# taz.de -- Wandel in einem ägyptischen Dorf: Wo das Leben seinen Anfang nimmt
       
       > Unser Korrespondent besucht seine Großfamilie. Auch arme Dörfler
       > verändern sich: Bildung für Mädchen steht jetzt ganz oben.
       
 (IMG) Bild: Nur ein kleiner Teil seiner großen Familie: Karim El-Gawhary im heimatlichen Dorf gleichen Namens
       
       Ezbat El-Gawhary taz | Es ist ein mühsamer Weg in das Dorf, das mein
       Großvater Tawfik El-Gawhary vor 85 Jahren im Nildelta gegründet hat. Die
       erste Stunde nördlich der ägyptischen Hauptstadt Kairo, wo sich der Nil in
       zwei Arme Richtung Mittelmeer teilt, geht es noch auf einer dreispurigen
       gut ausgebauten Autobahn ins Delta. Dann werden die Straßen immer enger und
       holpriger, entlang der kleine Feldparzellen, unterbrochen von zahllosen
       Bewässerungskanälen und ein paar Kleinstädten und Dörfern, die bis zum
       Horizont reichen.
       
       Es ist die fruchtbarste Region Nordafrikas und der Brotkorb Ägyptens. Über
       60 Millionen Menschen leben über das Delta verteilt. Auf einer etwas
       kleineren Fläche als Belgien sind es fünfmal so viele Einwohner wie dort.
       
       Nach vier Stunden führt der Weg im Nordosten des Deltas dann nur noch über
       eine nicht asphaltierte Piste. Es ist eine vernachlässigte Gegend. Hierher
       verirren sich keine Touristen und keine Investoren. Schließlich geht es
       noch über eine Brücke ohne Geländer, die über eine einen kleinen
       Bewässerungskanal führt, dann erreicht man das Dorf, das meinen
       Familiennamen trägt, Ezbat El-Gawhary, das Dorf der El-Gawharys.
       
       Meine dortigen Verwandten, zumindest die dortigen Familien-Oberhäupter, die
       am Dorfeingang auf uns warten, kenne ich nur von Hochzeiten und
       Beerdigungen in der Familie, deren größter Teil heute in Alexandria und
       Kairo lebt. Ich selbst war vor 20 Jahren das letzte Mal hier.
       
       ## Ein Dorf, wie es Tausende in Ägypten gibt
       
       Unser Dorf ist kein außergewöhnlicher Ort, über den es Spektakuläres zu
       berichten gibt. Aber es ist ein Ort wie tausend andere in Ägypten, typisch
       für eine Lebensweise von Millionen Menschen in unmittelbarer Nachbarschaft
       zu Europa. Zwei Dutzend Häuser, eingebettet zwischen Kartoffel- und
       Süßkartoffelfeldern, dazwischen der Klee für die Tiere. Auf den Dächern
       kleben die für das ägyptische Landleben so typischen Taubenschläge. Unter
       auf der Straße watschelt eine Gruppe Enten.
       
       In den 1930er Jahren bestand das nördliche Delta noch aus Brachland, das
       erst durch Bewässerungskanäle fruchtbar gemacht werden musste. Damals hat
       mein Großvater das Land gekauft. Ein Mann, den ich nur streng dreinblickend
       mit der damals modischen Fez-Kopfbedeckung von einem Schwarz-Weiß-Foto
       kenne. Er selbst ist nie dort hingezogen. Großvater blieb als
       Englischlehrer in der Provinzhauptstadt Mansoura. Das Land verpachtete er
       an zwei seiner Brüder und seine Schwester.
       
       Heute besteht ein großer Teil des Dorfes also aus zwei mit mir verwandten
       Clans. Die Nachkommen meiner Großonkel tragen wie wir den Namen El-Gawhary.
       Und dann ist da noch der Familienzweig meiner Großtante, sie haben den
       Namen Abu Eisch. Um es kurz zu machen: das halbe Dorf besteht aus meinen
       Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen zweiten Grades und deren Kindern .
       
