# taz.de -- Indigene in Norwegen: Wo Walfang zur Kultur gehört
       
       > Die norwegischen Sami verlangen eigene Fangquoten. Walschützer*innen
       > kritisieren das. Aber den Indigenen geht es um Grundsätzliches.
       
 (IMG) Bild: Die Küstensami wollen die Ressourcen in ihren Gefilden nutzen dürfen
       
       Stockholm taz | Nachdem Japan sich entschlossen hat, seinen
       pseudowissenschaftlichen Walfang in den Gewässern der Antarktis zu stoppen,
       haben die Wale dort Ruhe. Aber am nördlichen Polarkreis werden die
       Großsäuger weiterhin gejagt. Kommerziell von Island und Norwegen, die dem
       internationalen Walfangmoratorium schon bei dessen Erlass formell
       widersprochen hatten. Und von Angehörigen indigener Völker in Grönland,
       Nordamerika und Sibirien im Rahmen des ihnen von der Internationalen
       Walfangkommission erlaubten Subsistenzwalfangs.
       
       Hier hat sich ein neuer Interessent gemeldet. Das norwegische
       Sami-Parlament Sametinget hat einstimmig beschlossen, auch für dieses
       indigene Volk Fangquoten für die Jagd auf Delfine und Schweinswale vor der
       nordnorwegischen Küste zu fordern.
       
       Die weltweit führende gemeinnützige Wal- und Delfinschutzorganisation WDC
       wies den Vorstoß „entschieden“ zurück. Eine Genehmigung solcher Jagd wäre
       „völlig unverantwortlich“, meint die WDC-Forschungsleiterin Nicola Hodgins.
       Dagegen sprächen nicht nur tier- und artenschutzrechtliche Gründe, sondern
       auch gesundheitliche Erwägungen: „Das Fleisch und Fett der meisten
       Delfinarten – insbesondere in arktischen Gewässern – ist stark mit
       Giftstoffen wie Quecksilber belastet.“ Der Konsum solcher Tierprodukte
       könne „eine Reihe schwerwiegender Erkrankungen verursachen“. Hodgins rief
       das Sami-Parlament auf, seinen Antrag wieder zurückzuziehen.
       
       „Wir wissen, dass das ein strittiges Thema ist“, sagt Silje Karine Muotka,
       Mitglied des Sametingsrådet – das ist das Gremium, das die laufende
       politische Arbeit des Sametinget führt. „Und wir sind darauf vorbereitet,
       dass wir uns mit internationaler Kritik auseinandersetzen werden müssen.“
       
       ## Samische Kultur weiterführen
       
       Allerdings würden die Kritiker*innen übersehen, dass der Fang von Delfinen
       und Kleinwalen einen „wichtigen Teil der samischen und norwegischen Kultur
       darstellt, die wir bewahren und weiterführen wollen“. Muotka gesteht aber
       zu, dass noch eine „umfassende Untersuchungsarbeit“ zu leisten sei. Dabei
       wollten die Verfechter*innen der Quoten eng mit den Forschungsinstitutionen
       zusammenarbeiten.
       
       Über den Antrag des Sami-Parlaments wird Oslo zu entscheiden haben. Bislang
       war von der norwegischen Regierung noch keine Stellungnahme zu erhalten.
       Allerdings genehmigt sie ihren eigenen Fischer*innen jährlich hohe
       Fangquoten für Zwergwale, für 2018 waren es beispielsweise 1.278 Tiere.
       Deshalb kann sie den Antrag nicht ohne Weiteres ablehnen. Es sei denn,
       Kritiker*innen könnten ausreichend artenschutzrechtliche Bedenken
       vorbringen.
       
       Der Gewöhnliche Schweinswal“ (Phocoena phocoena) heißt in Norwegen „Nise“,
       weil er ein dem Niesen ähnliches Geräusch produziert, wenn er zum Atmen an
       die Oberfläche kommt. Er gehört in Norwegen zu den geschützten Arten, eine
       Jagd ist nicht zulässig.
       
       Nach jüngster Einschätzung des norwegischen Meeresforschungsinstituts sind
       die Nise zwar in der Nordsee mit mehreren hunderttausend Exemplaren weit
       verbreitet, jährlich ersticken jedoch bis zu 3.000 als Beifang in den
       Netzen norwegischer Fischer*innen. Zuverlässige Zahlen über den Bestand vor
       der nordnorwegischen Küste gibt es nicht – auf dieses Gebiet bezieht sich
       der Antrag des Sami-Parlaments.
       
