# taz.de -- Neues Album von Soap & Skin: Wir irren des Nachts umher
       
       > Die Wiener Künstlerin Soap & Skin veröffentlicht ihr drittes Album.
       > Wieder ist es eines, das Soundtrack zu sein scheint für
       > Lebenserfahrungen.
       
 (IMG) Bild: Orchestral, aber nicht adultoriented: Soap & Skin alias Anja Plaschg
       
       Dass es Wasser ist, was sie umgibt, können Fische nicht wissen. Mit diesen
       Worten begann US-Schriftsteller David Foster Wallace 2005 seine berühmt
       gewordene Rede an den Abschlussjahrgang eines Kunst-Colleges. „This is
       Water“ heißt sie, und sie handelt davon, dass die banalsten Realitäten
       gewöhnlich am schwersten zu erkennen sind.
       
       Etwa jene, die besagt, dass uns die quasi standardmäßig eingestellten
       Perspektiven auf die Welt, auf die Menschen, die uns umgeben und die Ziele,
       die wir uns stecken, auffressen. Wahre Freiheit, sagt Wallace, liege darin,
       sich für die Unsexyness der Empathie und Aufmerksamkeit gegenüber den
       anderen zu entscheiden. „Das hier ist Wasser, das hier ist Wasser“, sich
       daran zu erinnern, gibt der Autor den Studierenden mit auf ihren Weg ins
       Erwachsenwerden, ein Mantra gegen die Achtlosigkeit.
       
       Dass Wallace im deutschsprachigen Raum eine ganz andere Generation
       beeinflusst hat als in seiner Muttersprache, mag paradox erscheinen. Aber
       es hat damit zu tun: 2008, in seinem Todesjahr, war Wallace’ zwölf Jahre
       zuvor im Original veröffentlichter, genresprengender Roman „Unendlicher
       Spaß“ noch nicht mal ins Deutsche übertragen.
       
       ## Der Welt zugewandt
       
       So wurde also ein Autor der US-Generation X hierzulande verspätet zum Autor
       der Generation Y, der Millennials. Ergo ist es auch kein Zufall, dass eine
       Popkünstlerin wie die Österreicherin Anja Plaschg, Jahrgang 1990, ihn als
       großen Einfluss nennt. „(This Is) Water“ ist die direkteste Referenz, ein
       kurzer Track auf ihrem neuen Album als Soap & Skin, „From Gas to Solid /
       You Are My Friend“, aber noch viel mehr ist es die Zugewandtheit gegenüber
       der Welt, die die Musik von Soap & Skin mit der Rede von David Foster
       Wallace verbindet. Gas, Flüssigkeit, Feststoff, vom Vulkanischen und vom
       Verwesen erzählen die Bilder, das Cover, die Videos, vom Mensch in den
       Elementen, die in ihrer Rohheit doch vor allem eines sind: wunderschön.
       
       Es ist das dritte Album von Soap & Skin und sie veröffentlicht es fast ein
       Jahrzehnt nach ihrem Debüt und ganze sechseinhalb Jahre nach dem seinerzeit
       als Mini-Album deklarierten „Narrow“. Wieder ist es eines, das Soundtrack
       zu sein scheint für Lebenserfahrungen. Mit Plaschg, die schon als
       18-Jährige ihr Debüt veröffentlichte, wird eine ganze Generation erwachsen:
       Der ziellose, aber intensive Sturm und Drang der Adoleszenz, Depressionen
       und Ausbrüche prägten damals „Lovetune for Vacuum“, aber so ins
       Artifizielle gebrochen, dass sie jedem Kitsch aus dem Weg gehen konnte.
       
