# taz.de -- Elektro-Musikerin Soap&Skin: Österreichs Next Wunderkind
       
       > Majestätisch altersweiser Teenagerpathos: Die 17-jährige Musikerin
       > Soap&Skin macht mit ihren schwermütigen Klavier-plus-Elektronik-Songs
       > Furore.
       
 (IMG) Bild: Ins melancholische Bild der Künstlerin verliebt: Soap & Skin
       
       Anja Plaschg alias Soap & Skin kauert vor einem riesigen Flügel. Sie sagt
       nur sehr wenige Sätze zum Publikum und diese mit halb erstorbener
       Flüsterstimme. "Ich glaube, ich brauche ein Wasser", und "Soll ich
       aufhören? Ich hoffe, ich quäle euch nicht." Die Gäste dieser öffentlichen
       Studiosession des österreichischen Jugendradios FM4 verharren indes in
       erstarrter Ehrfurcht im kirchenähnlichen Ambiente des holzgetäfelten Saals,
       ängstlich darauf bedacht, die junge Künstlerin mit dem wild verwuschelten
       schwarzen Haar durch kein zu lautes Atmen aus der Fassung zu bringen.
       
       Soap & Skin ist mit ihren tieftraurigen Liedern aus Klavier, Stimme und
       delikater Elektronik ein so perfektes Medienphänomen, dass es beinahe weh
       tut, dieser Logik zu folgen und über sie zu schreiben. Gerade mal 17 Jahre
       alt und mit erst einem regulär veröffentlichten Track auf dem Berliner
       Elektroniklabel Shitkatapult, hatte sich die österreichische Presse bereits
       nach den ersten Lebenszeichen auf das neue Enfant prodige gestürzt. Bei
       einem Auftritt im Wiener Museum für Angewandte Kunst im Sommer vergangenen
       Jahres gab sich die komplette lokale Szene ein Stelldichein - das Alter des
       Publikums war dabei im Durchschnitt mindestens doppelt so hoch wie das der
       Musikerin. "Dieses Konzert war medial so aufgeblasen, das war furchtbar für
       mich", erinnert sich Plaschg. "Ich war mit meiner Leistung unzufrieden und
       hatte überhaupt keine Stimmkraft. Ich konnte diese Masse an Menschen nicht
       fassen und nicht glauben, dass die wirklich kommen, um mich zu hören, was
       auch ganz sicher nicht so war. Ich war eine Attraktion, vor allem durch
       mein Alter."
       
       Die 1990 geborene Künstlerin reflektiert ihr Medienimage ganz realistisch,
       kann aber all das, was sie zu einem unheimlichen Hype prädestiniert, nicht
       recht auf Begriffe bringen - wie es auch aus der abgeklärtesten
       Kritikposition unmöglich scheint. Auf der Bühne herrscht Anja Plaschg trotz
       ihrer kleinen Gestalt in den extravaganten dunklen Kleidern mit Absolutheit
       über das Publikum, sobald sie zum ersten Mal den Mund öffnet und ihre
       abgründigen Songs haucht und schreit. Trotz ihrer Jugend ist sie stilsicher
       und pfeift auf Schönheit und Glätte, wenn sie heult wie ein Hund, aus dem
       Stand brüllt oder ihre Wörter zerkaut wie Cat Power und Scout Niblett,
       denen live eine ähnlich porzellanene Anbetung entgegengebracht wird.
       Zwischen den Liedern sind sie und das Publikum so totenstill, dass ihr
       Atmen ins Mikro das einzig vernehmbare Geräusch ist.
       
       Man merkt den wohlig schaudernden ZuhörerInnen mit den respektvoll
       aufgestellten Nackenhärchen an, dass sie sich an diesem ausgestellten
       Leiden weiden und ihm stundenlang zuhören möchten. Dabei ist es fast
       unerträglich mit anzusehen, wie sehr sich diese junge Frau ihrer eigenen
       Vorstellung von Kunst und Seelenöffnung aussetzt.
       
