# taz.de -- Kolumne Behelfsetikett: Das echte Leben leben wir selbst
       
       > Drogenclans und Hartz-IV-Elend, bekloppte Neonazis, korrupte Politiker:
       > „Dogs of Berlin“ hat gute Ideen. Aber der schwule Plot ist eine
       > Enttäuschung.
       
 (IMG) Bild: Sexy, aber kein Sex? Fahri Yardim spielt einen schwulen Polizisten in „Dogs of Berlin“
       
       Weil ich ein Serienjunkie bin und weil ich mich als Mitarbeiter der
       Berlin-Seiten der taz dazu bemüßigt fühlte, habe ich mir die Netflix-Serie
       „Dogs of Berlin“ angetan. Die bekam vorab viel Dresche. Zu schlecht und zu
       klischeehaft; kein Vergleich zur vorherigen Berlin-Serie „4 Blocks“ (bei
       Amazon), die sich des gleichen Sujets bediente: Berlin als Kulisse für eine
       Kriminalhandlung, die im Wesentlichen von Mafia, Familienclans, Prekariat,
       Sex und Gewalt und irgendwie besonderen Ermittlern getragen wird.
       
       Aber okay, von Rezensionen sollte sich niemand beeinflussen lassen. Sie
       stammen in der Regel von Journalisten, die Serien in Serie schauen, von
       Berufs wegen, also schneller satt sind von den entweder ewig gleichen oder
       eben von den unerwartet skurrilen Plots. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe
       auch lange Zeit über Serien geschrieben.
       
       Aber „Dogs of Berlin“ ist schon allein deshalb interessant, weil das
       Ermittlerduo so anders ist. Da gibt es den spielsüchtigen und deshalb hoch
       verschuldeten Kommissar, der eine Nazi-Vergangenheit (halt ein Ossi!) mit
       sich herumträgt – und das ist wörtlich zu nehmen. Plakativ oft wird das
       Tattoo „Brotherhood“ auf seinem Rücken eingeblendet. Ermittler Kurt Grimmer
       zieht sich gerne aus, weil er ständig duscht oder Sex hat. Mal mit seiner
       (problematischen) Ehefrau, öfter mit seiner (problematischen) Affäre. So
       weit, so platt.
       
       Felix Kramer spielt diesen Typen arg hölzern und mit nur einem
       Gesichtsausdruck als heteronormatives Arschloch. Das Problem dabei ist,
       dass man den Mann oft kaum verstehen kann, weil er nuschelt. Das soll
       sicher authentisch wirken; in einer Serie aber, wo es auf die (teils
       richtig guten) Dialoge ankommt, ist das kontraproduktiv. Ich hatte
       zwischendurch überlegt, die Serie synchronisiert auf Türkisch zu schauen
       und die deutschen Untertitel einzublenden.
       
       ## Nicht mal eine Umarmung
       
       Grund, die Serie zu sehen, war für mich der zweite Ermittler namens Erol
       Birkan. Der kommt vom Drogendezernat und steigt als „Alibi-Türke“ in die
       Leitung der Soko „Rote Karte“ ein – gezwungenermaßen. Der Mann ist schwul,
       eine schwierige Angelegenheit für die Familie, vor allem für seinen Vater.
       Die Konstellation ist mal etwas Neues.
       
       Der fabelhafte Fahri Yardım hat die Rolle übernommen. Was für ein
       Glücksfall: Yardım kann schauspielern. Und man versteht bei ihm jedes Wort.
       Sexy ist er sowieso. Aber entgegen dem Klischee, Schwule wären sexuell
       aktiv und überhaupt, lässt Kommissar Birkan seine Klamotten immer an. Ja,
       er kommt seltsam steril daher: Während sein Hetero-Kollege poppt, was das
       Zeug hält, wird Erol Birkan nichts gegönnt. Er wohnt mit seinem Mann
       zusammen, den er nicht mal zur Begrüßung umarmt. Das erinnert eher an eine
       WG denn an Liebe oder gar Leidenschaft. Ganz schön erbärmlich und
       langweilig. Der schwule Plot: eine große Enttäuschung.
       
       Das passt auch auf andere Handlungsstränge. Der libanesische Clan ist wie
       die Horde von Neonazis derart klischeehaft dargestellt, dass es mitunter
       lächerliche Züge annimmt. In der Übertreibung liegt halt nicht immer die
       Kraft. Da kann selbst eine Schauspielerin wie Katrin Sass nichts
       ausrichten. Sie gibt die Neonazi-Mutter und ist härter drauf als alle
       braunen Jungs. Doch das wirkt unecht und gestelzt, weil sie in Schablonen
       spricht. Und natürlich hausen die Neonazis in Marzahn. Wäre doch mal schön
       gewesen, sie ganz woanders anzusiedeln. In Reinickendorf zum Beispiel.
       
       Aber na klar, Nazis gehen immer, vor allem im Ausland. Ist die Serie „Dogs
       of Berlin“ doch weltweit zeitgleich gestartet. Mit Nazi-Themen gewinnt man
       Aufmerksamkeit (und manchmal Filmpreise). Und Nazis und Berlin sind ein
       plausibles Duo. Genauso wie Gewalt und Berlin oder Sex und Berlin: Gefühlt
       in jeder zweiten Szene müssen sich Ermittler Kurt Grimmer und seine Affäre
       (gespielt von Anna Maria Mühe – Rollenname Sabine Ludar – also bitte!)
       nackig machen. Ach, vor allem Frauen ziehen blank, überproportional viele
       Brüste sind zu sehen. Sie ergeben dramaturgisch überhaupt keinen Sinn. In
       meinen Friedrichshainer Alltag übertragen, müsste ich quasi täglich Brüste
       auf den Nachbarbalkons sehen …
       
       Apropos Berlin: Die Stadt immerhin spielt ihre Rolle hervorragend. So eine
       tolle Kulisse aber auch und endlich mal andere Locations (der Bierpinsel).
       Man sieht seine Heimatstadt mit ganz anderen Augen. Selbst Marzahns
       Plattenbauten, die seltsam stylisch rüberkommen. Nur Neukölln, wo natürlich
       auch in dieser Serie die Unterwelt zu Hause ist, darf nicht Neukölln
       heißen, sondern wurde in „Kaiserwarte“ umbenannt – hä? Ich hasse solche
       unlogischen Ungereimheiten. Davon gibt es mehrere.
       
       Ich fasse zusammen: Rapper und Drogenclans, Wettmafia und Hartz-IV-Elend,
       bekloppte Neonazis und korrupte Politiker bzw. Fußballmanager, persönliche
       Dramen en masse und La Dolce Vita à la Berlin – garniert mit
       Hunde-Metaphern (wegen des Titels): „Dogs of Berlin“ will – trotz manch
       wirklich genialer Szene – viel zu viel. Das alte Sprichwort, wonach
       „weniger mehr ist“, trifft hier voll und ganz zu. Das ist schade. Aber
       nicht weiter schlimm. Ist ja nur eine Serie, nicht das wahre Leben. Das
       leben wir Berliner ganz von allein. Und die nächste Berlin-Serie kommt
       bestimmt.
       
       30 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Hergeth
       
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