       Über „Narrow“ stand das Trauma vom Verlust ihres Vaters, in ungeschliffenen
       Zeilen sang sie sich in seinen Sarg. Vielleicht ist es wirklich die Geburt
       und das Heranwachsen ihres ersten Kindes, das die Produktion des neuen
       Albums nun anstieß. „I have no fear“, singt ihre fünfjährige Tochter über
       Blechbläser, die gerade zögerlich entdeckt haben, dass sie auch
       Triumphmarsch können, in der Vorabsingle „Heal“, eine große,
       expressionistische Soundcollage. Es ist ausgestellt künstlerisch, wie
       Plaschg am Computer den analogen Orchestersound nachbaut, aber emotional
       wirkmächtig.
       
       ## Neue Klangsprache
       
       Es ist nicht so, dass sie auf ihrem neuen Album mit einer neuen
       Klangsprache arbeiten würde: Plaschgs Mittel sind weitgehend seit Mitte
       des letzten Jahrzehnts bekannt und auserzählt. Da ist der klassische
       Slowcore der Jahrtausendwende, den Soap & Skin mit ähnlich erhabener
       Langsamkeit abruft wie die US-Band Low. Da ist der dramatisch perlende,
       dunkel springende Elektropop ihrer Anfangstage.
       
       Da ist der Breitwandsound, den die isländische Band Sigur Rós einst
       begründetet. Manches bei Soap & Skin ist klassisches Kunstlied, etwa, wenn
       sie schwere Klavierakkorde zu ins Englische übertragenen Zeilen von
       Ingeborg Bachmann setzt. „Erklär mir, Liebe“, heißt das Gedicht, und
       Plaschgs Lied, bezeichnend: „Creep“. In „Palindrome“ singt ein Tenor ein
       lateinisches Palindrom: „In girum imus nocte et consumimur igni“ – wir
       irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verzehrt.
       
       Es ist nicht auf einmal die Sonne, die hereinscheint in die Klangwelten von
       Soap & Skin. Aber die Drohung des Todes, die Angst ist abgemildert, weil
       ihr Blick sich von der Wallace’schen Standardeinstellung abgewendet hat, in
       der das Selbst das einzige Zentrum des Universums, in der Leben nur
       narzisstische Kränkung ist. So gesehen ist „From Gas to Solid“ fast
       liebreizendes, aber dennoch dunkles Bekenntnis zum Leben, ein Axtschlag, zu
       enden die Jugend ihrer Generation. Die Generation Y gibt an die Generation
       Z ab, das wäre der Subtext des Covers, das das Album beschließt: „What a
       Wonderful World“, im Original von Louis Armstrong, einer der ikonischsten
       Pop-Songs überhaupt, kaum noch unironisch zu interpretieren.
       
       ## She did it her way
       
       Soap & Skin macht genau das. Vielleicht vollzieht Plaschg hier einen
       Spielzug nach, der aus einer anderen Ecke der Musikgeschichte bekannt ist.
       Punk war schließlich nicht zu Ende, als Ulf Poschardt eine Ansage gemacht
       hat. Nein, es war in dem Moment, als in Sid Vicious’ Interpretation von „My
       Way“ 1978 der unbedingte Wille zur Zerstörung durch den tiefen, ehrlichen
       Respekt ersetzt wurde, den er dem Song und seinem Sänger Frank Sinatra
       entgegenbrachte, der noch durch jede zerschundene Silbe dringt.
       
       Da gibt es vor und neben und nach uns Menschen, sagt sein „My Way“. Und
       brach damit seine Standardeinstellung auf, soweit ihm das möglich war,
       vielleicht – nicht, dass es ihn gehindert hätte, zum Mörder zu werden.
       Plaschg wurde das, soweit bekannt, eben nicht. Was ihr Song „Wonderful
       World“ begeht, in seiner ganzen Ernsthaftigkeit, in seiner Harmonie, vor
       allem in dem, was das Lied dann am Ende tatsächlich aussagt, ist jedoch
       etwas ganz Ähnliches.
       
       Es verknüpft die Sängerin und ihre rätselhafte Musik mit dem großen Strom
       der Menschheit. Von seiner Weigerung zu versiegen erzählt dieses Album.
       
       29 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Greiner
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wien
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
       
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