# taz.de -- Kolumne Pressschlag: Der lange Weg aus der Stasi-Falle
       
       > Der Fall der früheren Leichtathletin Heike Drechsler zeigt, dass die Zeit
       > reif ist für einen neuen Blick auf DDR-Biografien.
       
 (IMG) Bild: Als die Welt noch anders war: Heike Drechsler (DDR) im Jahr 1988 mit Heide Rosendahl (BRD, l.) und Monika Hirsch (BRD, r.)
       
       Wikipedia ist schnell. Bis Dienstag stand dort, dass die frühere Sprinterin
       und Weitspringerin Heike Drechsler, die jede Menge Olympia- und
       WM-Medaillen für die DDR und die vereinigte Bundesrepublik gewonnen hat,
       als „IM Jump“ Zuträgerin der Stasi war. Seit Mittwoch ist der Eintrag
       geändert.
       
       Nach einem Gutachten des Politologen Helmut Müller-Enbergs, das sie selbst
       in Auftrag gegeben hat, gilt Drechsler als entlastet. Lange hat das
       gedauert. Der Vorwurf, sie sei Stasi-Spitzel gewesen, ist seit 1993 in der
       Welt. Damals hatte die Stasi-Unterlagen-Behörde Akten an die Presse
       weitergeleitet. Etliche Medien stürzten sich begierig darauf, die
       Geschichte von der Athletin im Dienst der Stasi war in der Welt.
       
       Stasi, das war lange ein Signalwort, das den Jagdinstinkt vieler
       gesellschaftlicher Akteure geweckt hat. Fiel es, waren die moralische
       Urteile über Biografien schnell formuliert. Noch immer wird die Geschichte
       der DDR von viel zu vielen allein allein anhand der SED und der Stasi
       erzählt. 29 Jahre nach dem Mauerfall könnte sich das langsam ändern. Die
       Reaktionen auf den Film „Gundermann“, die im Leben des Kommunisten,
       Idealisten, Baggerführers, Vaters und Musikers endlich mehr gesehen haben
       als dessen Täterakte bei der Stasi, lässt darauf hoffen, dass Biografien
       nicht allein deshalb moralisch entwertet werden, weil das unselige
       Ministerium für Staatssicherheit darin eine Rolle gespielt hat.
       
       Das schnelle Urteil, das seinerzeit über Heike Drechsler gefällt wurde, ist
       für die Ex-Sportlerin umso bitterer, weil sie für die Stasi nie mehr war
       eine eine so genannte Vorfeld-IM, eine, deren Zuarbeit sich man vielleicht
       später einmal hätte sichern wollen. Eine Vorfeld-IM ist eben keine IM.
       Diejenigen, bei denen die Abkürzung IM reicht, um die Alarmglocken zum
       Ertönen zu bringen, haben viel zu lange die Macht gehabt, über Biografien
       zu urteilen. Wenn diese Zeit zu Ende ist, dann könnte das zu einer neuen
       Sicht auf die DDR-Geschichte führen.
       
       ## Der „Fall Drechsler“ und die Vorwürfe außerhalb des Sports
       
       Die sollte nicht auf den Sport begrenzt bleiben, wo Entlastungsreflexe
       vielleicht schneller greifen, weil man sich die Medaillen der Wendesportler
       nicht mies machen lassen möchte. Auch eine wie Anetta Kahane, deren Einsatz
       gegen Rassismus und Antisemitismus als Vorsitzende der Amadeu Antonio
       Stiftung von rechts oft mit dem Verweis auf ihre Stasitätigkeit für nichtig
       erklärt wird, hätte es verdient, wenn ihr Leben in der DDR nicht auf das
       Kürzel IM reduziert würde.
       
       Das passiert immer noch allzu oft, dabei hat sie sich immer wieder selbst
       zu ihrer Stasitätigkeit geäußert, hat sich damit beschäftigt, wem sie
       geschadet haben könnte, und sich dazu geäußert, warum sie ihre Zuarbeit für
       das MfS 1982 beendet hat.
       
       Leben in ihrer Gesamtheit zu betrachten könnte auch beim Thema Doping den
       Blick auf die Geschichte des DDR-Sports verändern. Auch hier wird oft allzu
       schnell auf den Staatsplan 14.25 verwiesen, mit dem das von der DDR-Führung
       orchestrierte System des flächendeckenden Dopings seinen Anfang genommen
       hat. Ob es richtig ist, ein Sportlerleben, das viele Trainingsstunden und
       den Verzicht auf so manche Annehmlichkeit mit sich bringt, auf die Einnahme
       von blauen Pillen zu reduzieren, auch diese Frage kann mal ruhig mal
       stellen.
       
       25 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
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