       Sie sieht nicht so aus, als würde ihr das leichtfallen. Oder es ihr dabei
       gut gehen. Sie wirkt so ultraverletzlich, als sei sie gläsern, und doch
       bleibt alles musikimmanent. Außerhalb der Töne gibt es keinen Einblick, und
       nach dem Konzert verschwindet sie wortlos, statt sich brav wie die andere
       Band des Abends zum Interview einzufinden. Sie ist die verletzte Diva, und
       das mit gerade einmal 17 Jahren.
       
       Soap & Skins kurze Biografie ist so ungewöhnlich wie passend. Aufgewachsen
       in einem kleinen steirischen Dorf namens Gnas, in dem die Eltern eine
       riesige Schweinefarm betreiben - das hysterische Gebrüll der Schweine,
       sobald ein Wesen in den Stall eindringt, hat sie für ein Lied gesampelt -,
       fängt sie mit sechs mit Ballett- und ein Jahr später mit Klavierunterricht
       an. Zuerst ist die zwei Jahre ältere Schwester die deutlich Begabtere, mit
       13 will Anja aufhören, "typisch pubertär", wie sie heute als 17-Jährige
       sagt, und man wundert sich genauso wenig wie wenn das erwachsene Kind in
       seinen Liedern Zeilen singt wie "When I was a child". Doch ihr Vater bittet
       sie, noch ein Jahr auszuhalten, und in diesem Jahr kommt die Wende.
       
       Sie übt bis zu zwölf Stunden am Tag, lernt Geige und spielt mit dem
       Musikprogramm herum, das ihr der älteste Bruder auf dem Computer
       installiert hat. Ein Pianist wird aus Graz in die Gnaser Musikschule
       bestellt, weil die örtliche Lehrerin sagt, Anja sei zu gut jetzt. Als sie
       14 ist, wird ihre erste Komposition für Klavier und zwei Geigen in der
       Musikschule aufgeführt, und sie erinnert sich so verlegen wie souverän
       kichernd, wie peinlich und kitschig das gewesen sei.
       
       Auf dem Dorf ist sie die rebellische Andere, die mit 13 als gammliger Punk
       Unverständnis provoziert, und wieder sind diese kaum vergangenen Jahre in
       ihrer Darstellung weit weg, lächelnd historisiert. Sie besucht in Graz ein
       Oberstufengymnasium für Grafik, weil sie ständig malt und Videos macht und
       sich bereits als bildende Künstlerin sieht. Auf der Schule läuft es in
       allen Fächern außer den künstlerischen schlecht, die Unterbringung in einem
       Vierbettzimmer im Internat ist für die selbsterklärte Einzelgängerin so
       beklemmend, dass sie einen Nervenzusammenbruch erleidet und einige Wochen
       im Krankenhaus verbringen muss.
       
       Kurz darauf besteht sie als 16-Jährige die Aufnahmeprüfung an der Wiener
       Akademie der Bildenden Künste und kommt, auf dessen Wunsch, in die
       Meisterklasse von Daniel Richter. Der unterstützt ihre musikalischen
       Ambitionen, sieht es ihr nach, wenn sie nicht in die Uni kommen kann, weil
       sie wieder tagelang rauschhaft an einem Song komponiert, und hat einen
       ihrer Tracks sogar schon an DJ Koze zum remixen weitergereicht. Anjas
       Myspace-Seite - Veröffentlichungen gibt es ja bis auf "Mr. Gaunt PT 1000"
       auf der Shitkatapult-EP noch keine, das erste Album soll im Herbst kommen -
       zählt bisher fast 100.000 Hits und quillt über vor Liebesbekundungen von
       Fans.
       
       Unlängst auf einem Trip nach New York hat sich ein renommierter
       Rechtsanwalt und Musikförderer mit ihr getroffen, der sich um ihre Karriere
       kümmern möchte, verschiedene Majorlabels schickten Vertreter zu ihren
       Konzerten, und in einem Plattenladen im hippen Williamsburg schoss der
       Verkäufer auf sie zu und sagte: "Du bist Soap & Skin, oder?"
       
