# taz.de -- Galeristin über Kunst im Problemviertel: „Ich bin hier nie fremd gewesen“
       
       > Anne Schmeckies betreibt im Goethequartier in Bremerhaven eine
       > Kunstgalerie. Ein Gespräch über Kunst im so genannten „ärmsten Stadtteil
       > Deutschlands“.
       
 (IMG) Bild: Schafft in Bremerhaven Freiräume für junge KünstlerInnen: Anne Schmeckies
       
       taz: Sie betreiben eine Kunstgalerie im Goethequartier in Bremerhaven, das
       anderswo eher als Ghetto gilt. Haben Sie eine Mission, Frau Schmeckies? 
       
       Anne Schmeckies: Nein! Ich bin einfach von diesem Stadtteil angetriggert
       worden. Das, was wir hier machen, ist echt, und das merken die Menschen
       auch. Für mich ist es eher eine Lebensaufgabe, die mir Freude macht.
       
       Sehen Sie Ihre Aufgabe in diesem „sozialen Brennpunkt“ auch als eine
       pädagogische an? 
       
       Die Kunst ist frei. Sie hat keine dienende Funktion – aber sie ist
       identitätsstiftend für diesen Stadtteil: Sie hält die Menschen zusammen und
       macht sie stolz auf ihr Quartier.
       
       Dient die Kunst nicht auch dazu, diesen Stadtteil mit all seinen bisweilen
       noch heruntergekommenen Gründerzeit-Häusern wieder aufzuwerten? 
       
       Ja – aber ich habe darüber noch nicht nachgedacht, als ich 2013 hier
       anfing. Ich würde sagen: Die Kunst trägt zum Stimmungswechsel bei.
       
       Wie war die Stimmung früher? 
       
       Sie war von Vorurteilen geprägt. Natürlich ist auch das eine oder andere
       hier passiert – aber dann hat sich die Presse darauf gestürzt und schrieb
       vom „ärmsten Stadtteil Deutschlands“. Ich finde: Es ist cool, wenn nicht
       alles so geschleckt ist.
       
       Was hat sich geändert? 
       
       Über Kunst und Kultur – und diese Erkenntnis ist nicht neu – kann man die
       Lebensfreude der Menschen in den Stadtteilen erhöhen. Mit Kunst verbinden
       die Menschen immer etwas Elitäres. Sie freuen sich deshalb, dass gerade in
       ihrem Quartier so eine Galerie existiert und die Kultur auch dahin kommt,
       wo man sie nicht erwartet. Und das ist wichtig! Die Menschen hier haben
       zwar weniger Geld, aber das muss nicht heißen, dass die Lebensqualität
       nicht stimmt. Hier werden Werte gelebt, die anderswo zu kurz kommen – etwa,
       dass man sich gegenseitig unterstützt. Ich bin hier nie fremd gewesen.
       
       Haben Sie keine Sorge, dass das alles doch in Gentrifizierung endet? 
       
       Nein, dafür bietet Bremerhaven zu wenig Arbeitsplätze. Und junge Leute, die
       mit dem Studium fertig sind, haben es ganz schwer. Es kommt aber auch auf
       das Bewusstsein der Sanierer an – auch ein Investor kann ja sozial sein.
       Hier kann man noch in sehr schön sanierten Häusern wohnen und trotzdem
       weniger als 5,50 Euro pro Quadratmeter an Miete zahlen. Lange Zeit waren im
       Goethequartier alle Wohnungen belegt! Erst mit der Werften- und
       Schifferei-Krise und dem Spekulatentum meist externer Käufer ist der
       Stadtteil zu dem geworden, was er lange Zeit war.
       
       Sie sind also optimistisch, dass das Goethequartier nicht so endet wie
       ähnliche Viertel in größeren Städten? 
       
       Ja. Weil die Gesellschaft merkt, dass jeder etwas dazu beitragen kann, dass
       sie nicht auseinanderfällt. Lange Zeit hat die Politik gar nicht mehr
       wahrgenommen, was läuft: Hartz IV ist ein Verbrechen an der Menschheit und
       das Menschen in Deutschland zur Tafel gehen müssen, ist eine Schande. Das
       muss aufhören! Es geht aber auch nicht, dass der Einzelne dem Staat
       zunehmend mit einem Anspruchsverhalten gegenübertritt. Mir ist wichtig,
       dass die Menschen lernen, sich selbst zu organisieren. Jeder von uns kann
       etwas tun.
       
       Häuser wie dieses hier, in dem ihre Galerie sitzt, wurden lange Zeit nur
       als „Schrottimmobilien“ gehandelt. 
       
       Ich nenne sie lieber Chancenhäuser – und es gibt Investoren, die diese
       Chance genutzt haben. Es hat ihnen Spaß gemacht, etwas Bezahlbares zu
       schaffen, das nicht billig wirkt.
       
       Aber wovon finanzieren Sie die Galerie, die immerhin eine ganze
       Vier-Zimmer-Wohnung groß ist? 
       
       Ich muss zwar keine Miete dafür zahlen, aber es ist trotzdem eine absolute
       Non-Profit-Galerie! Und ich käme auch nie auf die Idee, den KünstlerInnen
       etwas abzunehmen. Früher habe ich noch ein Budget vom Stadtplanungsamt
       bekommen. Das ist weggefallen. Der städtische Kulturetat fördert meine
       Arbeit nicht. Vielleicht haben sie noch nicht erkannt, wie wichtig
       Stadtteilarbeit ist. Ich bin keine pflegeleichte Person, habe aber auch
       nicht das Gefühl, dass zivilgesellschaftliches Engagement hier besonders
       geschätzt wird. Deswegen muss ich mühsam von Ausstellung zu Ausstellung
       Sponsoren suchen. Das macht die Planung schwer. Aber ich mache und sage,
       was ich will, und fühle mich der freien Szene zugehörig.
       