       ## Taha El-Gawhary, der Landwirt mit dem Maultier
       
       Es geht noch ländlich zu in dem Dorf. Kurz nach der Begrüßung muss Taha
       El-Gawhary, mein Cousin zweiten Grades, wieder auf das Feld zur Arbeit. Er
       geht in den Stall und spannt ein Maultier an einen zweirädrigen Karren.
       „Die Landwirtschaft, das ist unserer Leben. Ich habe von meinem Vater und
       Großvater gelernt, den Boden zu bearbeiten. Bauer zu sein, das ist das
       Einzige, was ich gelernt habe“, erzählt er, nachdem wir mit dem Karren auf
       sein Feld gefahren sind und er eine Stunde lang mit einer Sense Klee für
       seine Tiere gemäht hat – alles in mühevoller Handarbeit und mit einer
       Sense, die so kurz ist, dass er seinen Rücken tief über das Grün beugen
       muss.
       
       Im Zentrum des Dorfes befindet sich ein Wasserrad. Das rostbraune mannshohe
       Gerät mit seinen eisernen Schöpfkellen ist das Herzstück des
       Bewässerungssystems, so wie im ganzen Delta, ohne das dort nichts wächst.
       Früher wurde es von Wasserbüffeln bewegt, die im Kreis trotteten. Heute
       wird es von einem ziemlich alten Dieselmotor angetrieben. Um den
       anzuwerfen, gibt es eigens einen Mann, der nach einem Anruf wenige Minuten
       später mit einem Eselskarren, auf dem sich ein kleiner Dieseltank befindet,
       angeritten kommt.
       
       Er schreitet ein paar Mal um den Motor, dann zündet er einen Docht an und
       steckt ihn in eine kleine Öffnung des Motors. Der ist so alt, dass er noch
       keine Glühkerze besitzt. Deshalb muss er auf diese Weise langsam vorgeglüht
       werden, bevor er von Hand angekurbelt wird. Erst dann setzt sich der Motor
       langsam in Bewegung und das Rad beginnt damit, das Wasser von einem
       größeren Kanal in einen kleineren zu schöpfen, der auf die Felder
       hinausführt.
       
       Im Koran heißt es: „Und wir machten aus dem Wasser alles Lebendige.“ Wenn
       man zusieht, wie das Wasser langsam in Richtung der Felder strömt, dann ist
       das tatsächlich ein philosophischer Moment, der das Gefühl auslöst, dass
       hier das Leben seinen Anfang nimmt. Hier entstand vor 7.000 Jahren das
       erste Staatswesen der Menschheit, weil man nur gemeinsam das
       Bewässerungssystem und die Verteilung des kostbaren Wassers organisieren
       konnte.
       
       ## Schahat Abul Eisch, der Wasserverteiler
       
       Bis heute ist die Wasserverteilung vom Ministerium in Kairo in allen
       Provinzen bis hin zum kleinsten Dorf und dem kleinsten Bewässerungsrinnsal
       geregelt. Schahat Abul Eisch, ein anderer meiner Cousins, ist im Dorf für
       die gerechte Verteilung des Wassers zuständig. Seit ein paar Jahren aber
       kommt vom Hauptkanal [1][immer weniger Wasser], erzählt er. Gründe dafür
       sind das Bevölkerungswachstum, der Klimawandel und ein gigantisches
       Staudammprojekt am Oberlauf des Nils in Äthiopien.
       
       „Die zuständigen Beamten in der Provinzhauptstadt Mansoura sagen, dass es
       einfach nicht mehr Wasser zum Verteilen gibt. Ihr seid auf euch allein
       gestellt“, erzählt Schahat. Die einzige Lösung besteht darin, das für die
       Landwirtschaft genutzte Drainagewasser erneut zur Bewässerung zu nutzen,
       mitsamt der Pestizide und der Chemie darin. „Wir sprechen viel über dieses
       Thema untereinander, aber wir sind keine Entscheidungsträger. Unsere
       Stimmen dringen nicht nach oben“, moniert mein Cousin.
       
