# taz.de -- Debatte Erfolg der Umweltbewegung: Kurz vorm Ökoparadies
       
       > Diesel-Skandal, Braunkohle-Zoff: Das sind Abwehrkämpfe der
       > Kohle-und-Benzin-Industrien. Tatsächlich stehen wir vor einer
       > ökologischen Zeitenwende.
       
 (IMG) Bild: Strom aus neuen Solarkraftwerken ist billiger als Strom aus neuen Kohlekraftwerken
       
       Wir schreiben das Jahr 2050. Die Luft ist sauber, fast geräuschlos surren
       autonome Elektrofahrzeuge umher. Die breiten Straßen, die das Leben in den
       Städten einst zerschnitten, sind jetzt einspurig, ersetzt durch Wiesen zum
       Rumliegen und Nachdenken. Jedes Fenster, jede Fassade erzeugt
       Sonnenenergie. Kein Kohlestrom, kein Atomstrom. Unsere iBrains,
       Hirnimplantate für den Cyberspace, sind aus komplett recycelten Materialien
       hergestellt.
       
       Diese Utopie – bis auf die iBrains und die schmalen Straßen – stammt von
       der EU-Kommission und der Bundesregierung. Wichtige Rohstoffe sollen
       künftig wiederverwertet, die Energieversorgung hocheffizient sein und fast
       keine Klimagase mehr emittiert werden. So sehen es diverse politische
       Absichtserklärungen vor, vom Pariser Klimaschutzabkommen über den
       [1][deutschen Klimaschutzplan 2050] bis zu den [2][EU-Plänen für eine
       Kreislaufwirtschaft].
       
       Sollte es so kommen, würden wir noch lange nicht im Paradies leben. Auch in
       einer Öko-Welt wird es Gier und Hass geben, weil der Mensch ist, wie er
       ist. Aber abgesehen davon gibt es Grund zum Optimismus – und zwar nicht
       trotz, sondern wegen des Dieselskandals und der Diskussion um die Kohle.
       
       Noch vor zehn Jahren schien es undenkbar, dass Deutschland ein Datum für
       den Ausstieg aus der Kohle nennt. Heute sind nicht einmal RWE oder die
       Bergbaugewerkschaft grundsätzlich dagegen. Es geht nicht mehr um das Ob,
       sondern nur noch um das Wann und Wie. Ganz deutsch im Konsens moderiert von
       einer Kohlekommission, in der Ökos und Industrie Armdrücken spielen dürfen.
       Keine gesellschaftliche Kraft in Deutschland zweifelt mehr grundsätzlich am
       Klimaschutz. Außer der AfD.
       
       ## Vorboten einer Zeitenwende
       
       Ein Blick auf die Automobilindustrie: Die wird von einem Haufen arroganter
       Lügner geführt, aber eben diese bringen gerade echte Elektrofahrzeuge auf
       den Markt. Der Diesel-Skandal hat dem Land zwar gezeigt, dass Teile der
       Regierung von der Autolobby unterwandert sind. Er hat aber auch gezeigt,
       dass ein kleiner Verein wie die Deutsche Umwelthilfe eine Milliardenbranche
       besiegen kann. Dass es Umweltgesetze gibt, vor denen Bosse zittern.
       
       All diese Erschütterungen sind Vorboten einer Zeitenwende.
       Pro-Braunkohle-Protest und Diesel-Manipulationen sind Abwehrkämpfe der
       Kohle-und-Benzin-Industrien, die auf dem Rückzug sind und versuchen, ihre
       alten Kühe zu melken, bis sie tot umfallen. International werden
       Elektrofahrzeuge der Megatrend der nächsten Jahrzehnte, vorangetrieben von
       staatlichen CO2-Vorgaben und Herstellern aus China.
       
       Auch in der Energiewirtschaft „geht das fossile Zeitalter zu Ende“, um
       RWE-Chef Schmitz zu zitieren: Kaum einer hat es mitbekommen, aber Strom aus
       neuen Solarkraftwerken ist [3][billiger als Strom aus neuen
       Kohlekraftwerken] – und das nicht in Südspanien, sondern in Deutschland.
       Die Preise für Batterien, die den Sonnenstrom speichern können, fallen und
       fallen. 2010 waren sie noch fünfmal so teuer wie heute.
       