       Was macht ihre Galerie aus? 
       
       Jährliche Ausstellungen mit KünstlerInnen aus Südafrika oder Indien haben
       der Galerie sehr schnell ein Alleinstellungsmerkmal mit internationalem
       Flair verliehen. Und wir reden hier von jungen KünstlerInnen, die anderswo
       steilgehen und auf der ganzen Welt arbeiten – aber eben, auch mir zuliebe,
       nach Bremerhaven kommen. Das spricht sich herum in der Szene. Daraus
       resultieren coole Graffiti-Ausstellungen mit Writern, die nicht nur aus
       Bremerhaven kommen. Dazu kommt die assoziierte Goethe45-Open-Air-Galerie,
       in der ich überwiegend Kunst von Graffiti-Malern aus dem Underground
       kuratiere.
       
       Früher haben Sie noch im Kunstverein kuratiert, einem Ort für etablierte
       Kunst und das Bildungsbürgertum. 
       
       Über 20 Jahre habe ich das gemacht. Im Kunstverein werden große Namen wie
       der von Gerhard Richter gedroppt, das ist nicht mein Ding – ich habe da
       immer eher provoziert. 1990 habe ich schon „Die tödliche Doris“
       ausgestellt. Das war für andere keine Kunst. Über die Malerei bin ich zu
       Graffiti gekommen. Das hat mich total geflasht.
       
       Das Publikum im Kunstverein rümpft meist die Nase, wenn man ihnen mit
       Graffiti kommt. 
       
       Und bei Hip-Hop oder Rap wahrscheinlich auch. Ich habe zusammen mit
       Graffiti-Malern schon ab 1990 Konzerte mit Samy Deluxe, Flowin Immo oder
       Ferris MC organisiert, als noch keiner sie kannte – und zwar nicht als
       Hobby, sondern aus Überzeugung. Ich mag die wilden Jungs auch gerne, das
       sind meine Freunde, die sind cool. Und bei denen ist alles echt.
       
       Waren Sie selbst als Künstlerin aktiv? 
       
       Nein. Ich schaffe Freiräume für junge KünstlerInnen.
       
       Kann man das Kuratieren lernen, wie ein Handwerk? 
       
       Zum Teil. Man muss kreativ, aber auch organisatorisch gut sein – und die
       Fähigkeit haben, Innovationen zu erkennen. Das läuft bei mir eher intuitiv.
       
       Zunächst waren Sie Industrie-Kauffrau und haben beim Unilever-Konzern im
       Marketing gearbeitet, später wurden Sie Berufsschullehrerin. Wie kam das? 
       
       Unsere Konsumgesellschaft ist eine schöne Scheinwelt. Mir hat die Werbewelt
       und die Manipulation, die dort stattfindet, nicht gefallen. Zudem wollte
       ich schon mit fünf Lehrerin werden! Ich bin mit den SchülerInnen in die
       Kunsthalle gegangen. Man kann viel über Kunst lernen.
       
       Im Goethequartier wohnen viele Menschen aus vielen Kulturkreisen. Kommen
       die auch in die Galerie? 
       
       Das kommt auf ihr Bewusstsein und den Bildungsstand an! Vieles läuft über
       Kooperationen, etwa mit der Schule, in der ich früher unterrichtet habe:
       Oft kommen Eltern von Schülern, die mich noch kennen, oder Schüler, die
       dann wiederum ihre Eltern mitbringen. In der Phase der Sanierung dieses
       Hauses bekam die Galerie von der Hafengesellschaft Bremenports einen
       Container für die Ausstellungen, der vor der Tür stand – da war die
       Hemmschwelle gleich noch viel niedriger. Es ist hier aber auch unbefangener
       als in anderen Galerien, gerade für Kinder.
       
       Und kommen die Leute aus dem Kunstverein auch mal? 
       
       Seltener.
       
       Gerade bei Graffiti-Kunst, die man hier draußen zeigt, haben viele Angst,
       dass das schnell zerstört und übersprüht wird. Zu Recht? 
       
       Nein, das funktioniert gut. Der Respekt ist da – das war früher ein Tabu,
       und das ist es immer noch. Dahinter steht eine Haltung zum Leben.
       
       Wieso setzen Sie sich für die gesellschaftliche Anerkennung von
       Graffiti-Kunst ein? 
       
       Graffiti-Maler sind die Kulturbotschafter unserer Städte! Sie äußern sich
       durch ihre Kunst zum Zustand der Welt und unserer Städte – und sie haben
       sich, wenn sie es ernst genommen haben, dabei nie abweisen lassen. Zugleich
       machen sie den Menschen Freude. Und das, was man hier sieht, wird von den
       Leuten auch angenommen.
       
       2007 bekamen Sie das Bundesverdienstkreuz. Was bedeutet Ihnen diese
       Auszeichnung? 
       
       Ich habe es stellvertretend für die Hip-Hopper und Jugendlichen angenommen,
       aber mir persönlich ist dieser Orden nicht wichtig. Er kann zwar Türen
       öffnen, doch ich gehe damit nicht hausieren.
       
       18 Feb 2019
       
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 (DIR) Jan Zier
       
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