       Es scheint ein in sich geschlossenes System zu sein, das Dorf und die
       benachbarten Felder. Doch das stimmt nicht. Ein Teil der Produkte wird
       sogar exportiert. „Wenn wir Süßkartoffeln anbauen, haben wir eine bessere
       Marke für den Export und eine mindere Sorte für den lokalen Markt“,
       beschreibt der Bauer Taha. Wohin die Kartoffeln gehen, das weiß er nicht.
       Selbst dieses entlegene Dorf im Nildelta ist in den globalen Markt
       eingebunden. „Auch bei uns im Dorf sind neue Zeiten angebrochen. Bevor wir
       aussähen, kommt der Händler und bestellt die Ernte, die dann exportiert
       wird. Die muss dann bestimmten Anforderungen entsprechen“, führt Schahat
       aus.
       
       ## Das Dorf wächst – wie ganz Ägypten
       
       Die ältesten zwei Häuser im Dorf sind zweigeschossig. Vor 85 Jahren lebten
       nur meine beiden Großonkel und die Großtante mit ihren Familien im Dorf –
       gerade einmal ein gutes Dutzend Menschen. Heute gibt es mehrere Dutzend zum
       Teil dreigeschossige Häuser. Wie viele Menschen im Dorf leben, das weiß
       niemand so genau. Keiner hat sich die Mühe gemacht, sie zu zählen, aber
       sicherlich sind es ein paar hundert.
       
       Insofern ist Ezbat El-Gawhary auch ein Sinnbild für das
       Bevölkerungswachstum im Rest des Landes. Jedes Jahr gibt es eineinhalb
       Millionen mehr Ägypter. Immer mehr kostbare landwirtschaftliche Flächen
       werden zu Bauland, auch weil die Ansprüche gewachsen sind. „Als unsere
       Eltern geheiratet haben, sind sie noch in ein einzelnes Zimmer gezogen.
       Wenn das Haus vier Zimmer hatte, lebten dort also vier verheiratete Paare“,
       erklärt Schahat. „Heute wird erwartet, dass du nach der Hochzeit in ein
       eigenes Haus ziehst“, fasst er die Entwicklung zusammen.
       
       Immer weniger fruchtbares Ackerland – immer mehr Menschen mit immer höheren
       Ansprüchen – eine Rechnung, die nicht aufgehen kann. Das ist der Grund,
       warum mein Cousin Eid ein Visum für Saudi-Arabien beantragt hat, um dort zu
       arbeiten und ein Auskommen zu finden. In einem Monat soll es losgehen.
       Andere Verwandte arbeiten bereits dort. Migration ist seit Jahrzehnten ein
       integraler Teil des Dorflebens.
       
       ## Eid, der nach Saudi-Arabien zieht
       
       Theoretisch müsste der Boden nach der Tradition und dem Gesetz der Scharia
       immer weiter unter den Kindern und Kindeskindern aufgeteilt werden, bis die
       Parzellen so klein wären, dass sie niemanden mehr ernähren können. „Mein
       Vater müsste das Land, das ihn ernährt hat, seinen fünf Söhnen vererben.
       Heute kann mein Bruder Taha davon leben“, sagt Eid. Daher haben er und vier
       weitere Brüder beschlossen, in Saudi-Arabien zu arbeiten. Taha hilft Eid
       bei der Finanzierung seiner Reise nach Saudi-Arabien.
       
       Seine Frau und seine Kinder wird Eid im Dorf zurücklassen. Wenn er von
       Saudi-Arabien nach ein paar Jahren zurückkehrt, will er für sich und seine
       Familie mit dem Ersparten eine Zukunft in Ägypten aufbauen. Zwischendrin
       wird er Geld nach Hause schicken. Eine klassische ägyptische Biografie.
       
       Das Land ist Weltmeister bei den Rücküberweisungen von in der ganzen Welt
       lebenden Arbeitern. Nach offiziellen Zahlen haben diese im letzten Jahr 23
       Milliarden Dollar in die Heimat gesandt. Hunderttausende Familien im
       Nilland überleben nur durch diese Zahlungen aus dem Ausland.
       
       Die Arbeitsmigration fällt Eid schwer. „Wir haben ein Sprichwort: In der
       Fremde zu leben, ist wie auf einem Friedhof zu leben“, sagt er.
       
