# taz.de -- Berliner Schallplatte: „Fallen Trees“: Alte Bäume, vergangene Zeit
       
       > Klagend, aber irgendwie tröstlich: Dachte Lubomyr Melnyk beim Einspielen
       > seines neuen Albums „Fallen Trees“ an die Herbststürme im Tierpark?
       
 (IMG) Bild: Stehende Bäume, gefallene Bäume, Lubomyr Melnyk spielt dazu Klavier
       
       Er war zuletzt nicht mehr sonderlich gesund gewesen. Achtzig, vielleicht
       neunzig Jahre hatte er da schon gelebt. Hielt sich mit Mühe aufrecht. Aber
       er stand fest an seinem Platz, harrte aus, als sei er unbeeindruckt von
       dem, was um ihn herum vor sich ging.
       
       Birken werden nicht so alt, hatte es geheißen. Und bei diesem Baum hatte
       man seit einer ganzen Weile nicht einmal mehr den Stamm sehen können, bis
       in die Krone hinauf hatte sich der Efeu mit einem dichten Panzer um ihn
       gelegt. Im Herbst sah das nach einem finsteren Gebüsch aus, das senkrecht
       in die Höhe wuchs. Schön war etwas anderes.
       
       Früher war er eine stolze Birke gewesen. Im Sommer hatte das Weiß der Rinde
       im Sonnenlicht geflimmert, sich wie eine weiße Leinwand mit breiten
       schwarzen Strichen vom Blau des Himmels abgesetzt. Seine Blüten, die
       „Kätzchen“ heißen, lange, fast wurmartige Dinger, zerkrümelten und
       streuten immer in alle Richtungen, legten sich mit ihren flachen Plättchen,
       die herabfielen, auf alles und alle in der Nähe.
       
       An einem Donnerstag ist er dann gefällt worden. Männer waren gekommen,
       einer von ihnen stieg an einem Seil bis zur Spitze hinauf, 20 Meter hoch.
       Stück für Stück trugen sie ihn ab, den Efeu, die Äste und schließlich den
       auf seine letzten Meter erstaunlich dürr wirkenden Stamm, bis am Ende nur
       noch der wunde Stumpf knapp aus dem Erdboden ragte. Der Mann, der oben im
       Baum gesessen hatte, soll hinterher gemeint haben, die oberen beiden
       Drittel seien schon sehr morsch gewesen. Er war froh, heil wieder
       heruntergekommen zu sein.
       
       Als mich die Nachricht vom Ende des Baums erreichte mit den Bildern, wie er
       nach und nach verschwand, kam bald auch die Erinnerung an diese Platte. Ein
       „Requiem For a Fallen Tree“ ist da drauf, mit den unbeirrbar fließenden
       gebrochenen Akkorden des Klaviers von [1][Lubomyr Melnyk], klagend, aber
       irgendwie tröstlich.
       
       Ob der Komponist, der das Album „[2][Fallen Trees]“ in Berlin einspielte,
       an die vielen von den Herbststürmen umgewehten Bäume im Tierpark gedacht
       hatte? Und war sein Requiem für einen ganz bestimmten Baum gedacht, den er
       lange Zeit gekannt hatte, bevor dieser fiel? Oder dachte er gar an den
       Baum, der umgehauen worden war, um das Klavier zu bauen, an dem er saß, als
       er all das komponierte?
       
       Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       28 Nov 2018
       
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