       Der Rahmen, vor dem Probleme verhandelt werden, ist gesetzt: Ökologie und
       Klimaschutz neben Arbeitsplätzen und Wirtschaft. Das ist ein großer
       Zwischenerfolg der Ökobewegung. Trotzdem wäre es falsch anzunehmen, dass
       auf Kapitalismus automatisch der Ökokapitalismus folgt. Und dass der nicht
       nur ein gigantisches Brainwashing wird, um weiter den Überkonsum der
       weltweiten Mittel- und Oberschicht zu legitimieren. Auch Solarzellen,
       Windräder und vor allem E-Autos verbrauchen Ressourcen, Platz und Natur. Je
       weniger davon, desto besser.
       
       Führt die Menschheit Krieg gegen die Natur, dann haben wir immerhin für
       übermorgen einen Waffenstillstand vereinbart. Mehr aber auch nicht. Die
       paar Windräder und Solaranlagen sind nur ein kleiner Anfang im Hinblick auf
       den gewaltigen Wandel, der vor uns liegt. In den nächsten 20 Jahren könnten
       Regionen verarmen, die an der Kohle hängen.
       
       ## Das E-Auto rettet die Autoindustrie
       
       Die Autoindustrie wird die Kurve in Richtung autonomes E-Auto schon
       kriegen. Aber die Zulieferer, die kaum Margen erzielen und wenig
       finanzielle Reserven für den Wandel haben, droht es zu zerlegen. Daraus
       ergeben sich soziale Fragen, die man vielleicht mit Verweis auf die Pariser
       Klimaziele für irrelevant erklären könnte. Aber das wäre ein gewaltiger
       Fehler.
       
       Man wird nicht alle einfach zu Solartechnikern umschulen können. Besonders
       Ältere werden Jobs verlieren; sie sind anfällig für Kräfte, die Klimaschutz
       als elitären Schnickschnack diskreditieren. Die AfD setzt jetzt schon auf
       diese Anti-Öko-Karte. Vom Menschen gemachten Klimawandel gibt es laut AfD
       nicht. Das ist Schwachsinn für jeden, der sich mit dem Thema
       auseinandersetzt, aber stößt in einen Schwachpunkt des
       [4][Anti-Braunkohle-Protests]: Statt zum Hambi zu marschieren, müssten sich
       AktivistInnen mit [5][RWE-Bergleuten] zusammensetzten und fragen, was man
       für sie tun kann.
       
       Um eins klarzustellen: Klimaschutz kostet volkswirtschaftlich nichts. Er
       lässt die klügsten Köpfe eines Landes Ideen entwickeln, neue Produkte und
       Technologien schaffen. Die werden die Exportschlager von morgen. Es ist
       deshalb unerträglich, wie RWE und Kohlegewerkschaft argumentieren. Die
       ewige Leier vom Ende des Industriestandorts Deutschland, vom teuren
       Klimaschutz. Aber sie haben das Recht, sich für ihre Leute ins Zeug zu
       legen.
       
       Und es ist die verdammte Pflicht demokratischer Parteien und Institutionen,
       die Menschen, die der Ökostrukturwandel auf der Strecke lässt, nicht im
       Stich zu lassen. Deshalb macht NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU)
       gerade vieles richtig: Hängt sich rein für die Leute, die Angst haben, ihre
       Jobs zu verlieren. Genau die darf man nicht Rechtspopulisten überlassen.
       Sonst kippt der große Konsens, der große Rahmen, dass die Notwendigkeit des
       Klimaschutzes grundsätzlich nicht mehr verhandelbar ist.
       
       29 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bmu.de/themen/klima-energie/klimaschutz/nationale-klimapolitik/klimaschutzplan-2050/
 (DIR) [2] /Vorgaben-fuer-Umgang-mit-Abfall/!5496248
 (DIR) [3] https://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/2018/studie-zu-stromgestehungskosten-photovoltaik-und-onshore-wind-sind-guenstigste-technologien-in-deutschland.html
 (DIR) [4] /Waldspaziergang-im-Hambacher-Forst/!5536601
 (DIR) [5] /Kohle-Jobs-nach-Hambach-Protest/!5541067
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
       
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