       Meinen anderen Cousin Hazem Abul Eisch treffe ich in seinem Hasenstall.
       Anders als Eid hat er beschlossen, sich seine eigene Existenz im Dorf
       aufzubauen. Seine Geschäftsidee: ein ländliches Hasenzucht-Start-up. Er hat
       sich das alles ausgerechnet. Um ins Ausland zu kommen, müsste er
       umgerechnet 2.000 bis 4.000 Euro für die Vermittlung bezahlen. „Mit diesem
       Geld kannst du auch ein kleines Projekt hier beginnen, von dem du dann
       leben kannst“, sagt er, während er die kleinen Tröge vor den Käfigen mit
       Futter auffüllt. Das Geld, das er einem Schlepper nach Europa zu bezahlt
       hätte oder einem Makler und Bürgen, um Arbeit in Saudi-Arabien zu finden,
       hat Hazem in seine Hasen gesteckt.
       
       ## Tokaya Abul Eisch, die die Traditionen hochhält
       
       Am Nachmittag werfen die Frauen den alten Lehmofen vor dem Haus an. Früher
       haben sie dort ihr Brot gebacken, heute wird er nur noch für besondere
       Anlässe mit Stroh angefeuert. Diesmal für die Gäste aus Kairo. Es gibt
       Fisch vom nahegelegenen Mittelmeer. Der wird zunächst paniert und dann in
       den Ofen geschoben. Der Lehm gibt ihm einen besonderen Geschmack. Während
       der Arbeit kommen die ersten Frauen langsam ins Gespräch. Gegenüber den
       männlichen Gast aus Kairo, der auch noch mit einem Notizblock durch das
       Dorf läuft, sind sie zurückhaltender als die Männer.
       
       Den Anfang macht die über 70-Jährige Tokaya Abul Eisch, die noch ein
       traditionelles Frauenbild vertritt. Frauen müssten gottgefällig sein, nach
       gutem Gewissen handeln und gut zu ihrem Ehemann sein, fasst sie ihre
       Bestimmung zusammen. Faiza Abul Eisch ist in ähnlichem Alter. Sie treibt
       bis heute Hühner und Enten vor dem Haus zusammen, bevor sie diese füttert.
       „Wir haben uns nie eingemischt, wenn die Männer etwas Wichtiges diskutiert
       haben“, erzählt sie. Aber, so betont sie, „im Hintergrund sind wir
       natürlich bei wichtigen Entscheidungen immer von unseren Männern gefragt
       worden und haben sie beraten“, etwa wenn es darum ging, Land zu kaufen oder
       zu verkaufen.
       
       ## Amal, der zwei Kinder reichen
       
       Und doch hat sich einiges in den letzten Jahrzehnten verändert. Die alten
       Frauen im Dorf hatten noch bis zu zehn Kinder zur Welt gebracht. Heute ist
       der Kinderreichtum weniger ausgeprägt – beispielsweise in der Familie
       meines Cousins Taha. Er hat mit seiner Frau Amal nur zwei Kinder, ein
       Thema, das im Haus regelmäßig debattiert wird. Aber Amal bleibt hartnäckig.
       „Wenn du mehr Kinder haben willst, dann heirate doch eine andere Frau. Mir
       reicht es. Mit mir nicht“, wirft sie ihrem Mann laut lachend entgegen. Der
       lächelt müde und scheint sein Anliegen bereits aufgegeben zu haben. Auch
       dem sozialen Druck widersteht Amal. „Die Leute im Dorf sagen, ihr solltet
       noch einmal zwei haben. Aber ich bin so zufrieden. Gott sei Dank“, sagt
       sie.
       
       Und noch etwas anderes hat sich für die Frauen im Dorf entscheidend
       geändert. Früher wurden die Mädchen mit 12 oder 14 Jahren verheiratet.
       Inzwischen ist das die absolute Ausnahme. Es gebe nur noch zwei oder drei
       solche Fälle, sagt Amal, und die sind meist schiefgelaufen, weil sie in
       einer Scheidung endeten und die sehr jungen Frauen dann vor dem Nichts
       standen. Amal hat eine dezidierte Meinung dazu. „Bildung ist eine Waffe für
       das Leben. Wenn die Kinder eine Ausbildung haben, dann sind sie bewaffnet.
       Die Ausbildung meiner Tochter ist wichtiger als die Frage, ob sie
       heiratet“, sagt sie.
       
