# taz.de -- Nach Unfall im Hambacher Forst: Es hat sich noch nicht ausgeschmäht
       
       > Haben AktivistInnen im Hambacher Forst einen Toten verhöhnt? Der
       > NRW-Innenminister bleibt bei der Behauptung – trotz vieler Fragezeichen.
       
 (IMG) Bild: NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Tag des Absturzes im September
       
       Düsseldorf taz | Das Hin und Her hat noch kein Ende gefunden: Haben die
       AktivistInnen im Hambacher Forst den Nachwuchsfilmer Steffen Meyn nach
       [1][dessen tödlichem Absturz] mit Schmähgesängen verhöhnt? Dies hatte
       NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im Landtag behauptet. Später nahm er
       es zurück. Jetzt legt er wieder nach.
       
       Der Vorfall, auf den Reul sich bezieht, ereignete sich am 19. September.
       Während [2][des Polizei-Einsatzes] zur [3][Räumung der Baumhäuser] stürzte
       Meyn aus etwa 15 Metern Höhe. Er hatte sich im Baumhausdorf „Beechtown“
       aufgehalten: Die Planke einer Brücke brach unter ihm weg, Meyn fiel und
       verstarb noch im Wald.
       
       Die BesetzerInnen zeigten sich betroffen: In Aufnahmen des Absturzes, die
       der taz vorliegen, hört man ihre Entsetzensschreie und Rufe: „Holt einen
       Arzt“. An den Tagen nach dem Absturz seilten sich Baumhaus-BesetzerInnen
       ab, um an Trauerfeiern für Meyn, den sie „unseren Freund“ nannten,
       teilzunehmen. Das, obwohl die Polizei vor Ort war und die BesetzerInnen am
       Boden zum Teil festsetzte und Klettergurte konfiszierte.
       
       All das war durch Medienberichte öffentlich bekannt, als Reul am 28.
       September im Landtag behauptete, die AktivistInnen hätten Meyn nach dem
       Absturz verhöhnt. Kurz nach dem Unglück hätten sie in einem Baumhaus über
       der Unfallstelle skandiert: „Scheiß drauf, Räumung ist nur einmal im Jahr!“
       
       ## Missverständnis oder nicht?
       
       Nach dem Medien die Darstellung in Frage stellten, teilte ein
       Ministeriumssprecher mit, es handle sich „offenbar um ein Missverständnis“.
       Reul sei „spontan von seinem Sprechzettel abgewichen“. Erst ein Fehler,
       dann die Berichtigung – alles aufgeklärt, so schien es. Nun hat Reul seine
       Berichtigung teilweise zurückgenommen.
       
       Auf eine Anfrage der SPD-Fraktion im Landtag antwortet der
       NRW-Innenminister mit Bezug aus einem Einsatzbericht der Polizei. Zwei
       anonyme Beamte geben an, dass AktivistInnen sehr wohl mit Schmähgesang auf
       den Absturz reagiert hätten – etwa eine halbe Stunde nach dem Unfall, in
       einem anderen Baumhausdorf namens „Cozytown“. Das liegt außer Sichtweite
       etwa 150 Meter von der Absturzstelle entfernt.
       
       Reul zitiert, die BeamtInnen hätten ein „dumpfes Geräusch“ gehört – das sei
       der Aufprall gewesen – gefolgt von „Schreien und Rufen“.
       
       ## PolizistInnen „fassungslos“
       
       Etwa 25 Minuten nach dem Unfall hätten die AktivistInnen in Cozytown dann
       Schmähgesang skandiert und mehrfach wiederholt. Im Bericht heißt es: „Wir
       waren fassungslos und wütend, dass die Personen im Baumhaus in Anbetracht
       dieser Situation den Abgestürzten und die Retter derart verhöhnten. Auf
       unsere Ansprache an die Personen, dass ihr Verhalten unfassbar sei,
       reagierten die Personen nicht.“
       
       Ob die BeamtInnen den Aufprall vom Nachbardorf aus wirklich gehört haben
       können, ist aufgrund von Umständen und Distanz fragwürdig. Die
       Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler (Linke) war als parlamentarische
       Beobachterin vor Ort. „Ich habe den Aufprall nicht gehört. Das war
       unmöglich, über die Distanz. Wir konnten uns ja über wenige Meter hinweg
       nur brüllend verständigen.“
       
       Polizeiliche Maßnahmen hatten in dem Baumhausdorf Lärm verursacht. Der
       Journalist Theo Heyen war zum Zeitpunkt des Absturzes zwischen Beechtown
       und Cozytown unterwegs. Er sagt: „Zwischen den beiden Besetzungen stand
       schweres Gerät, Räumfahrzeuge und Polizeiwagen, zum Teil liefen Motoren.
       Räumungsmaßnahmen fanden an mehreren Orten statt, es war laut. Dass die
       BeamtInnen den Aufprall über diesen Lärm hinweg in einer anderen Besetzung
       gehört haben, ist kaum vorstellbar.“
       
       ## Polizist widerspricht KollegInnen
       
       Fraglich ist auch, ob sich der Schmähgesang auf den Absturz bezog. Ein
       anderer Beamter, der zur selben Zeit am selben Baumhaus im Einsatz war,
       stellt das Geschehen nahezu gegenteilig zu seinen KollegInnen aus dem
       Einsatzbericht dar.
       
       Er sagte dem Spiegel: „Im Baumhaus über uns waren gut 15 Aktivisten, sie
       fragten, ob sie an diesem Tag noch geräumt werden. Wir antworteten ihnen
       nicht, also sangen sie: 'Scheiß drauf, Räumung ist nur einmal im Jahr!’ Das
       bezog sich auf ihre Situation, keinesfalls auf den abgestürzten
       Journalisten, sie wollten ihn nicht verhöhnen. Wir haben sie wegen des
       Gesangs auch nicht zur Rede gestellt, wir haben nicht darauf reagiert.“
       
       ## Alles im Internet
       
       Der Spiegel-Artikel ist seit dem 12. Oktober online zu finden. Der Minister
       hätte sich widersprechende ZeugInnenaussagen folglich in seiner Antwort an
       die SPD-Fraktion aufgreifen können. Doch Reul erwähnt sie nicht.
       
       Allein auf Grundlage des Einsatzberichts relativiert Reul seine zuvor
       erfolgte Berichtigung. Seine ursprüngliche Äußerung, der Schmähgesang sei
       vom Baumhaus direkt über der Absturzstelle gekommen, „entsprach nicht exakt
       den örtlichen Begebenheiten“. Das schmälere aber die „Ungeheuerlichkeit des
       von den Beamten glaubhaft gemachten Gesangs der Baumhausbewohner nicht
       wesentlich“.
       
       Warum Reul davon abweichende Informationen nicht erwähnt? Auf eine
       diesbezügliche Anfrage der taz, gestellt am Donnerstag vergangener Woche,
       hat das NRW-Innenministerium bis Montag Nachmittag nicht geantwortet.
       
       12 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anett Selle
       
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