# taz.de -- Aufstieg des Netzwerks Slow Food: Die Globalisierung der Bauern
       
       > Slow Food hat Tausende Bauern, Umweltschützer und Gastronomen nach Turin
       > geladen, um über Nahrung zu diskutieren. Was als Genießerclub begann,
       > wird Bauern-Bewegung.
       
 (IMG) Bild: Gut, sauber und fair? Gerste-Ernte in Brandenburg.
       
       Isaiah Ogundeko ist plötzlich unruhig. Immer wieder blickt er zu der
       kleinen Frau ein paar Reihen hinter sich, die eben das Mikrophon an den
       nächsten Sprecher weitergegeben hat. Seine großen Finger drehen an dem
       Rädchen, das die Sprache in seinem Kopfhörer regelt, Englisch auf Kanal
       zwei, Französisch auf Kanal fünf, doch wieder zwei. Isaiah reißt den
       obersten der eng beschriebenen Zettel von einem handtellergroßen Notizblock
       - es ist sein Vorrat an Visitenkarten, den er im Flugzeug von Nigeria nach
       Italien angefertigt hat - und raunt: "Ich will mit der Frau aus Madagaskar
       über ihren Reisanbau sprechen." Dann schiebt er den Kopfhörer über seine
       Mütze nach unten, teilt die Stuhlreihe hinter sich und huscht, so gut man
       mit gut achtzig Kilo huschen kann, auf den freien Platz neben der
       Madagassin.
       
       Während der Imker Isaiah mit der Reisbäuerin aus Madagaskar Visitenkarten
       tauscht, geht der Workshop "Ressourcen - Wasser und Landwirtschaft" um sie
       herum weiter. Es ist einer von etwa 30 Themenworkshops, die beim
       viertägigen "Welttreffen der Lebensmittelbündnisse" Terra Madre (Mutter
       Erde) im norditalienischen Turin auf dem Programm stehen. Rund hundert
       Leute sitzen an diesem Vormittag in einem der Konferenzräume auf dem
       Messegelände Lingotto im Süden der Stadt, wo bis 1982 Fiat-Autos vom Band
       rollten. Unter der Leitung von Rami Zurayk, der an der amerikanischen
       Universität Beirut Landschaftsgestaltung und Management von Ökosystemen
       lehrt, diskutieren sie über den Umgang mit Wasser in der Landwirtschaft.
       
       Die Probleme sind so unterschiedlich, wie die Länder, aus denen die
       Workshop-Teilnehmer kommen. Eine Ghanaerin klagt, dass viele Kleinbauern
       die Felder inzwischen zwar bewässern könnten, das überschüssige Wasser dann
       aber ins Meer fließe. Rodney aus Südafrika erzählt von Golfclubs, mit denen
       die Bauern um den Zugang zu Flusswasser konkurrieren müssten. Aber die
       Bauern, Umweltaktivisten und Wissenschaftler berichten nicht nur von
       Wasserverschwendung oder -mangel in ihren Heimatländern, sie schildern
       auch, wie sie durch Hecken mehr Feuchtigkeit im Boden speichern oder auf
       terrassierten Feldern trotz wenig Niederschlags Ackerbau betreiben. So wie
       die madagassische Reisbäuerin, mit der Isaiah künftig per Email
       kommunizieren will. "Ich will mich mit Bauern aus der ganzen Welt
       austauschen", sagt der 65-jährige Imker, "deswegen bin ich hier." Er ist
       ein Netzwerker und erkundigt sich für seine Kollegen in Nigeria querbeet
       bei anderen Landwirten nach deren Anbaumethoden.
       
       Zum dritten Mal nach 2004 und 2006 veranstaltet die Non-Profit-Organisation
       Slow Food die Terra Madre, ein weltweites Kleinbauern- und
       Gastronomentreffen. Sechstausend Menschen und mindestens ebenso viele
       "Beobachter" aus 153 Ländern wurden zusammengetrommelt, um in Turin über
       nachhaltige und gentechnikfreie Landwirtschaft, biologische Vielfalt, den
       Direktverkauf von bäuerlichen Erzeugnissen und über "gute, saubere und
       faire" Lebensmittel zu diskutieren.
       
