# taz.de -- Parteitag der britischen Konservativen: Chefin punktet gegen Rebell
       
       > Der britischen Premierministerin Theresa May gelang ein souveräner
       > Parteitagsauftritt. Am Ende sind die Rollen fast vertauscht.
       
 (IMG) Bild: Auf dem Parteitag in Birmingham: Tanztee mit Theresa May
       
       BERLIN taz | Auf der Bühne der britischen Politik stehen Boris Johnson und
       Theresa May für entgegengesetzte Extreme. Johnson, der Publikumsliebling,
       ist der ewige Optimist, der mit Witz und Selbstironie jede Menschenmenge in
       eine heitere Fangruppe verwandelt. May, die Kärrnerin, ist ein weiblicher
       Sisyphus, die die Last ihres Amtes ausstrahlt und die Menschen auf ewige
       Mühe und Beharrlichkeit als Preis des Weiterlebens einschwört. Auf dem
       konservativen Parteitag in Birmingham diese Woche drohte der Showdown:
       lustiger Rebell gegen pflichtbewusste Chefin, Spaß gegen Ernst,
       Brexit-Träume gegen Brexit-Wirklichkeit.
       
       Am Ende des Parteitags sind die Rollen fast vertauscht. Es ist Theresa May,
       die Optimismus beschwört, die gleich zum Anfang sich selbst parodiert und
       damit Angriffen auf ihre hölzernen öffentlichen Auftritte den Stachel
       nimmt, die souverän eine bessere Zukunft malt. Und es war Boris Johnson,
       der am Dienstag bei seiner eigenen Versammlung düstere Warnungen von sich
       gab, den drohenden Verlust von Freiheit und Demokratie und die nahende
       Unterwerfung unter Fremdherrschaft im Falle eines zu weichen Brexit
       beschwor und hinter dessen klarer rhetorischer Überlegenheit kein klares
       politisches Konzept zu erkennen war.
       
       Schon bevor Theresa May am Mittwochmittag zu den Klängen des Abba-Hits
       „Dancing Queen“ auf die Bühne in Birmingham schwebte und mit ihren aus
       ihrer kürzlichen Afrikatour legendär gewordenen unbeholfenen Tanzschritten
       die Konferenzhalle sofort für sich einnahm, hatten Pressekommentare die
       Johnson-Revolte überwiegend kritisch beurteilt. Wie bereits 2016, als er
       nach dem gewonnenen Brexit-Referendum und dem Rücktritt des
       Premierministers David Cameron auf eine Kandidatur um den konservativen
       Parteivorsitz verzichtete und damit Theresa May den Weg an die Spitze
       ebnete, schreckte Johnson auch diesmal davor zurück, in den Ring zu
       steigen. Er nannte zwar Mays Brexit-Plan „Wählerbetrug“, aber dann rief er
       das Kabinett, aus dem er im Juli als Außenminister ausgetreten war,
       lediglich dazu auf, „Theresa May in bestmöglicher Weise zu unterstützen,
       indem wir sanft, leise und vernünftig ihren ursprünglichen Plan
       unterstützen“.
       
       Nach Umfragen würde Boris Johnson als Tory-Parteichef vorgezogene Neuwahlen
       gegen Jeremy Corbyn und die Labour-Opposition verlieren, May aber gewinnen.
       Das dürfte die Mehrheitsmeinung bei den Konservativen bestärkt haben, dass
       jetzt nicht die Zeit für einen Wechsel an der Spitze ist. Theresa Mays
       Stellung war also schon vor Mittwoch gefestigt, und jetzt ist sie das umso
       mehr. Es war für die Premierministerin ein Leichtes, in ihrer Rede mit ein
       paar Insider-Spitzen Johnson den Wind aus den Segeln zu nehmen und in Bezug
       auf den Brexit selbst klare Kante zu zeigen. „Wenn wir alle in verschiedene
       Richtungen aufbrechen, auf der Suche nach unserer jeweiligen Vision des
       perfekten Brexit, könnten wir am Ende ganz ohne Brexit dastehen“, warnte
       sie und warb für ihren Plan: „Selbst wenn wir nicht über jeden Teil dieses
       Vorschlags einig sind, müssen wir zusammenkommen.“
       
       ## „Tragödie“ Labour
       
       Mays Rede war aber auch eine vorgezogene Wahlkampfrede – man weiß ja nie,
       was kommt. Auf der Grundlage des Gedenkens an den 100. Jahrestag des Ersten
       Weltkrieges – der blutigste Krieg der britischen Geschichte, dessen Ende am
       9. November gedacht wird – appellierte die Regierungschefin an gemeinsame
       Werte: Selbstbewusstsein, Hartnäckigkeit, Opferbereitschaft, Bereitschaft
       zum Aufbau eines besseren Lebens. „Wir müssen diesen Geist gemeinsamer
       Ziele zurückgewinnen“, rief sie. „Wenn wir zusammenkommen, ist dem, was wir
       leisten können, keine Grenze gesetzt. Unsere Zukunft liegt in unseren
       Händen.“ Die überwiegend älteren Zuhörer liebten es.
       
       Die traditionelle Labour-Partei ist für May Teil dieser gemeinsamen Werte –
       nicht aber „die Jeremy-Corbyn-Partei“, die Labour derzeit führt. Spaltung
       und Hass – was unter Corbyn aus Labour geworden sei, nannte May „eine
       Tragödie“, und „es ist unsere Pflicht, sicherzustellen, dass er das nie mit
       unserem Land machen kann“. Ähnlich, aber natürlich anders, war Johnson am
       Vortag über „diesen verschlagenen Klüngel überalterter Marxisten und Hugo
       Chávez verehrender, Antisemitismus billigender Kreml-Apologeten“
       hergezogen.
       
       Nation statt Corbyn, vereinen statt spalten – damit könnte Theresa May auch
       einen Wahlkampf bestreiten, falls nötig. Sie verkündete, etwas
       überraschend, das „Ende der Sparpolitik“, die Aufhebung bestehender
       Beschränkungen des sozialen Wohnungsbaus, Mehrausgaben für den staatlichen
       Gesundheitsdienst NHS weit über Johnsons einstige Brexit-Versprechungen
       hinaus. Gegen Corbyns Parteitagsparole, Labour sei eine Partei „für die
       vielen, nicht für die wenigen“ – was er tatsächlich von seinem Erzfeind
       Tony Blair übernommen hat –, setzte Theresa May noch einen drauf: die
       Konservativen seien eine Partei „für alle“. Und da war sie wieder ganz die
       Alte: „Wir stehen an einem Schlüsselmoment unserer Geschichte. Es fällt an
       unsere Partei, unser Land da durchzuführen.“
       
       3 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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