       Damit fehle es „ganz einfach an wissenschaftlichen Voraussetzungen, die die
       Forderung rechtfertigen könnten“, meint der Marinebiologe Fredrik Myhre
       von der norwegischen Sektion der Umweltorganisation WWF. Es gebe zu wenige
       Erkenntnisse, wie die verschiedenen Arten sich gegenseitig und ihre
       Lebensräume beeinflussen. Das Vorsichtigkeitsprinzip verbiete es, auf so
       unsicherer Basis die Jagd auf eine neue Art zuzulassen.
       
       ## Das vergessene Volk
       
       Aber warum wollen die Sami plötzlich überhaupt Schweinswale und Delfine
       jagen? Zunächst muss man wissen, dass es nicht um den weit überwiegenden
       Teil der Sami geht, die vor allem Rentierzucht betreibt. Es handelt sich
       vielmehr um die Sjøsami, die Küstensami. Das ist eine relativ kleine
       Bevölkerungsgruppe, deren Siedlungsgebiet sich auf rund ein Dutzend Orte an
       der nordnorwegischen Meeres- und Fjordküste beschränkt und die
       hauptsächlich von Fischfang und der Nutztierhaltung lebt.
       
       In Norwegen werden die Sjøsami auch das „vergessene Volk“ genannt. Sie
       waren seit Mitte des 19. Jahrhunderts besonders stark der
       Norwegisierungspolitik ausgesetzt, mit der die Zentralmacht versuchte, die
       samische Sprache und Kultur auszulöschen. Und schließlich legte die Politik
       der „verbrannten Erde“, die die Nazi-Wehrmacht bei ihrem Rückzug aus
       Norwegen am Ende des Zweiten Weltkriegs praktizierte, alle Siedlungen in
       Schutt und Asche und beraubte die Menschen jahrelang ihrer angestammten
       Heimat und Lebensart.
       
       Nach und nach gingen den lange vom Tauschhandel lebenden Küstensami auch
       ihre Existenzgrundlagen verloren: Das Recht auf küstennahen Walfang, den
       sie jahrhundertelang betrieben hatten, wurde ihnen schon Anfang des letzten
       Jahrhunderts genommen. Bei der Verteilung der Fischfangquoten in den 1980er
       und 90er Jahren wurden sie benachteiligt. Und als das norwegische Parlament
       den Rentiersami mit einem Finnmarkgesetz einen Teil ihrer traditionellen
       Rechte verbriefte, gingen die Küstensami leer aus.
       
       Eine junge Generation kämpft nun seit einigen Jahren für die Bewahrung
       ihrer Sprache und Kultur sowie für eine tragfähige wirtschaftliche
       Grundlage, um diese lang anhaltende negative Bevölkerungsentwicklung zu
       stoppen. Dazu gehört eben vor allem die Sicherung von Fisch- und
       Walfangrechten.
       
       ## Norwegen soll seine Minderheiten schützen
       
       Bei ihren Forderungen können sie sich dabei auch auf
       Menschenrechtsinstitutionen wie Norges nasjonale institusjon for
       menneskerettigheter stützen. Diese verlangt unter dem Hinweis auf die
       UN-Antirassismuskonvention, dass Oslo den Küstensami eine „positive
       Sonderbehandlung“ zukommen lässt: Auf der Basis ihrer althergebrachten
       Rechte müssten ihnen erweiterte Fischereirechte als Teil ihrer
       Kulturausübung gesetzlich garantiert und sie müssten bei der Verteilung der
       Fischfangquoten bevorzugt behandelt werden. Auch verschiedene Jurist*innen
       werfen dem norwegischen Staat vor, seine völker- und menschenrechtlichen
       Verpflichtungen zum Schutz von Minderheiten bei den Küstensami zu
       vernachlässigen.
       
       Allerdings fordern die Sami derzeit gar nicht spezielle Rechte für sich
       selbst, sondern allgemein für die küstensamischen Siedlungsgebiete
       unabhängig von der Ethnizität. Deswegen dürfte es ihnen zumindest auf
       absehbare Zeit weniger darum gehen, tatsächlich Schweinswale und Delfine zu
       jagen, als vielmehr ums Prinzip: das grundsätzliche Recht auf Nutzung der
       marinen Ressourcen und eine gerechtere Verteilung der Fangquoten für
       Kabeljau, Hering, Königskrabbe und andere Arten, um die es ständig
       Konflikte gibt.
       
       Man wolle nur die Naturressourcen „ernten“, die man direkt vor der Haustür
       habe, betont Silje Karine Muotka. Und das auf eine verantwortungsvolle
       Weise, wie es der Tradition der Sami entspreche: „Das Tierwohl steht für
       uns immer ganz oben.“
       
       4 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
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