       In den vergangenen Jahren hat Slow Food, immer vom Geschmack eines Produkts
       ausgehend, nach und nach die Rolle der Erzeuger, der Bauern, Fischer und
       Züchter, ins Blickfeld genommen. Industrielle Landwirtschaft und
       Massentierhaltung werden abgelehnt, Kleinbetriebe, die für einen regionalen
       Wirtschaftsraum produzieren, gelten als Idealbild. Deshalb sind die Bauern
       bei Terra Madre auch besonders gern gesehene Teilnehmer und tragen, wie
       Isaiah in seinem lilafarbenen, knöchellangen Gewand, meist landestypische
       Kleidung. Sie werden in Grußworten und Reden gefeiert als die Bewahrer
       traditioneller Anbaumethoden und als Bastion gegen transnationale
       Nahrungsmittelgiganten.
       
       Gilberto López Fuentes aus Mexiko beispielsweise sieht mit Fellweste und
       dem breitkrempigen Strohhut, an dem eine Feder steckt, wie eine Mischung
       aus Cowboy und Indianer aus. Er vertritt den Verein Promotora Purépecha,
       der sich für die indigene Bevölkerung einsetzt und baut nebenbei vier
       verschiedene Sorten Mais an. "Aber ich würde mich nicht als Bauer
       bezeichnen", sagt Gilberto. "Das sind Leute, die stark mit dem Boden
       verbunden sind, auf dem sie leben. So bin ich nicht, ich bin eher
       Produzent."
       
       Gilberto fordert, die Bewässerungstechnik müsse verbessert werden, weil in
       der mexikanischen Landwirtschaft mehr als die Hälfte des Wassers auf dem
       Weg zu den Feldern verloren gehe. "Wir haben Wasser, aber wie müssen besser
       darauf achten," sagt er. "Die Technik dazu haben die großen Unternehmen wie
       Coca-Cola und Pepsi, und die benutzen unser Wasser, um Softdrinks zu
       produzieren."
       
       Mittags stellt Vandana Shiva, die Vizepräsidentin von Slow Food und
       Gründerin des indischen Umweltforschungsinstituts Navdanya, das Manifest
       zum Klimawandel und zur Zukunft der Ernährungssicherheit vor. Eine
       Viertelstunde vor Beginn der Veranstaltung ist kein Stuhl mehr frei und als
       es schließlich losgeht, kauern die Menschen wie in den ersten
       Uni-Vorlesungswochen auf dem Boden, um die mit dem Alternativen Nobelpreis
       geehrte Umweltschützerin und Frauenrechtlerin sprechen zu hören.
       
       In zehn Minuten rechnet die Physikerin und ökologische Galionsfigur von
       Slow Food mit der gesamten technisierten Landwirtschaft ab: "Wir haben
       dieses Manifest geschrieben, weil die industrielle Landwirtschaft ein
       Drittel zum weltweiten CO2-Ausstoß beiträgt. Weil wir endlich wegkommen
       müssen von diesem industriellen Paradigma, weg von falschen Analysen und
       falschen Lösungen wie Gentechnik und Pestiziden. Nur die ökologische
       Landwirtschaft in Kleinbetrieben wird im Klimawandel bestehen." Vandana
       Shiva klagt die großen Saatgut-Unternehmen der Biopiraterie an, verdammt
       die "grüne Revolution" wie den weltweiten Handel als Irrweg und Klimakiller
       und lässt auch sonst kaum ein globalisierungskritisches Thema aus.
       
