgruppe sind vor
       allem Konfessionslose und Muslime, die ihre Wertvorstellungen in
       kirchlich-christlichen Einrichtungen bislang nur bedingt wiederfinden.
       
       Die Berlinerin Nare Yesilyurt betreibt bereits seit 1999 den
       kulturspezifischen ambulanten Pflegedienst „Deta-Med“. Mit dem Hospiz Ipek,
       benannt nach Yesilyurts verstorbener Mutter, hat sie das Konzept eine Stufe
       weiter getragen. Die Zeit scheint reif dafür: Viele Gastarbeiter der ersten
       Generation haben inzwischen ein hohes Alter erreicht.
       
       „Die Community der Migranten leidet unter denselben Krankheitsbildern wie
       diejenigen, die in Deutschland geboren wurden“, sagt Frank Beckmann,
       Assistent der Geschäftsführung bei Deta-Med. Allerdings alterten viele von
       ihnen deutlich schneller. „Es waren Knochenjobs, die die Gastarbeiter
       gemacht haben. Das macht sich natürlich irgendwann gesundheitlich
       bemerkbar.“
       
       Gerade im Umgang mit Pflege und Tod gebe es kulturelle Unterschiede. „Das
       ist in der islamischen Welt ein deutlich größeres Tabuthema als bei uns“,
       sagt Beckmann. Hinzu kämen ganz konkrete Belange: Welche Speisen kommen bei
       muslimischen Patienten auf den Tisch? Dürfen auch Pfleger des anderen
       Geschlechts die Körperpflege übernehmen? Und können sie sich ausreichend
       verständigen?
       
       „Da gibt es viele Hürden“, sagt Beckmann, „und natürlich auch innerhalb der
       Community riesige Unterschiede.“ Manche lehnten bestimmte Therapien ab,
       weil sie Schmerzen als eine göttliche Strafe ansähen – andere hätten einen
       entspannteren Zugang. Oder seien gar nicht religiös.
       
       In den kommenden Jahren wird sich die Zahl pflegebedürftiger Zuwanderer
       weiter erhöhen. Auch die Wissenschaft hat sich inzwischen mit dem Thema
       befasst, etwa in der sogenannten MLD-Studie (Muslimisches Leben in
       Deutschland), bei der über 2.000 Muslime aus verschiedenen Herkunftsländern
       befragt wurden.
       
       Zwar ist die Studie nicht repräsentativ, aber zumindest Tendenzen lassen
       sich daraus erkennen. Wenn es um die Wahl eines potenziellen Pflegeheims
       geht, sind der Mehrheit der Befragten drei Punkte besonders wichtig: ein
       genereller Respekt vor dem Glauben, die Beachtung muslimischer
       Speisevorschriften und muttersprachliche Angebote. Die Betreuung durch
       einen Imam spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle.
       
       ## Mahlow lebt auch von der Pflegeindustrie
       
       Mit diesem Vorwissen entstand das Konzept des kulturspezifischen Hospizes.
       Es liegt auf dem Gelände einer ehemaligen Polyklinik aus DDR-Zeiten. Heute
       befindet sich ein konfessionelles Altersheim direkt gegenüber – Mahlow, das
       irgendwann einmal in der Einflugschneise des BER-Flughafens liegt, lebt
       auch von der Pflege-Industrie. Trotzdem waren manche Anwohner am Anfang
       alles andere als begeistert.
       
       „Offen gesagt hat es niemand“, erinnert sich Beckmann. „Aber natürlich gab
       es religiöse Vorbehalte.“ Auch die Gespräche mit christlichen Kirchen seien
       am Anfang zäh verlaufen. „Wir haben lange auf Granit gebissen, um überhaupt
       einen Termin zu bekommen“, so Beckmann. Bei einer Informationsversammlung
       habe ein Anwohner gefragt: „Dürfen auch unsere Leute hier sterben?“ Wobei
       es nicht bei verbaler Kritik geblieben sei: „Während der Bauphase wurden
       Fensterscheiben eingeworfen. An den Wänden tauchten Nazi-Sprüche auf.“
       
       Inzwischen haben sich viele Bedenken zerstreut. Ortwin Baier, der
       Bürgermeister des Gemeindeverbunds Blankenfelde-Mahlow, sagt, er habe das
       Hospiz von Anfang an begrüßt. „Es ist eine fantastische Sache, dass es so
       etwas gibt. Dort können Menschen unabhängig von ihrer Religion unter
       menschenwürdigen Bedingungen Abschied nehmen“, so der SPD-Politiker.
       
       An ihn selbst seien keine Bedenken herangetragen worden. Er wisse aber,
       dass es Widerstände gab. „Unverbesserliche gibt es leider überall, auch in
       Mahlow“, sagt Baier. Er selbst finde, dass die Einrichtung gut zu der
       Kleinstadt passe. „Wie das Geborenwerden gehört das Sterben nun mal zum
       Leben dazu.“
       
       Rein optisch fällt kaum auf, dass nach kulturspezifischen Gesichtspunkten
       gearbeitet wird. Im Eingangsbereich steht die für Hospize typische Kerze –
       an Tagen, an denen sie brennt, ist jemand gestorben. Daneben liegt ein
       Gästebuch, in das sich Angehörige eintragen können. Von „empathischer,
       sanfter, unendlich menschlicher Begleitung“ ist darin die Rede, ebenso von
       „liebevoller Pflege“.
       
       ## Kultureller Minimalkonsens
       
       Auch die bunten Mosaiken sollen eine Art kulturellen Minimalkonsens
       darstellen: der Pfau als Sinnbild der Unsterblichkeit; der Kranich als
       mythischer Vogel, der die Seelen der Toten ins Jenseits geleitet. „Darin
       können sich sogar Atheisten wiederfinden“, sagt Swantje Karsten, die
       pflegerische Leiterin des Hospizes. Bei der medizinischen Pflege gebe es
       ohnehin keine Unterschiede.
       
       „Wir wollen den Kulturbegriff auch nicht auf die Religion beschränken“,
       sagt Karsten. Es gehe darum, sich auf die Vorlieben der jeweiligen Person
       einzustellen. „Das kann etwas ganz Banales sein. Wenn ich höre, wie jemand
       beim Baden gerne klassische Musik hört, dann haben wir einen
       Anknüpfungspunkt, ein Gesprächsthema. Bis jetzt waren unsere Gäste
       jedenfalls nicht sonderlich religiös.“
       
       Im Alltag spielt es ohnehin noch keine Rolle, ob in der Hospiz-Küche
       Schweine-Buletten oder Halal-Fleisch zubereitet werden: Der große Andrang
       kulturspezifischer Gäste ist bislang ausgeblieben. Von den zwölf Zimmern
       sind aktuell vier belegt – allesamt mit gebürtigen Deutschen.
       
       Warum das so ist, darüber können auch die Betreiber nur spekulieren.
       Womöglich hat sich das Konzept in der türkischen Community noch nicht
       herumgesprochen. Oder die erste Einwanderergeneration ist beim Thema Tod
       eben doch noch so traditionell eingestellt, dass ein Hospiz für sie nicht
       in Frage kommt. Ob das Konzept langfristig ankommt? Die Zeit wird es
       zeigen.
       
       9 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steve Przybilla
       
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