# taz.de -- Aktivistin streitet mit Konzern: Vandana Shiva vs. Bayer-Lobbyist
       
       > Sowas hat es noch nie gegeben: Die Trägerin des alternativen Nobelpreises
       > tritt in Berlin gegen ihren Lieblingsfeind auf.
       
 (IMG) Bild: Beeindruckend und polemisch: Vandana Shiva (Archivbild aus dem Jahr 2017)
       
       Berlin taz | Egal, was man von seiner Funktion als Sprachrohr [1][des
       Bayer-Konzerns] halten mag: Mit Norbert Lemken möchte man an diesem
       Donnerstagabend nicht tauschen. Er ist Teilnehmer eines öffentlichen
       Streitgesprächs im Berliner Babylon Kino zum Thema „Vision für die
       Landwirtschaft 2050“. Der Saal ist voll, draußen an der Fassade steht
       „Vandana Shiva Live“ – das lässt keinen Zweifel daran, wer hier der Star
       ist.
       
       Die charismatische Ökofeministin vertritt eine diametral entgegengesetzte
       Position zu Bayer-Lobbyist Lemken. Die Sympathien sind klar auf ihrer
       Seite, auch die der Veranstalter. Das Ganze hat eine lange Vorgeschichte,
       denn Lieblingsfeind der Trägerin des alternativen Nobelpreises war stets
       der Saatgutkonzern Monsanto, den Bayer dieses Jahr aufkaufte. Shiva steht
       für Ernährungssouveränität und KleinbäuerInnenrechte, Lemken für Dax,
       konventionelle Landwirtschaft und Profitmaximierung.
       
       Die erste Frage lautet, wie sich die Menschheit nachhaltig ernähren kann.
       Shiva versteht es, ihre Position eloquent in Szene zu setzen – und verteilt
       erste Spitzen in Richtung Bayer. Sie erklärt, weshalb der demokratische und
       die Biodiversität schützende Ansatz der von ihr mit initiierten indischen
       Navdanya-Bewegung der einzig richtige ist.
       
       Lemken wirkt – wen wundert's? – nervös und erzählt, dass Freunde ihn für
       verrückt erklärt hätten, hier teilzunehmen. Er wolle aber mit allen
       Beteiligten ins Gespräch kommen, und Bayer habe durchaus ähnliche
       Interessen wie zum Beispiel die Reduktion von Pestiziden.
       
       ## „Sie reden viel, sagen aber nichts“
       
       Als er schon lange geredet hat über Marktnotwendigkeiten, Bauernmangel und
       seine Vorstellung von Freiheit, ruft jemand aus dem Publikum: „Sie reden
       viel, sagen aber nichts“. Dem Moderator entgleitet Lemkens mäandernder
       Redefluss immer wieder. Mehrfach greift das Publikum ein, um seine Monologe
       zu beenden.
       
       Im Gegensatz zu Lemken gelingt es Shiva, ihre Argumente anschaulich,
       prägnant und mit Bezug zu wissenschaftlichen Quellen zu vermitteln. Ihre
       Überzeugungskraft mag auch sprachliche Gründe haben: Während Lemkens
       Englisch nicht ausreicht, um die unglückliche Übersetzung von „Blattläuse“
       in „lice“ (Kopfläuse) zu durchschauen, nutzt Shiva die Situation geschickt,
       um Lemken „lies“, also Lügen vorzuwerfen.
       
       Sie zündet ein rhetorisches Feuerwerk nach dem anderen, wirft Bayer
       Verantwortungslosigkeit vor, spricht von Propaganda und gewollter
       Abhängigkeit. Das Publikum applaudiert vor allem ihr – würde dieser
       Mikrokosmos in Berlin Mitte das Weltgefüge repräsentieren, hätte Bayer es
       vermutlich schwer. Lemken gerät zunehmend in die Defensive, geht auf viele
       Punkte gar nicht ein und scheint zu hoffen, dass es bald vorbei ist.
       
       Am Ende sollen beide noch sagen, was sie gelernt haben. Lemken spricht von
       Verantwortung auch für die vielen Bayer-Angestellten und kommt abermals
       nicht zum Punkt. Immerhin hat der Konzern vor wenigen Stunden erst bekannt
       gegeben, [2][12.000 Stellen zu streichen], vor allem in Deutschland. Shiva
       fordert weniger Konzernprofite und mehr Verantwortung für den Planeten. Man
       fragt sich: Sind das wirklich die Erkenntnisse des heutigen Abends?
       
       ## „Ziemliches Greenwashing-Geschwafel“
       
       „Es war für mich eine der schwersten Veranstaltungen“, sagte Lemken danach
       und fügte hinzu, dass er schon viele öffentliche Termine hatte in seinen 22
       Jahren bei Bayer. „Aber es war mir wichtig, ein Zeichen zu setzen und zu
       zeigen, dass wir uns nicht verstecken, sondern dialogbereit sind.“ Shiva
       sah das etwas anders: „Ich hatte mir von ihm zumindest etwas Inhalt
       erhofft, aber es kam mir doch vor wie ein ziemliches
       Greenwashing-Geschwafel.“
       
       Organisator Bernward Geier meinte, es lägen „Welten“ zwischen den Lagern,
       aber daran könne und müsse man weiter arbeiten. Bayer hätte zwar stets
       Dialogbereitschaft mit der Zivilgesellschaft signalisiert, aber so etwas
       wie heute habe es bisher noch nicht gegeben – in seinen Augen ein Erfolg.
       
       Es stellt sich jedoch die Frage, was das Gespräch gebracht hat. Es wurde
       zwar geredet, aber passiert ist eigentlich nicht viel – ein Dialog ohne
       Dialog. Eine Besucherin resümierte: „Inhaltlich war das langweilig, hätte
       man alles auch im Internet nachlesen können. Aber immerhin war es schön,
       die Gesichter zu den Standpunkten zu haben.“
       
       Womöglich hat Vandana Shivas beeindruckende, aber polemische Art Bayer
       sogar dabei geholfen, eine echte inhaltliche Auseinandersetzung zu
       vermeiden. Der Konzern wird nun weiter behaupten, Demokratie zu befürworten
       und eine „moderne, nachhaltige Landwirtschaft“ zu vertreten. So drückte
       Lemken es aus, bevor er hastig von dannen zog.
       
       30 Nov 2018
       
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