# taz.de -- Krise bei britischer Labour-Partei: Der Anti-Corbyn
       
       > Chuka Umunna gilt als Anführer der Labour- und Tory-Abweichler, die die
       > britische Politik umkrempeln wollen. Seine Basis reagiert zurückhaltend.
       
 (IMG) Bild: Der starke Mann der Abweichler: Chuka Umunna
       
       London taz | „Die Politik ist zerbrochen, es muss nicht so sein, lasst uns
       es ändern“, sagte der britische Abgeordnete Chuka Umunna, als er vor einer
       Woche aus der Labour-Partei austrat. Inzwischen haben acht
       Labour-Abgeordnete und drei Konservative ihre Parteien verlassen und sich
       als [1][„Unabhängige Gruppe“] zusammengeschlossen. Nun überlegt die Gruppe,
       sich förmlich als Partei zu konstituieren. Der 40-jährige gebürtige
       Londoner Umunna wird als ihr Führer gehandelt.
       
       Chuka Umunna stellt sich seit Langem gegen Labour-Chef Jeremy Corbyn. Der
       Sohn eines nigerianischen Vaters und einer englisch-irischen Mutter
       bezeichnete Labour bereits im September als institutionell rassistisch,
       vergangene Woche auch als institutionell antisemitisch. Und von Anfang an
       war er einer der prominentesten Stimmen der „People’s Vote“-Kampagne, die
       ein zweites EU-Referendum in Großbritannien fordert, um den Brexit zu
       stoppen.
       
       Mit dieser Forderung ist sich Umunna mit seinem Südlondoner Wahlkreis
       Streatham einig. Der Wahlkreis reicht von Sozialwohnbauklötzen bis zu
       neureichen Villen an großen Parks, insgesamt ist er eine Remain-Hochburg.
       Der Anteil von ethnischen Minderheiten liegt bei über 40 Prozent.
       
       An der verkehrsreichen Streatham High Street reihen sich Ramschläden und
       indische Gemischtwarenhändler an schicke Cafés, karibische
       „Jerk“-Restaurants, lateinamerikanische Gourmetküchen und englische
       Kneipen. Auffallend ist ein Meer von Maklergeschäften: Die Reihenhäuser
       Streathams sind bei der oberen Mittelschicht beliebt. Umunna, der hier
       aufwuchs, seine Karriere als Wirtschaftsfachmann begann und seit 2010 im
       Parlament sitzt, passt gut ins Bild.
       
       ## Gemischte Gefühle
       
       In Streatham sind die Gefühle jetzt allerdings gemischt. Viele, vielleicht
       zu viele für Umunna, bezeichnen sich gegenüber der taz als
       Labour-Stammwähler, manche seit Generationen. Aber viele sind vor allem
       gegen den Brexit. Hat der junge Abgeordnete einen Nerv getroffen?
       
       Dave Bell, ein 65-jähriger Krankenpfleger, bezeichnet sich als „ewigen
       Sozialisten“, der erst wegen Corbyn wieder Labour beitrat. Andererseits
       vertrete Umunna mit seiner Opposition zum Brexit den Wahlkreis, gesteht er
       und verweist auf seine Erfahrungen im Krankenhaus: „Die Folgen des Schwunds
       von Arbeitskräften aus der EU seit dem Referendum erfahre ich dort täglich.
       Ich glaube, dass die Führung Labours dies überhaupt nicht kapiert.“ Bell
       meint: „Eigentlich erlebe ich Labour in Streatham 50:50 gespalten und ich
       stehe in der Mitte.“
       
       „Ich habe keine Skrupel, Umunna bei möglichen Nachwahlen meine Stimme zu
       geben“, erklärt die 40-jährige Lehrerhilfskraft Moria Boima. Der Brexit sei
       falsch und fatal. „Jeremy Corbyn verwehrte uns bisher ein zweites
       Referendum und Labour ist einfach nicht beständig genug“, moniert sie.
       