       „Ich habe nur die Schule des Lebens besucht und gelernt. Mit dieser Schule
       sind ganze Generationen aufgezogen worden“, beschreibt die alte Faiza ihren
       Lebensweg. Ihre beiden Enkelinnen stehen dafür, wie sehr sich die Zeiten im
       Dorf inzwischen geändert haben. Sie gehören zur ersten Generation von
       jungen Frauen im Dorf, die ihr Abitur gemacht haben und studieren. Faiza
       Aschraf Abul Eisch wird Anfang der Woche in die nächste Kleinstadt fahren.
       Von dort geht es weiter ins eineinhalb Stunden entfernte Port Said, wo sie
       unter der Woche in einem Studentenwohnheim lebt und an der dortigen
       Universität Pharmazie studiert. Eine junge, unverheiratete Frau des Dorfes
       alleine in der Stadt? Das ist eine kleine Revolution im Dorf Ezbat
       El-Gawhary.
       
       ## Faiza Aschraf, die in Port Said studiert
       
       „Es ist für mich eine große Ehre, dass die anderen Mädchen im Dorf mich als
       Vorbild betrachten“, meint die Studentin Faiza Aschraf. „Ich bin stolz, aus
       einem sehr kleinen Dorf zu kommen und es so weit geschafft zu haben. Das
       hat natürlich nur mit der Unterstützung meiner Eltern geklappt“, sagt sie.
       
       Tatsächlich hat sich auch im Denken mancher Eltern im Dorf viel verändert.
       Für meinen Cousin Eid, den Arbeitsmigranten in spe, steht an oberster
       Stelle, seinen Töchtern eine Ausbildung zu finanzieren. Dafür geht er auch
       nach Saudi-Arabien. „Ich würde alles für die Bildung meiner Töchter tun.
       Egal wie lange sie in ihrer Ausbildung sind, egal ob das bis zur
       Universität geht, wenn sie Medizin studieren wollen“, sagt er. Dann macht
       er eine kurze Pause, um noch eines draufzusetzen, „sogar wenn meine Töchter
       ins Ausland gehen, um einen Doktortitel zu bekommen. Ich werde für sie da
       sein, egal was es kostet.“
       
       Faiza erzählt, dass ihre Hochschulausbildung erst der Anfang sei. Sie
       träumt schon jetzt von ihrem Berufsleben und davon, später vielleicht in
       der Gegend eine eigene Apotheke aufzumachen. „Damit meine Leute aus dem
       Dorf auch etwas von meiner Ausbildung haben“, sagt sie.
       
       Ihre Schwester Khoulud kommt mit ihren Freundinnen von der Schule im
       Nachbardorf. Sie steht kurz vor dem Abitur und will danach auch studieren.
       „Der Ehrgeiz meiner Mutter war es, uns aufzuziehen und zu sehen, dass wir
       eine gute Ausbildung bekommen“, blickt sie eine Generation zurück. Ihre
       Ambitionen seien andere. „Mir ist meine eigene Zukunft wichtig. Ich möchte
       die Welt sehen. Ich möchte überall herumreisen.“
       
       Nachmittags kommen die jungen Frauen zusammen, um gemeinsam zu lernen. Über
       einen Laptop gebeugt machen sie ihre Hausaufgaben. Sie wissen genau, dass
       Bildung der einzige Weg für ihren sozialen Aufstieg ist. Doch der Weg in
       eine selbstbestimmte Zukunft wird steinig für die [2][jungen Pionierinnen]
       aus unserem Dorf. Ihre Eltern sind Bauern, ihnen fehlen die richtigen
       Verbindungen. Gute Jobs zu bekommen, wird schwer, aber sie sind
       Kämpferinnen. „Setz mich am Beginn der Straße ab, den Rest mache ich
       selbst“, sagt Faizas Schwester Iman Abul Eisch selbstbewusst und lacht.
       
       Die jungen Frauen in Ezbet El-Gawhary stehen für einen Wandel abseits der
       großen Städte. Der Pharao und der Staat sind weit weg. Es sind lautlose
       gesellschaftliche Veränderungen, die in unserem Dorf stattfinden, jenseits
       der Schlagzeilen und der großen Politik – kleine Aufbrüche eben. Aber auch
       die können hoffentlich irgendwann einmal das große Ganze aufbrechen.
       
       10 Mar 2019
       
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