# taz.de -- Die Wahrheit: Tage der Vögel
       
       > Auf den Tiroler Literaturtagen gab es unter sehr akkuraten Alpen allerlei
       > gefiedertes und ungefiedertes Volk zu entdecken.
       
       Heuer im Spätsommer dürfte ich einen Weltrekord im Zusammensitzen mit
       Hofrätinnen und Amtsräten, Kommerzialrätinnen und Bauräten, Forsträtinnen
       und Bergräten aufgestellt haben; nämlich in Hall bei Innsbruck, im Rahmen
       des Abschlussgalaabends der Internationalen Tiroler Literaturtage
       Sprachsalz, zu denen mein Bruder Thomas und ich eingeladen worden waren, um
       nicht mehr zurechnungsfähige Texte über die Vogelwelt vorzutragen und
       biologisches Achtelwissen zu simulieren.
       
       Die Begrüßung der Honoratioren durch Heinz D. Heisl, einen der fünf
       liebenswürdigen und aufs Beste ironiebegabten Organisatoren des hemmungslos
       anpreisungswürdigen Lesefestivals (dergleichen Leute wird man in
       Deutschland in dreihundert Jahren nicht finden), geriet zu einer derart
       landestypisch dissoluten, närrischen, fidelcastroartigen oder wenigstens
       CSU-parteitagsaffinen Namens- und Titelnennungsorgie, dass ich meinem
       Tischnachbarn, dem fabelhaften Gert Loschütz, vor Lachen beinahe aufs
       Jackett spuckte.
       
       „Die Alpen sind widerlich“, befand bekanntlich Thomas Bernhard. Das trifft
       auf die Gegend Hall/Innsbruck allerdings kaum zu. Blickt man aus dem
       Panoramafenster seines Zimmers im Parkhotel, machen diese Alpen einen
       recht anständigen und nicht zwingend „katholisch-nationalsozialistischen“
       (Thomas Bernhard) Eindruck. Und unten, rund um die
       Bierbedürftigkeitsbefriedungseinrichtung aka Bar und auf der aus einer
       akzeptablen Ferne bealpten Terrasse, ist ohnehin alles in paradiesischer
       Ordnung.
       
       Da bekämpft Andrzej Stasiuk die Inhalte von Weinflaschen, die Lyrikerin
       Meret Gut lässt einen unkeusche Gedanken fassen, Zora del Buono und ihr
       dialektisch geschulter Hund sowie der Schauspieler und Brillantrezitator
       Thomas Sarbacher demonstrieren en passant, was Humanität ist, und am Tresen
       fuhrwerkt segensreich elegant Benno herum, der in Los Angeles einige Jahre
       Nachbar von Lemmy Kilmister war und in den Spätstunden das Hohelied auf den
       König des Krawalls anstimmt, zu Recht, zu Recht.
       
       Den ganzen vergnügungs- und erkenntnissüchtigen Sauladen hält auf
       geheimnisvolle und herzliche Weise der schweizerische Sprachsalz-Kurator,
       Literaturagitator und Ornithomaniac Urs Heinz Aerni zusammen, der gerade
       die Pressearbeit für den vor ein paar Tagen in eidgenössischen Kinos
       angelaufenen Film „Welcome To Zwitscherland – Wie das Land, so die Vögel“
       von Marc Tschudin verantwortet.
       
       Urs Heinz Aerni ist ein Geschenk, man muss es so sagen. Er zeigt einem
       idiotischen Deutschen wie mir ohne jeden Anflug eines belehrenden Habitus
       nicht nur, was unaufdringliche, womöglich der Überschaubarkeit seines
       Landes zu verdankende Freundlichkeit zu sein vermag, sondern ohne ihn hätte
       ich auch nie etwas von dieser bezaubernden, überaus sorgfältig komponierten
       Dokumentation gehört.
       
       Die Literaturtage – ein Paradies der betörenden Vögel.
       
       13 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Roth
       
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