       Doch von Streathams Labour-Parteikadern ist noch keiner Umunna gefolgt und
       aus der Partei ausgetreten. Ein langjähriges Labour-Mitglied, das seinen
       Namen nicht nennen will, schätzt, dass solche Austritte aber nur eine Frage
       der Zeit seien. „Sobald Umunna seine Zukunftspläne verkündet, werden viele
       vom rechten Flügel der Partei es ihm gleich tun.“ Dieser Flügel dominiere
       im Stadtbezirk Lambeth, zu dem der größte Teil Streathams gehört.
       
       ## Mobbing vom rechten Flügel
       
       Die Stimme des Aktivisten am Telefon ist emotional, als er erzählt, wie der
       rechte Labour-Flügel Corbyn-Sympathisanten mit „kleinkarierterm Getue“
       ausgrenzt. So setze man absichtlich gewisse Mitglieder nicht auf den
       örtlichen Mail-Verteiler. „Als ein neues Labour-Mitglied neulich – eine
       alleinstehende Mutter – sich gegen die Schließung von Kindersozialdiensten
       aussprach und Entscheidungen der lokalen Gemeinderäte hinterfragte, warf
       der Vorstand sie aus der Partei“, erzählt er. „Zumindest in Streatham
       überwiegt das Mobbing klar auf Seiten des rechten Flügels.“ Umunnas Abgang
       bestätige das. „Meiner Meinung nach ist Umunna eher ein Verteidiger der
       ‚Gated Communities‘ als der sozial Schwachen.“
       
       In ihrer offiziellen Erklärung bedauert die Lambeth-Labour-Partei Umunnas
       Austritt. „Wir haben uns durchgehend für ein zweites Referendum im Einklang
       mit unseren Wählern eingesetzt und werden dies weiter auch gegenüber der
       Labour-Führung tun“, heißt es da. Labour bleibe „die einzige Lösung“ gegen
       die Tory-Politik von „Austertät, Armut und Ungerechtheit“.
       
       Malcolm Clark ist Labour-Gemeinderat und fühlt sich von Umunnas Abgang
       persönlich getroffen, da dieser ihm 2010 bei seiner ersten Wahl zur Seite
       stand. „Als jemand, der jüdisch ist, und dessen Großeltern aus Deutschland
       kamen, finden manche kritischen Punkte bei mir starken Anklang“, formuliert
       es Clark.
       
       Er spricht bedächtig und vorsichtig und unterstreicht seine Hingabe an die
       Labour-Werte. Er hofft, dass die Austritte allen zu denken geben. „Wir
       brauchen bessere Debatten, über Gruppendenken hinaus.“ Das innerparteiliche
       Klima habe sich unter Corbyn klar verändert, „weg von einer pluralistischen
       Partei“, wie er sagt. Tagtägliche Angriffe auf Abweichler verarbeite jeder
       anders. Für Umunna bedeute es eben den Austritt.
       
       ## Zugang gestrichen
       
       Inzwischen wurde bekannt, dass die Labour-Führung den Vorständen der
       Wahlkreise, die ihre Abgeordneten verloren haben, den Zugang zu
       Mitgliederlisten gestrichen hat. Das Vertrauen innerhalb der Partei ist auf
       einem Tiefpunkt.
       
       Die Labour-Führung will, dass die Ausgetretenen ihre Mandate niederlegen
       und sich Neuwahlen stellen. Bisher beugte sich Umunna dem ebenso wenig wie
       die anderen: Es sei sein Recht, seinen Sitz zu behalten, ja Corbyn selber
       habe einst getweetet, dass bei Wahlen an erster Stelle Individuen gewählt
       würden.
       
       Labours Zuversicht, eine Nachwahl in Streatham auch gegen Chuka Umunna
       gewinnen zu können, ist nicht mehr so eindeutig wie einst. Bei Nachwahlen
       im Unterbezirk Thornton am 7. Februar siegte zwar Labour – aber die
       Liberaldemokraten legten mit einem klaren Anti-Brexit-Kurs von drei Prozent
       bei den letzten Kommunalwahlen auf satte 32 zu.
       
       „Selbst wenn es bedeutet, dass wir aus der Politik geworfen werden, sind
       wir bereit, für das zu kämpfen, woran wir glauben“, sagte Chuka Umunna
       jetzt im Fernsehen. So ein Spruch hätte auch einst von Jeremy Corbyn kommen
       können.
       
       26 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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