# taz.de -- Kommunalwahlen in der Türkei: Der Kampf um die Metropolen
       
       > Die Kommunalwahlen in der Türkei im März gelten als wegweisend. Präsident
       > Erdoğans Machtfülle könnte vielleicht ein Ende gesetzt werden.
       
 (IMG) Bild: Die EinwohnerInnen von Izmir wählen traditionell eher die Oppositionspartei CHP
       
       Izmir taz | Wie das Slow-Food ist auch das Konzept der Slow-City eine Idee,
       die ursprünglich aus Italien kommt. So wie Essen nicht heruntergeschlungen
       werden soll, soll man gemütlich durch die Stadt flanieren können, statt
       ständig vor Autos flüchten zu müssen. In der Türkei wurde dieses Prinzip
       der Entschleunigung in einer kleinen Stadt unweit von İzmir realisiert.
       Seferihisar ist die erste Slow-City der Türkei. Bürgermeister Tunç Soyer
       wurde im ganzen Land bekannt.
       
       Es spricht vieles dafür, dass Soyer seine Erfahrungen mit der
       Entschleunigung bald in İzmir, der drittgrößten Metropole der Türkei,
       ausprobieren kann. Die größte Oppositionspartei CHP nominierte Soyer am
       Sonntag zum Bürgermeister-Kandidaten in İzmir. Für den 31. März sind
       landesweite Kommunalwahlen angesetzt. [1][In İzmir, seit Jahrzehnten fest
       in der Hand der CHP], hat Soyer gute Chancen auf den Chefsessel.
       
       Kommunalwahlen in der Türkei finden landesweit am selben Tag statt. Vor
       allem die Entscheidungen in Istanbul, Ankara und İzmir setzen Trends, die
       auch für die Regierung des Landes prägend sind. [2][Als der heutige
       Präsident Recep Tayyip Erdoğan] Mitte der neunziger Jahre überraschend
       Oberbürgermeister von Istanbul wurde, legte er nicht nur den Grundstock für
       seine eigene Karriere, sondern auch für die Erfolge islamistischer Parteien
       in den Folgejahren.
       
       Entsprechend groß ist im Vorfeld der Kommunalwahlen das Gezerre um die
       Kandidaten. Auch vor unsauberen Tricksereien wird nicht haltgemacht. Als
       vor einigen Tagen die Wählerlisten veröffentlicht wurden, stellte die
       Opposition fest, dass teilweise heftig manipuliert wurde. In Kayseri etwa
       war eine 165 Jahre alte Frau als Wählerin eingetragen. Insgesamt sind mehr
       als 6.000 registrierte WählerInnen zwischen 100 und 165 Jahre alt, wie eine
       extra eingerichtete Arbeitsgruppe der CHP feststellte.
       
       ## Wundersame Vermehrung von WählerInnenstimmen
       
       In einigen Stadtteilen verdoppelte sich auf wundersame Weise die Anzahl der
       WählerInnen seit den Präsidentschaftswahlen im Juni 2018. Andernorts fehlen
       Hunderte Namen auf den Listen. Doch der Chef der Wahlkommission, Sadi
       Güven, wies alle Vorwürfe zurück: „Es gibt keine Geisterwähler“, behauptete
       er gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, „höchstens ein
       paar kleine Fehler.“
       
       [3][Trotz der Manipulationen im Vorfeld] macht sich die Opposition
       Hoffnung, wichtige Städte gewinnen zu können. Denn die AKP ist nach 17
       Jahren an der Regierung müde geworden. Ihre Personaldecke ist ausgedünnt.
       So schickte Erdoğan einen ehemaligen Wirtschaftsminister, der wegen eines
       Korruptionsskandals zurücktreten musste, in einen wohl aussichtslosen
       Wahlkampf gegen Soyer nach İzmir. Auch in der Hauptstadt Ankara, wo die
       Opposition einen gemeinsamen Kandidaten aufgestellt hat, könnte die AKP
       Umfragen zufolge in Schwierigkeiten kommen.
       
       Entscheidend aber ist Istanbul. Mit rund 16 Millionen Einwohnern ist die
       Stadt nicht nur die größte des Landes, der Großraum Istanbul ist auch der
       Wirtschaftsmotor der Türkei. Fast 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
       werden hier erwirtschaftet. Lange hat Erdoğan gezögert, wen er in Istanbul
       ins Rennen schicken sollte. Am Ende fiel die Entscheidung auf den treuen
       Schildknappen Binali Yıldırım. Der war einst Ministerpräsident, musste sein
       Amt aber zugunsten des Präsidenten selbst abschaffen. Jetzt soll er seinen
       neuen Posten des Parlamentspräsidenten aufgeben, um in den Straßen
       Istanbuls Wahlkampf zu machen.
       
       Gegen Yıldırım hat das Oppositionsbündnis aus säkularer CHP und rechter
       İyi-Parti den jungen Bezirksbürgermeister Ekrem İmamoğlu aufgestellt. Er
       ist nicht so bekannt wie Yıldırım, doch sollte es ihm gelingen, die
       kurdischen Stimmen in Istanbul für sich zu gewinnen, hätte er eine Chance.
       Schon träumt die Opposition wieder vom Anfang vom Ende Erdoğans.
       
       29 Jan 2019
       
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 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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