       Gilberto Fuentes steht jetzt der Messehalle und hat mexikanische Souvenirs
       ausgepackt. Vor ihm auf einer Decke liegen Umhängetaschen mit Rautemuster
       und geflochtene Stirnbänder in Neonfarben. Nebenan verkauft ein Mann
       Gewürze und Teppiche aus Usbekistan, ein anderer geräucherten Fisch und
       Süßkartoffeln aus Burundi. Während in einem abgetrennten Teil der Halle an
       Messeständen traditionelle Lebensmittel wie rumänischer Schafskäse oder
       provenzalischer Dinkel präsentiert werden, die Slow Food als schützenswerte
       "Förderkreisprodukte" bei der Vermarktung unterstützt, hatten viele
       Teilnehmer die Koffer mit Waren aus ihren Ländern vollgepackt und haben nun
       auf dem Boden, auf Tischen oder Stühlen ihren eigenen Markt eingerichtet.
       
       Katharina Hanz lehnt an einem Stehtisch im Café, das auf einer Empore über
       dem Markt eingerichtet ist. Freiwillige geben hier den von Lavazza
       gesponserten Espresso in umweltfreundlichen Pappbechern aus, bedruckt mit
       dem fröhlichen Schneckenlogo von Slow Food. Es gibt Kekse, Äpfel und Birnen
       sowie Minzetee gratis. Die 26-jährige Österreicherin hat in den vergangenen
       Tagen immer wieder das Slow Food- Mantra gehört, Lebensmittel sollten "gut,
       sauber und fair" sein. "Aber was soll das genau heißen?" fragt sie.
       Katharina gehört zu den rund eintausend Studenten aus der ganzen Welt, die
       Slow Food nach Turin eingeladen hat, um junge Leute für gute Lebensmittel
       und Landwirtschaft zu begeistern, Unterkunft im Olympiadorf Bardonecchia
       und Messe-Mensa inklusive.
       
       Katharina studiert Agrarwissenschaft in Wien, kommt aus der Ökoszene, wie
       sie sagt, und in Bezug auf ökologischen Landbau und biologische
       Lebensmittel macht ihr so schnell keiner was vor. Im Frühjahr ist sie aus
       Brasilien zurückgekommen, wo sie in der landwirtschaftlichen
       Entwicklungszusammenarbeit geholfen hat; eine Freiwillige bei den Willing
       Workers on Organic Farms war sie auch schon. Katharina sucht nach konkreten
       Argumenten für ihre Skepsis gegenüber Slow Food. Ein bisschen elitär kommt
       ihr der Verein vor, und geärgert hat sie, dass auf einer Veranstaltung
       gesagt wurde, man wolle nicht nur Biostandards erfüllen, sondern noch mehr
       als das. "Was soll denn das bitte noch sein?" fragt sie.
       
       Dem Vorwurf des Elitismus ist Slow Food seit seiner Gründung ausgesetzt,
       weil es am Ende der Produktionskette ansetzt, vom Geschmack und Genuss
       eines Lebensmittels ausgeht - und nicht von seinem Anfang in der
       Landwirtschaft. Das ist einigen, die lange vor den Italienern ökologischen
       Landbau und gesunde Lebensmittel für sich entdeckt haben, ebenso suspekt
       wie der Personenkult um Gründer Carlo Petrini.
       
       Isaiah Ogundeko und Gilberto Fuentes dagegen sind zufrieden mit dem
       Ergebnis des Wasser-Workshops. Isaiah hat seine karierten Notizzettel gegen
       weitere Visitenkarten aus Australien, den USA und Südamerika getauscht. Und
       Gilberto hat am Ende des Workshops spontan das Netzwerk "Slow Water"
       mitgegründet. Die Produzenten sollen sich in Zukunft online über ihre
       landwirtschaftliche Techniken zum Wassersparen austauschen können,
       gleichzeitig soll das Netzwerk zu einer Lobbyismus-Plattform für die
       Ressource Wasser werden. Die Globalisierung in der Nahrungsmittelproduktion
       hat viele Bauern längst erreicht, bei Terra Madre wollen sie das nun nach
       ihren Vorstellungen nutzen.
       
       12 Jan 2009
       
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 (DIR) Schwerpunkt Bayer AG
       
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