# taz.de -- Debatte Reden mit Rechten: Ich möchte lieber nicht!
       
       > Die freundliche, aber bestimmte Weigerung, mit der Neuen Rechten in
       > Dialog zu treten, kann auch bewusstes Ergebnis eines Denkprozesses sein.
       
 (IMG) Bild: Mit Rechten reden aus einem schiefen Toleranzbegriff heraus?
       
       Herman Melvilles [1][Romanfigur Bartleby] begann eines Tages, alle an ihn
       gerichteten Aufforderungen mit dem freundlichen, aber bestimmten Satz „I’d
       prefer not to“ (Ich möchte lieber nicht) zu beantworten. Als Antwort auf
       die Frage, ob man mit Rechten öffentlich diskutieren muss, sorgte die
       bewusste Weigerung in den vergangenen Monaten wiederholt für Aufregung.
       
       Zwei Beispiele: Die Autorin Margarete Stokoswki sagte [2][eine Lesung in
       einer Münchener Buchhandlung ab], weil es dort Bücher eines Verlages der
       Neuen Rechten zu kaufen gibt. Und die Universität Siegen verweigerte im
       Rahmen eines Seminars zur Redefreiheit die Finanzierung einer
       Diskussionsveranstaltung mit Thilo Sarrazin und dem
       AfD-Bundestagsabgeordneten Marc Jongen. Beide Akte riefen, so
       unterschiedlich sie im Detail waren, die selbe Empörung hervor, auch in
       linken Kreisen.
       
       Die freundlichen, aber bestimmten Weigerungen werden einerseits als
       Intoleranz gegenüber allen Positionen gedeutet, die nicht auf den ersten
       Blick liberal oder links sind. Und sie werden als Scheu davor verstanden,
       mit der Rechten ins Gespräch zu kommen. Diese Deutung ist politisch fatal.
       Sie zeigt drei grundsätzliche Probleme im öffentlichen Umgang mit der Neuen
       Rechten.
       
       Erstens verkennt die Forderung, man müsse mit der Neuen Rechten ins
       Gespräch kommen, völlig, wie Öffentlichkeit im Informationskapitalismus
       funktioniert. Die schöne Vorstellung, die dieser Forderung zugrunde liegt,
       ist die eines Gesprächs zwischen zwei grundsätzlich für den Austausch von
       rationalen Argumenten offenen Personen, die sich gerne vom Gegenüber
       überzeugen lassen, wenn er oder sie die besseren Argumente mitbringt. Nicht
       erst seit Donald Trump wissen wir, dass der Kommunikationsstil der Neuen
       Rechten gerade nicht dialogisch ist. Stattdessen fährt sie eine Strategie
       der Verlautbarungen, der Reichweite und der Aufmerksamkeit. Und zwar um
       jeden Preis, auch den der Wahrheit.
       
       ## Verweigern als wirksames Mittel
       
       Das ist eine Strategie, die nicht nur der sozialen Medien wegen
       funktioniert – alle Medien sind dafür empfänglich, die auf Auflagen, Quoten
       und Klicks angewiesen sind. Die New York Times oder CNN können noch so
       deutlich auf die Lügen des republikanischen Präsidenten hinweisen, als Teil
       der medialen Aufmerksamkeitsökonomie sind sie Teil des Problems. Ein
       wirksames Mittel gegen diese Maschinerie ist tatsächlich das Nicht-Teilen,
       Nicht-Mitmachen und Sich-Verweigern.
       
       Zweitens liegt der Forderung das Gespräch zu suchen, und damit toleranter
       gegenüber Ideen der Neuen Rechten zu sein, ein merkwürdiger Begriff von
       Toleranz zugrunde. Wenn es einen Text gibt, den man angesichts der
       aktuellen Diskussion dringend wieder lesen müsste, ist es Herbert Marcuses
       Aufsatz über „repressive Toleranz“. In dem Text aus dem Jahr 1965
       argumentiert Marcuse, dass Toleranz gerade nicht darin besteht, in letzter
       Instanz auch Intoleranz zu akzeptieren. Toleranz wird in dem Moment, in dem
       man das tut, repressiv, weil sie dann – statt Freiheit, Offenheit und
       Emanzipation zu fördern – Intoleranz als Deckmantel dient. Die Idee, dass
       eine tolerante Gesellschaft auch Intoleranz aushalten müsse, ist für
       Marcuse die deutlichste Artikulation von repressiver Toleranz.
       
       Marcuse zeigt, dass wahre Toleranz parteiisch sein müsse – der Intoleranz
       gegenüber. Das heißt nicht, dass wir uns Rassismus oder Sexismus einfach
       weg wünschen können. Aber wir dürfen rassistische und sexistische
       Positionen nicht auf einer Ebene mit anderen Positionen verhandeln. Wir tun
       dann so, als wäre die Gleichheit von Menschen eine Frage der Meinung und
       nicht Voraussetzung des demokratischen Gesprächs.
       
       Margarete Stokoswki hat in einem Tweet selbst [3][auf den schiefen
       Toleranzbegriff in der Diskussion hingewiesen]: „Nächste Woche ist 100
       Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland. Looking at you, Pro &
       Contra-Abteilung @DIEZEIT.“ Fragen, die die Gleichheit von Menschen
       betreffen, sind keine Fragen, über die man diskutieren muss. Man muss sie
       durchsetzen und erstreiten – auch mit Verweigerung.
       
       Drittens darf die politische Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten nicht
       nur im öffentlichen oder privaten Gespräch geführt werden. Der
       gesellschaftliche Kampf um Hegemonie wird auch geführt mit Verweigerung,
       diskursiver Sabotage und Blockade (nicht reden wollen, glauben, was man
       will, lügen), und leider auch mit Gewalt. Die Neue Rechte hat einige dieser
       Strategien perfektioniert. Und die Linke? Soll sich mit den Wortführern der
       Neuen Rechten zum demokratischen Gespräch treffen? Wie diskutiert man, wenn
       das Gegenüber einen nicht als gleichberechtigt anerkennt? Oder wenn
       Argumente nicht gehört oder nicht akzeptiert werden? Die Linke muss neue,
       disruptive Formen der politischen Auseinandersetzung finden, die die
       Intoleranz der Neuen Rechten nicht normalisiert, sondern skandalisiert.
       
       ## Keine Gesprächsverweigerung
       
       Die Weigerungen von Stokowski und der Universität Siegen lassen sich viel
       besser verstehen, wenn man sie eben nicht als Gesprächsverweigerung deutet.
       Als Autorin etwa führt Stokowski seit Langem einen öffentlichen Diskurs mit
       und über den Rechtsruck in unserer Gesellschaft. Und auch die Zuständigen
       der Uni Siegen scheinen sich mit der Neuen Rechten beschäftigt zu haben,
       bezeichnen sie doch die Finanzierung der „ideologischen Standpunkte“ von
       Sarrazin und Jongen als problematisch für eine weltoffene Hochschule. In
       beiden Fällen ist das „I’d prefer not to“ nicht die Verweigerung der
       Beschäftigung mit der Neuen Rechten, sondern vielmehr ihr Ergebnis.
       
       Eine Bartleby-Politik gegen den Rechtsruck kann genau das sein: die
       Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten, ihren Argumenten und ihren
       Strategien. Mit dem Ergebnis, dass es da nichts zu diskutieren gibt, aber
       viel, wogegen man kämpfen und einiges, dem man sich verweigern sollte.
       
       20 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Bartleby_der_Schreiber
 (DIR) [2] /!5548081/
 (DIR) [3] https://twitter.com/marga_owski/status/1060445539211374592
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Janosik Herder
       
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