       Die Faszination für das "Wunderkind" speist sich dabei aus so vielen
       Kanälen, dass man beunruhigt ist, was alles auf sie hereinbrechen wird. Da
       ist die Musik, die sphärisch zart wie Sigúr Rós mit Rachmaninowschem
       Pianogeflatter oder brüllend verzweifelt wie Xiu Xiu oder Cat Power klingen
       mag, und die Texte sind so todessehnsüchtig, wie sie nur ein Teenager kann,
       und trotzdem majestätisch altersweise. Die Vehemenz der Ausdrucksweise
       schockiert mitunter mit ihrem sperrigen Englisch, doch der Song, dessen
       Wortwahl am ehesten wie eine Gothic-Teenager-Fantasie klingt, "Janitor of
       Lunacy", ist im Original von Nico - Soap & Skins großem Vorbild.
       
       Ein nicht geringer Bestandteil der Anziehungskraft aber liegt, wie könnte
       es anders sein, in der Gestalt, der Person Anja Plaschg selbst, und da
       fängt man an, sich wirklich Sorgen zu machen. Sie hat etwas Vampirhaftes
       mit ihren leicht fiebrig wirkenden Augen, die wie Kohle in dem weißen
       Gesicht brennen, mit den vollen, durstig aufgesprungenen Lippen und ihren
       ungewöhnlichen, geschmackvollen Kleidern. Am liebsten möchte man sie im 19.
       Jahrhundert platzieren, und zwar nicht im braven Biedermeier, sondern an
       der Seite von Lord Byron als verloren gegangenes weibliches Gegenstück des
       "Byronic Hero" - moody, passionate, rebellious and mean - oder doch eher im
       Kreise der durch die Gesellschaft eingeengten Brontë Sisters, als
       gebeutelte Catherine aus "Wuthering Heights".
       
       Jene Catherine war es auch, die von einem anderen Wundermädchen als
       Inkarnation für ihren ersten öffentlichen Auftritt gewählt wurde, von der
       mit 16 Jahren vom Pink-Floyd-Gitarristen David Gilmour "entdeckten" Kate
       Bush. Die britische Musikologin Sheila Whiteley charakterisiert in ihrem
       Buch "Too Much Too Young" den Erfolg von Sängerinnen wie Bush, Björk und
       Tori Amos als Reaktion auf deren Image als "Little Girls" und hinterfragt
       die Zuschreibungen von Kindlichkeit, die ihnen aufgrund ihrer stimmlichen
       Bandbreite zwischen Brüllen, Hauchen und Kieksen als infantiles und damit
       inhärent weibliches Merkmal zugeschoben würden. Des Weiteren spricht sie
       vom "fragwürdigen Vergnügen" des Publikums an der Jugendlichkeit von
       (besonders) weiblichen Performers, da dieses immer ein Wissen um Reife
       impliziere, das dem Wissensstand der Ausführenden, trotz aller aufgeführter
       Abgeklärtheit, stets hegemonial voraus sei. Auch Soap & Skin hat schon
       besorgt geäußert, sie hoffe nicht, dass ihre Musik uninteressant sei,
       sobald sie einmal das Alter von zwanzig erreicht habe.
       
       Mit Unbehagen erinnert man sich an den Fall der Südtiroler Autorin Bettina
       Galvagni, die 1997 als 21-Jährige beim Wettlesen in Klagenfurt den
       Ernst-Willner-Preis gewann. Mit ihrem humanistisch gebildeten
       Pubertätsroman "Melancholia", den sie mit 17 geschrieben hatte, wurde sie
       als Sensation auf Händen durchs Feuilleton getragen, nur um dann mit dem
       Nachfolger "Persona" (2003) peinlich berührte oder gleich gar keine Blicke
       zu ernten. Verständlich, dass die ernste Anja Plaschg, die sich mit ihren
       sympathischen, kurzen Auflachern die einzige dezente Teenagerhaftigkeit
       erlaubt, da Bammel vor dem Reißwolf hat. Aber auch wenn sie, wie so viele
       schwermütige Jugendliche, in das zutiefst melancholische Bild der
       Künstlerin verliebt ist - sie ist schon eine.
       
       So viel Pathos muss sein.
       
       30 Jan 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sonja Eismann
       
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 (DIR) Wien
       
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